Liebe Trailrunner, ihr trainiert alle falsch!

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Trailrunner laufen zu viel, zu lang und zu hart! Unser Autor Markus erklärt, was Trailrunner von Straßenläufern lernen können. Und warum Trailrunner Spaß daran haben, den Leistungsfortschritt abzuwürgen.

„Lass uns heute eine lockere Runde auf den Wank* laufen. Sind ja nur 1.000 Höhenmeter und 12 Kilometer. Aber wirklich ganz easy.“ Diese Aufforderung unter Trailrunnern wirkt im ersten Moment völlig harmlos. So oder so ähnlich könnte auch ein Satz im Taunus, Fichtelgebirge, Bayerischen Wald oder Harz aussehen. Einfach mal eine gemütliche Runde mit vielen Höhenmetern laufen. Was ist schon dabei?

(*der Wank ist einer der Hausberge Garmisch-Partenkirchens und ist 1780 m hoch)

Irgendwo anders im Tal. „Lass uns heute 12 km ganz locker laufen. Wir sollten aber auf keinen Fall schnell laufen, sodass unser Puls irgendwo in Zone 1 oder Zone 2 bleibt.“ Schon wieder wollen ein paar Läuferinnen oder Läufer 12 Kilometer laufen. Doch dieses Mal anscheinend komplett ohne Höhenmeter und mit einer strikten Tempo- und Pulsvorgabe.

Zweimal also 12 Kilometer, zweimal also einfach nur ein lockerer Lauf. Man könnte meinen, diese beiden Trainingseinheiten sind nahezu identisch. Nur einmal eben unterhalten sich zwei Trailrunner, und das andere Mal zwei Straßenläufer. Man könnte zudem ebenfalls meinen, dass beide dieselben Ziele und Motive verfolgen: Spaß haben, Freude an Bewegung, soziale Kontakte pflegen, Natur genießen, sich selbst und den Körper spüren, gesund bleiben, Leistungsfortschritte erzielen. Ich will mich auf das letztgenannte Ziel beschränken, den Leistungsfortschritt. Ich behaupte nämlich, dass sehr viele Trailrunner genau dieses Ziel unwissentlich, aber auch mit voller Absicht, sabotieren.

Downhilllaufen ist immer eine muskuläre Belastung, sagt unser Autor. Foto: Craft (Aufmacherfoto: Craft)

Am Berg gibt es keine echten Regenerationseinheiten

Für viele Trailrunner gehören Wettkämpfe zu ihrem Sport dazu. Auch wenn oftmals von vielen innerhalb der Community betont wird, dass Trailrunning nicht so kompetitiv und verbissen wie der Straßenlauf sei, so haben viele Trailrunner das Ziel, beständig besser zu werden. Sei es, längere Distanzen zu schaffen oder eben schneller das Ziel zu erreichen als man selbst im vergangenen Jahr oder als andere Mitläuferinnen und Mitläufer.

Deshalb werden im Laufe einer Trailrunningsaison nicht nur die Umfänge beständig erhöht, sondern natürlich auch Intervalle in das Training integriert. Da wird dann gewissenhaft überlegt, wann man welche Intervalle mit welcher Intensität und mit welchem Umfang läuft. Die Pausen zwischen den Intervallen werden akribisch geplant. Man überlegt, ob man lieber Intervalle in der Ebene läuft oder doch Bergintervalle einbaut. Dies gilt übrigens auch für Straßenläufer. Auch diese planen ihre Intervalleinheiten minutiös und überlegen sich, was sie wann trainieren wollen.

Wenn man die Intervalleinheit genau nach Plan durchgezogen hat, ist man stolz auf sich und freut sich schon darauf, wie gut denn die Form sein wird, wenn man den 8-Wochen-Block überstanden hat. Meine Hypothese lautet nun, dass sich Straßenläufer nach solch einem 8-Wochen-Block mit ziemlicher Sicherheit über einen größeren Leistungsfortschritt freuen können als Trailrunner.

Wie komme ich zu meiner gewagten Aussage? Wie eigentlich alle Läufer wissen, erfolgt der Leistungszuwachs nicht während eines Intervalltrainings, sondern in den Stunden und Tagen danach. In der Regenerationsphase hat der Körper Zeit, sich anzupassen und auf die Trainingsreize zu reagieren. Dies kann er allerdings nur, wenn er die nötige Ruhe dafür bekommt. Mit Ruhe ist natürlich unter anderem gemeint, dass man seinem Körper ausreichend Schlaf gönnen muss. Aber mit Ruhe ist nicht unbedingt gemeint, dass man in den Tagen nach einem harten Intervalltraining nur faul auf der Couch liegen soll. Es muss der richtige Zwischenweg zwischen körperlicher Betätigung und Ruhe in den ersten 72 Stunden nach einem Intervalltraining gefunden werden.

Mal wieder übertrieben? Foto: Craft

Downhilllaufen ist immer eine muskuläre Belastung

Im Optimalfall läuft man in den ersten zwei Tagen nach einem Intervalltraining nur ruhige Dauerläufe. Damit sind Dauerläufe gemeint, bei denen der Puls innerhalb der Zonen 1 – 2 bleibt, also nicht über 65 – 75 % der maximalen Herzfrequenz hinausgeht. Das ist für die allermeisten Läuferinnen und Läufer ein sehr ruhiges Tempo. In der Ebene ist so ein Tempo relativ leicht einzuhalten. Man trabt locker vor sich hin und unterhält sich im Bestfall mit seinen Lauffreunden. Bergauf hingegen verlässt man diesen ruhigen Pulsbereich relativ schnell.

Und genau hier kommt jetzt der besagte lockere Lauf zum Wank ins Spiel. Auch wenn man gefühlt locker den Berg hinaufgeht oder langsam läuft, steigt der Puls relativ schnell in Bereiche der Zone 2 – 3. Dies ist für viele immer noch eine angenehme Intensität, bei der man sich gut unterhalten kann. Doch eigentlich ist diese Intensität zu hoch. Vor allem wenn man bedenkt, dass man für 1.000 Höhenmeter schnell mal 80 – 90 Minuten benötigt, wohingegen der Straßenläufer seine lockeren 12 Kilometer in 60 – 70 Minuten läuft. Und der Trailläufer ist ja dann erst oben am Gipfel und muss noch 30 – 40 Minuten Downhill laufen.

" Auch wenn man gefühlt locker den Berg hinaufgeht oder langsam läuft, steigt der Puls relativ schnell in Bereiche der Zone 2 – 3. Eigentlich ist diese Intensität zu hoch. "

Markus Brennauer

„Aber der Downhill ist doch nicht anstrengend“, werden jetzt sofort viele Trailrunner einwenden. Natürlich ist der Downhill für das Herzkreislaufsystem kein großes Problem, unter der Voraussetzung, man läuft wirklich schön locker den Berg hinab. Es gibt aber ein anderes Problem, welches die Regeneration nach einem Intervalltraining verzögern kann. Nach einem Intervalltraining ist die Muskulatur minimal angeschlagen. Meist spürt man das nicht. Ein ruhiger Dauerlauf in der Ebene in Zone 1 – 2 fördert unter Umständen den Reparationsprozess in den Muskelzellen durch die Ausschüttung von HGH (Human Growth Hormon). Dieses Wachstumshormon ist entscheidend für die Regeneration und die Anpassung des Körpers an neue Belastungen.

Neueste Studien zeigen, dass ein lockerer 30-minütiger Lauf dahingehend bereits ausreicht und dabei mehr HGH produziert wird als in Ruhe. Durch einen Traillauf auf den Wank wird natürlich auch HGH produziert. Allerdings führt der Downhill, vor allem ein schnell gelaufener Downhill, dazu, dass die Muskulatur erneut minimal in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies gilt vor allem dann, wenn man nach längerer Trailpause erst wieder beginnt, bergauf und bergab zu laufen. Oder man läuft, weil es gar so viel Spaß macht, schneller bergab als sonst. Dann verzögert sich die Regenerationszeit immens und die Intervalle führen nicht zu dem Leistungsfortschritt wie bei einem Straßenläufer, der streng nach Tempo- bzw. Pulsvorgabe in der Ebene läuft.

Auch Trailrunner sollten flache Straßenläufe in ihr Training einbauen, meint unser Autor. Foto: Craft

Die Einheiten von Trailrunnern sind zu lang

Kommen wir noch einmal auf den lockeren Lauf auf den Wank zurück. Man läuft oder geht 90 Minuten nach oben, macht oben 30 Minuten Pause und läuft noch einmal 30 – 40 Minuten bergab. Schnell vergehen also zwei bis drei Stunden, die man auf den Beinen ist. Straßenläufer laufen selten länger als 90 Minuten. Selbst Marathonläufer sind meist kürzer unterwegs. Selbst Weltklasse-Straßenläufer laufen selten mehr als 12 – 13 Stunden pro Woche. Die meisten Hobbystraßenläufer kommen auf nicht mehr als 4 – 6 Stunden reine Laufzeit pro Woche. Die meisten Trailrunner können über solche Umfänge nur lachen. Da sind 10 Stunden ganz schnell geschafft, auch 15 Stunden und mehr sind keine Seltenheit. Natürlich sollte man für einen Ultratraillauf viel Trainingszeit investieren. Doch Trailrunner sind oftmals zu lange auf den Trails unterwegs und sabotieren so ihren Leistungsfortschritt. Denn wer seinen Körper ständig belastet und nicht zur Ruhe kommen lässt, wird nicht das Optimum aus seinem Körper herausholen zu können.

" Wer als Trailrunner nur Spaß haben und ständig die Berge rauf und runter laufen will und dabei keine Rücksicht auf seinen Körper nimmt, der wird auf lange Sicht nicht das Optimum aus seinem Körper herausholen können. "

Markus Brennauer

Trailrunner laufen zu viele Wettkämpfe

Kommen wir noch zu einem weiteren Punkt, warum Trailrunner meiner Meinung nach gerne sich selbst „zerstören“: der überfrachtete Wettkampfkalender. Man nimmt sich natürlich vor, bei dem ein oder anderen Wettkampf vielleicht nicht ganz ans Limit zu gehen. Aber nichtsdestotrotz wird man lange Zeit in Zone 3 oder 4, vielleicht sogar auch kurzzeitig in Zone 5 unterwegs sein. Und dies über mehrere Stunden. Was vielleicht für die Profis mit ihrer überragenden Grundlagenausdauer und ihrer Fähigkeit zur schnellen Regeneration klappen kann, ist für den Großteil der Trailrunner ein trainingstechnischer Unsinn. Natürlich macht es Spaß bei einem Trailwettkampf dabei zu sein. Doch nach einem mehrstündigen Wettkampf braucht der Körper Wochen, mitunter Monate, um wieder vollständig erholt zu sein. Hier sind Straßenläufer oftmals vernünftiger bzw. die klassischen Straßenläufe sind von der Wettkampfzeit her wesentlich kürzer und dadurch weniger belastend.

Wer diesen Artikel bis hierhin aufmerksam gelesen hat, wird jetzt sicherlich darauf warten, wie man als Trailrunner Spaß haben und Leistungsfortschritte erzielen kann. Die Antwort wird wahrscheinlich nicht allen gefallen. Wer auf Leistungsfortschritte aus ist, muss nicht nur die Intervalle akribisch planen, sondern auch die Dauer- und Bergläufe. Und wer weiß, dass sie oder er bergauf nicht in Zone 1 oder in der niedrigen Zone 2 bleiben wird, sollte auf Bergläufe am Tag nach Intervallen komplett verzichten. Spaß und Leistungsfortschritt schließen sich natürlich nicht aus. Wer aber als Trailrunner nur Spaß haben und ständig die Berge rauf und runter laufen will und dabei keine Rücksicht auf seinen Körper nimmt, der wird auf lange Sicht nicht das Optimum aus seinem Körper herausholen können.

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