Trainingswettkämpfe: Gibt es sie wirklich?

Kein Bock zu lesen? Lass dir diesen Artikel einfach vorlesen. Jetzt Mitglied werden und Vorlesefunktion freischalten.
Beim Start loslaufen und wissen heute werde ich nicht ans Limit gehen? Trainingswettkämpfe können viele Vorteile haben. Aber Vorsicht vor den Risiken und Nebenwirkungen.

Gibt es so etwas wie Trainingswettkämpfe? Diese Frage kann man von mindestens drei Seiten aus betrachten: sportlich, philosophisch und semantisch. Nehmen wir uns erst einmal die semantische Seite vor. Betrachtet man den Begriff „Trainingswettkampf“ aus dieser Perspektive, so wird Folgendes deutlich. Ein Trainingswettkampf ist ein Wettkampf. Diese Feststellung ist einer Eigenschaft der deutschen Sprache geschuldet, die so kaum eine andere Sprache aufweist. Wir Deutschen können beliebig viele Nomen miteinander zu einem Wort kombinieren. Dabei dominiert das letzte Nomen (das Grundwort) die Bedeutung des Wortes. So ist z.B. ein Apfelbaum ganz klar ein Baum. Das Bestimmungswort „Apfel“ gibt nur an, um welche Art von Baum es sich handelt. Von diesem Standpunkt der deutschen Sprache aus betrachtet ist also ein Trainingswettkampf ein Wettkampf, der zu Trainingszwecken durchgeführt wird.

Der Widerspruch ist offensichtlich

Doch bei unserem Wort haben wir ein Problem mit Bestimmungs- und Grundwort: sie widersprechen sich. Dieses in der Literatur gern genutzte Stilmittel nennt man Oxymoron. Wer von uns Trailrunnern kennt denn nicht die „Hassliebe“, die wir bei extrem anstrengenden Bergintervallen verspüren. Lieben oder hassen wir nun die kräftezehrenden Läufe nahe des Maximalpulses im steilen Gelände? Und so ist das auch bei einem Trainingswettkampf. Ist es Wettkampf oder Training? Oder ist es gar Training und Wettkampf zugleich? Jetzt sind wir schon auf der philosophischen Ebene dieser Diskussion.

Foto: Altra

Wie ist ein Wettkampf definiert?

Denn nicht jeder uns definiert einen Wettkampf gleichermaßen. Im Buch „Trainingswissenschaft“ ist ein Wettkampf ein „Leistungsvergleich zwischen Sportlern / Sportlerinnen […] mit dem Ziel […], höchste sportliche Leistungen […] zu erreichen und eine Rangfolge der Platzierten zu ermitteln.“ Dieser Definition wird nicht jeder zustimmen, denn nicht jede Trailläuferin und jeder Trailläufer geht mit dem Ziel in einen Wettkampf ihre oder seine „höchste sportliche Leistung“ an Tag X abzuliefern. Auch die Platzierung spielt für die meisten von uns keine große Rolle. Hier gibt es verschiedene Zielsetzungen, eine Jede oder ein Jeder hat hier ihre oder seine individuelle Wettkampfphilosophie. Wer also mit dem Ziel an den Start geht, am Wettkampftag nicht ihre oder seine höchste sportliche Leistung erbringen zu wollen, läuft nach dieser Definition gar keinen Wettkampf. Hier darf man mit Fug und Recht behaupten, dass so ein Lauf mehr dem Training zuzuordnen ist.

Leistungsentwicklung vs. Leistungsentfaltung

Nach dem Standardwerk „Optimales Training“ von Jürgen Weineck ist sportliches Training „als ein komplexer Handlungsprozess mit dem Ziel der planmäßigen […] Entwicklung der sportlichen Leistungsfähigkeit zur optimalen Leistungspräsentation im Wettkampf“ definiert. Ein Trainingswettkampf kann also nach dieser Definition niemals Wettkampf sein, da man ja trainiert um in einem Wettkampf seine optimale sportliche Leistungsfähigkeit darstellen zu können. Dabei ist die optimale Leistungspräsentation natürlich eine gegenwärtige Manifestierung des aktuellen Leistungsniveaus, die man nur im erholten Zustand bei einem Wettkampf präsentieren kann. Denn im ermüdeten Zustand kann man nicht seine optimale sportliche Leistungsfähigkeit darstellen. Ein Wettkampf dient laut dem Sportwissenschaftler Arturo Hotz der „Leistungsentfaltung“, das Training der „Leistungsentwicklung“. Man müsste also sicherstellen, dass man einen Wettkampf zur Leistungsentwicklung ausschließlich gemäß der folgenden Vorgaben absolviert, damit man von einem Trainingswettkampf sprechen kann:

  1. Man läuft den Wettkampf in nicht 100%ig erholtem Zustand
  2. Man gibt nicht 100 % körperlichen Einsatz
  3. Man greift nicht sein mentales Limit an
  4. Der Trainingswettkampf führt zu keiner wesentlichen Reduzierung des Trainings vor und nach dem Wettkampf
  5. (Man läuft streng nach der Vorgabe des Trainers)

Foto: Altra

Achtung vor „Overracing“

Sollte ich diese Punkte nicht berücksichtigen, dann entfalte ich am Wettkampf meine Leistung und habe gemäß Arturo Hotz einen astreinen Wettkampf gefinisht. Ein Trainingswettkampf zielt aber auf die Leistungsentwicklung ab, also auf eine Verbesserung der sportlichen Form. Denn das ist schließlich das Ziel, welches die meisten von uns mit Training erreichen wollen. Wenn ich also vor und nach einem Wettkampf mehrere Tage das Training reduziere, kann das kein Trainingswettkampf sein, da das unterbrochene Training eine kontinuierliche Formentwicklung meistens unterbricht. Und wer das Training weder vorher noch nachher reduziert und den Trainingswettkampf mit 100 % Einsatz – sowohl körperlich als auch mental – gestaltet, wird sich früher oder später überfordern. Diese Überforderung durch „Overracing“ führt bestenfalls dazu, dass man seine optimale sportliche Form in diesem Sommer nicht erreichen wird. Im schlimmsten Fall landet man mit einem Ermüdungsbruch beim Orthopäden oder muss aufgrund eines Übertraining-Syndroms die Saison vorzeitig beenden.

Wettkämpfe sind meist belastender als Training

Trotz dieser Gefahr greifen aber nun viele Trailenthusiasten die oben genannten Vorgaben dankbar auf und sehen darin die Legitimation, einen Trainingswettkampf nach dem nächsten einzubauen. Man gehe ja nicht an sein persönliches Leistungslimit, zeige nicht seine höchste sportliche Leistung. Dabei übersehen viele die massive Belastung, die auch ein nicht mit 100 % Einsatz gelaufener Wettkampf auf den Körper hat. Denn wann donnert man schon im Training mehrere hundert oder gar Tausend Höhenmeter in einem oder mehrere Downhills hinab? Wann geht man im Training über mehrere Stunden zu 80 oder sogar 90 % an sein Limit? Man kann es drehen und wenden wie man möchte: Ein Trailwettkampf kann nur im seltensten Fall ein Trainingswettkampf sein.

Foto: Altra

Es ist möglich, Training durch Wettkämpfe zu ersetzen

Möchte man wirklich einen Wettkampf als gezielten Trainingswettkampf einsetzen, gibt es aber tatsächlich ein paar Möglichkeiten:

  1. Einsatz als Tempolauf-Ersatz

Man kann sich einen kürzeren Trailwettkampf als Tempolauf-Ersatz aussuchen. Wenn z.B. auf dem Trainingsplan steht, man solle 800 Höhenmeter am Stück richtig schnell bergauf laufen bzw. hiken, bietet sich die Teilnahme an einer Kurzdistanz an. So gibt es zahlreiche Wettkämpfe zwischen 15 – 25 km mit ca. 800 – 1.200 Höhenmetern. Nutze solch einen Wettkampf und laufe die positiven Höhenmeter mit vollem Einsatz. Die Konkurrenz kann dir dabei helfen, vielleicht sogar einen kleinen Tick mehr zu geben als das, was du im Training geben könntest. Die Downhill- und eventuellen Flachpassagen läufst du aber ganz ruhig. Das kostet mitunter viel Selbstvertrauen und Überwindung, die anderen Läuferinnen und Läufer nun davonziehen zu lassen. Wer damit nicht zurechtkommt, kann natürlich einen klassischen Berglauf als Trainingswettkampf auswählen, da hier das Bergablaufen entfällt.

  1. Einsatz als Ersatz für den langen Lauf am Wochenende

Mittel- und kurze Ultradistanzen (30 – 50 km) eignen sich hervorragend, einen langen Trainingslauf in der Vorbereitung für einen noch deutlich längeren Trailwettkampf durch einen Trainingswettkampf zu ersetzen. Wer z.B. einen 8-stündigen Long Run auf dem Trainingsplan stehen hat, kann stattdessen an einem Trailwettkampf teilnehmen, für den sie oder er bei 100 % Einsatz fünf bis fünfeinhalb Stunden brauchen würde. Am besten sortiert man sich am Start weiter hinten als üblich im Feld ein und startet gemütlich ins Rennen. Wer von vornherein weiß, dass er oder sie Probleme haben wird, sich zurückhalten, sollte die Pacing-Tools der verschiedenen Sportuhren-Hersteller nutzen, um nicht zu überziehen.

  1. Einsatz als „Gut“-Training

Ein langer Trainingswettkampf kann auch dafür genutzt werden, seinen Magen und Darm (englisch: gut) zu trainieren. Denn bei Wettkämpfen gibt es in regelmäßigen Abständen Verpflegungsstationen. Im Training müsste man selbst die gesamte Verpflegung am Körper tragen, vorher irgendwo deponieren oder man müsste Freunde bitten, die Verpflegung auf der Trainingsstrecke zu reichen. So kann man auf relativ komfortable Weise seinen Magen-Darm-Trakt auf die Strapazen des „richtigen“ Wettkampfs vorbereiten. Aber Achtung: Laufe gemütlich!

  1. Einsatz als Downhill-Training (Technik-Training)

Man kann einen Trainingswettkampf auch dazu nutzen, um seine Downhill-Skills zu verbessern. So kann man eventuell hinter anderen Läuferinnen und Läufern herlaufen und die Schrittfolge imitieren. Dies ist vor allem für etwas unsichere Akteure im Downhill extrem hilfreich, um die Trittsicherheit zu erhöhen, da man nicht selbst entscheiden muss, wo man den nächsten Schritt hinsetzt. Ein anderer Grund ist die Simulation der Rennsituation, denn im Feld ist es manchmal schwieriger, wenn man überholt wird oder im Downhill selbst überholen muss. Zudem sollte man seine Muskulatur hin und wieder an das schnelle Bergablaufen gewöhnen. Damit der Wettkampf ein Trainingswettkampf wird, versteht es sich von selbst, bergauf ruhig zu laufen und nicht unbedingt den gesamten Downhill zu ballern, sondern nur Teile des Downhills.

Egal, zu welchem Zweck du nun einen Trainingswettkampf in dein Training einbaust. Achte darauf, dass du dich und deinen Körper nicht überforderst. Und halte dich an unsere Vorgaben, damit dein Trailrunning-Sommer ein langer und schöner wird.

Humboldt: Abenteurer, Entdecker und erster Ultratrailläufer der Geschichte?

Spalt ist nicht Chamonix – Ein Plädoyer für Trail-Wettbewerbe im Mittelgebirge