Run, bleed, repeat: Warum zyklusbasiertes Training im Laufen und Trailrunning so wichtig ist

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Schwankungen in der sportlichen Leistungsfähigkeit gehören bei allen Menschen zum Alltag dazu. Bei gut 50 % von ihnen lässt sich das allerdings unter anderem mit dem Menstruationszyklus erklären. Wie kann man nicht gegen, sondern mit seinem Zyklus trainieren? Wie vermeidet man das gefährliche RED-S-Syndrom? Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

Gehörst du zu den Millionen Menschen, die regelmäßig bluten? Dann kennst du sie vielleicht: Diese 1–2 Wochen, in denen sich ein Laufkilometer anfühlen kann wie tausend. Und dann, von jetzt auf gleich, fühlst du dich wieder wie Courtney 2.0 und denkst: Ich bleib nie wieder stehen. Woran das liegt, wie (Trail-)Laufen und Zyklus sich aufeinander abstimmen lassen, was die Wissenschaft dazu sagt und warum zyklusbasiertes Training nicht zu unterschätzen ist: Um all das geht es hier.

Wie war das jetzt mit den Phasen? Zyklus-Einmaleins

Der Menstruationszyklus beginnt mit dem ersten Tag der Blutung und dauert zwischen 20 und 40 Tagen. Recht viel genauer lässt es sich tatsächlich nicht sagen: Die vielzitierte durchschnittliche Zykluslänge von 28 Tagen trifft laut einer Studie von 2019 nur in 13 % der Fälle zu. Dieser Zeitraum wird jedenfalls in verschiedene Phasen aufgeteilt: Menstruations-/Follikelphase, Eisprungphase und Lutealphase.

Was dabei jeweils passiert, ist eine einzige Hormonparty, veranstaltet von: Östrogen und Progesteron. Beide Hormone sind in den ersten Zyklustagen, während der Blutung, einigermaßen niedrig. In der restlichen Follikelphase (bis zum Eisprung) steigt der Östrogenspiegel an. Sofern sich keine Eizelle in der Gebärmutter einnistet, legt danach der Progesteronspiegel so richtig los, während das Östrogen wiederum sinkt: willkommen in der Lutealphase. Der Progesteronwert flacht erst wieder ab, sobald die nächste Blutung bevorsteht.

Wenn sich also im Alltag oder Training deutliche Veränderungen bemerkbar machen, was Energie, Kraft, Ausdauer usw. angeht, kann dahinter der Hormonhaushalt stecken. Kann, wohlgemerkt, denn sobald hormonelle Verhütungsmethoden ins Spiel kommen, findet dieses Wechselspiel nicht mehr statt. Das ist auch schon einer von mehreren Gründen, warum zyklusbasiertes Training in der Wissenschaft noch einen, sagen wir mal, ausbaufähigen Status hat.

Alle Fotos: Salomon

Gibt es Studien zum Thema zyklusbasiertes Training?

Ja, die gibt es, und viele davon kommen zu dem Schluss, dass die Leistungsfähigkeit bzw. Maximalkraft in der ersten Zyklushälfte am stärksten ausgeprägt sind. Gleichzeitig begegnen wir allerdings (wieder mal) dem Gender Health Gap: der Tatsache, dass alle Abweichungen vom männlichen Körper – dem „Standard“ – deutlich weniger erforscht sind. (Mehr dazu z. B. in der ARD-Doku zur Entdeckung der Gendermedizin.)

Dazu kommt, dass aussagekräftige Daten in diesem Bereich gar nicht so leicht zu erheben sind. Unter anderem, weil …

  • hormonelle Verhütung und/oder Schwankungen in den individuellen Zyklen dazu führen, dass die Zahl der Teilnehmerinnen oft vergleichsweise klein ausfällt (darauf weisen z. B. Thompson et al. hin).
  • es bislang keine einheitliche Terminologie oder universell anwendbare Hormon-Referenzwerte gibt (zu diesem Schluss kommen z. B. Sims et al. in einer Studie von 2023).

" Am Ende ist es nämlich ganz simpel: Wenn du deinen Zyklus mit seinen guten und schlechten Tagen einschätzen kannst – dann hast du mehr Spaß an der Sache. "

Josefa Niedermaier

Auch eine Studie von 2021, die Forschungsergebnisse zusammenträgt, gibt ein ambivalentes Bild ab. Da heißt es (übersetzt):

Studien zur wahrgenommenen Performance zeigen durchgehend, dass Athletinnen ihre Leistung während der frühen Follikel- und späten Lutealphase als vergleichsweise schlechter empfinden. Studien zur objektiv untersuchten Performance (basierend auf anaeroben, aeroben oder kraftbezogenen Tests) zeigen keine klaren, konsistenten Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die körperliche Leistung. Insgesamt kann die sportliche Performance von selbst wahrgenommenen und körperlichen Faktoren gleichermaßen beeinflusst werden.

Mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Kommt drauf an. Muss man weiter untersuchen.

Heißt das jetzt also, man kann das Thema nach dem Motto „ist ja nichts bewiesen“ gleich in die Tonne hauen?

Ganz im Gegenteil. Einerseits, weil der Fokus auf Zyklus und Training forschungstechnisch zumindest in den letzten Jahren doch etwas Fahrt aufgenommen hat. (Das zeigt unter anderem die Studiendatenbank, die Steffi Platt von Fierce Run Force zusammengestellt hat.) Und andererseits, weil es sich im eigenen Alltag auf jeden Fall auszahlen kann, dieses Zusammenspiel mal unter die Lupe zu nehmen.

Vollgas oder Standgas? Der Trainingsplan

Damit sind wir bei der Preisfrage: In welcher Zyklusphase hat man die meiste Energie? Wann macht es Sinn, so richtig Gas zu geben? Ausnahmsweise fällt die Antwort mal eindeutig aus: in der Follikelphase!

Fun, fun, Follikelphase: die erste Zyklushälfte

Durch den steigenden Testosteron- und Östrogenspiegel bis zum Eisprung herrschen Topbedingungen für den Muskelaufbau (anaboler Stoffwechsel). Für Trailrunnerinnen ist es also sinnvoll, ungefähr ab der Mitte der Menstruation den Fokus auf intensive Einheiten zu legen: Tempotraining, (Berg-)Intervalle bzw. hill repeats, der längste aller Longruns, Routen mit steilen Anstiegen – und so weiter.

Wo wir gerade beim Stichwort Routen sind: In dieser Phase bietet es sich außerdem an, neue Strecken auszuprobieren oder die Downhill-Skills auf wurzeligem Terrain zu trainieren. Denn jetzt ist die Konzentrations- und Koordinationsfähigkeit tendenziell am besten.

Mir persönlich kommt das alles durchaus bekannt vor. Frag mich in den ersten 1,5 Wochen meines Zyklus, ob ich mir ein 100-Kilometer-Rennen zutraue, und ich sage wahrscheinlich: „Nur eins? Mach drei draus!“ Wenn ich in dieser Phase trainiere, ist es ein bisschen wie früher bei Need for Speed: Nitro zünden, als gäbe es kein Morgen.

Genau wie früher kommt allerdings irgendwann die Erkenntnis: Tja, das war’s jetzt wieder mit dem Beschleunigen. Nämlich dann, wenn in den Tagen nach dem Eisprung der Progesteronspiegel langsam anzusteigen beginnt.

Runter vom Gas: die zweite Zyklushälfte

Nach dem Eisprung werden die Bänder und Sehnen weicher – es könnte schließlich eine Schwangerschaft vorliegen. Dieser „dehnbare“ Zustand bedeutet unter anderem ein leicht erhöhtes Verletzungsrisiko. Auch mit dem Muskelaufbau ist es in der Lutealphase nicht mehr weit her; nun geht es eher darum, die Kraft zu erhalten. Energie? Reden wir bitte nicht drüber …

In Sachen Trailrunning heißt es in dieser Phase jedenfalls: im Zweifelsfall einen Gang runterschalten. Jetzt ist es einfacher, bei altbekannten Strecken zu bleiben, die vielleicht nicht supertechnisch sind, auf Forststraßen statt wurzeligen Singletrails – oder mal ein anderes Training einzuschieben, wie z. B. eine Runde schwimmen.

Was „Runterschalten“ heißt, kannst aber nur du selbst entscheiden. Vielleicht gehörst du zu den Glücklichen, die kaum Probleme mit PMS, Wassereinlagerungen, Müdigkeit etc. haben. Vielleicht kommst du entsprechend ab der Mitte deines Zyklus trotzdem mit langen Läufen und Uphills klar.

Vielleicht geht es dir aber auch wie mir und du hast dann schon beim Gedanken an mehr als 5 Höhenmeter einen Mini-Meltdown: Was, DA rauf?! Im Ernst jetzt. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich nach Kilometer 1 wieder umgekehrt bin. Mit den Nerven am Ende und gedanklich nur bei der Lasagne, die daheim schon im Ofen war.

Leave no snack behind

Apropos Lasagne: Wenn du zum Ende des Zyklus das Gefühl hast, du könntest eine Woche essen und wärst trotzdem nicht satt – das ist kein Zufall. Nach dem Eisprung kann die Körpertemperatur um bis zu 0,5 Grad steigen und bis zur nächsten Menstruation auf diesem erhöhten Level bleiben.

Du verbrauchst dadurch bis zu 200 Kalorien mehr und kommst schneller ins Schwitzen. Gerade im Sommer kann sich das recht schnell bemerkbar machen. Unabhängig von der Jahreszeit bzw. Temperatur zahlt es sich aber grundsätzlich in der zweiten Zyklushälfte aus, ein Gel oder einen Riegel mehr einzupacken. (Lasagne ist da leider ein bisschen unpraktisch.)

Unterm Strich können wir also festhalten: Circa die erste Hälfte des Zyklus ist ideal, um all-in zu gehen und anstrengende Einheiten durchzuziehen. Wenn dann aber die Menstruation näherkommt und du dich vielleicht nicht mehr so ganz auf der Höhe fühlst, ist es völlig legitim, die Intensität runterzufahren.

Alle Fotos: Salomon

Warum zyklusbasiertes Training wichtig ist – auch außerhalb des Profisports

Für Profiläuferinnen kann es natürlich besonders sinnvoll sein, das Training an den Zyklusphasen auszurichten. Allein schon, um Verletzungsrisiken durch (zu) intensive Krafttrainings zur falschen Zeit zu minimieren. (Darüber sprechen auch Kimi Schreiber und Ida-Sophie Hegemann in ihrer Podcast-Folge zum Thema.)

Aber was geht das Freizeitläuferinnen an? Wenn du mich fragst, eine ganze Menge:

  • Gesundheitlich

Laxere Bänder, ein höherer Energie- und Proteinbedarf, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken – wenn du diese Faktoren auf dem Schirm hast, bist du insgesamt sicherer unterwegs. Das geht schon mit der Entscheidung los: „Schaffe ich das heute?“ Mir persönlich passiert es in den ersten Zyklustagen manchmal, dass mein Kreislauf sich verabschiedet. Wenn ich morgens merke, dass heute so ein Tag sein könnte, ziehe ich nicht allein los. So gern ich meine Standardstrecken im Wald mag: dort herumliegen muss ich dann auch wieder nicht.

Abgesehen davon kann durch zu intensives Training die Blutung sogar ganz ausbleiben und der Körper in ein permanentes Energiedefizit rutschen – Stichwort RED-S. Das ist zwar der Extremfall, und die Aussage soll hier definitiv nicht sein: „Lass es lieber direkt bleiben!“ Ein gewisses Problembewusstsein ist aber durchaus angebracht.

  • Gesellschaftlich

 Women are not small men, wie Dr. Stacy Sims es formuliert. Mehr (weitverbreitetes) Bewusstsein darüber, wie ein menstruierender Körper funktioniert, und dass er eben nicht konstant immer gleich leistungsfähig ist: wem würde das schaden? Na eben. Passend dazu erzählt z. B. Maria Hinnerth im Laufend-Entdecken-Podcast, ein Frauenarzt habe ihr gesagt: „Kein Wunder, dass die Regel weg ist. Sie machen so viel Sport, das ist da nicht tragisch“. Dabei handelte es sich in Hinnerths Fall um das bereits erwähnte RED-S-Syndrom.

  • Gedanklich

Wenn dir klar ist, dass hinter einem vermeintlich „schlechten“ Lauf vielleicht bloß der Hormonhaushalt steckt, nimmt das unglaublich viel Druck heraus. Weil du eben auch weißt, dass es in absehbarer Zeit wieder genau andersherum sein kann. Mit anderen Worten: Es ist nur eine Phase.

Fazit: Und was heißt das jetzt?

Nein, wir sind nicht alle Profis mit striktem Trainingsplan. Nein, wir müssen nicht im Alleingang den Gender Health Gap schließen, oder die Gesellschaft revolutionieren. Und nein: Es wird für die allermeisten Läuferinnen nicht möglich sein, Alltag und Training komplett am Zyklus auszurichten. Schön wär’s, diese Art Zeitsouveränität  ist nur leider unrealistisch.

Aber.

Jetzt vergessen wir mal alles rund um Leistung, Muskelaufbau, Krafterhalt, Wissenschaft, und die Stats auf der Sportuhr.

Am Ende ist es nämlich ganz simpel: Wenn du deinen Zyklus mit seinen guten und schlechten Tagen einschätzen kannst – dann hast du mehr Spaß an der Sache. Weil du dir mehr zutraust. Weil du dich nicht verrückt machst. Weil du zum richtigen Zeitpunkt die passenden Einheiten einlegst.

Und (auch) darum geht es doch beim Trailrunning: eine gute Zeit haben.

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