Ausgelaufen? Wenn die Motivation verloren geht 

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„Boa, ich hab heut echt keinen Bock.“ Diesen Gedanken kennen wir wohl alle, und auch die 1001 Gründe dahinter: Regen, Kälte, keine Energie, schlechte Laune, die Lieblingssocken in der Wäsche… Na und, kann man sich jetzt denken. Dann macht man halt mal eine Pause. Aber was, wenn das „mal“ zum Dauerzustand wird? Das „heute nicht“ zum „ich zieh diese Drecks-Laufschuhe nie mehr an“?

4. Mai 2024, irgendwann am Nachmittag: Ich überquere die Ziellinie des K35 beim IATF. Hinter mir liegen ein paar Stunden emotionale Achterbahnfahrt, von „so ein verf*** Sch***, was für eine verdammte–“ bis „bester Tag ever!!“ Im Ziel komme ich mit einem soliden „ich liebe das!“ an. Meine bisher längste Distanz, geschafft! Euphorie ist gar kein Ausdruck.

Ein paar Tage später ist meine Wahlheimat Innsbruck wieder im Normalzustand. Die Trails rund um die Stadt sind wahrscheinlich wieder leerer. Wahrscheinlich, denn ich habe keine Lust, es rauszufinden. An meinen Trailschuhen klebt immer noch der Dreck vom schlammigen Uphill – mir egal. Meine Standard-Laufpodcasts veröffentlichen neue Folgen – mir egal. Der IATF-Veranstalter schickt eine „Danke an alle“-Mail raus – mir egal, löschen. Der Höhenflug vom Renntag ist zu einem „lasst mich doch alle in Ruhe“ geworden. Was ist da passiert, und vor allem: Wie komme ich da wieder raus?

Vorweg: Motivationstiefs kennen wir alle. Dass ein Training bei Regen und Wind nicht gerade das höchste der Gefühle ist oder die Beine manchmal richtig schwer sind: geschenkt. Und während Profis wie Kimi Schreiber mehrmals am Tag trainieren, um ihr Leistungslevel zu erhalten, kann es uns Normalos eigentlich egal sein, wenn mal eine Einheit ausfällt. Wir machen das schließlich „nur“ zum Vergnügen. Oder? Ja und nein, denn es geht hier weniger um diese einzelnen Tage als vielmehr darum, mental gegen eine Wand zu laufen.

Hallo, (Mini-)Identitätskrise

Wer regelmäßig läuft, identifiziert sich irgendwann als Läuferin oder Läufer. Die Frage, ab wann man eigentlich Trailrunner ist, ist zwar wieder eine andere – aber unterm Strich sieht man sich selbst früher oder später in einem neuen Licht. In meinem Fall heißt das, dass ich mich beim Laufen stark fühle. Ich bin weder schnell noch technisch versiert oder sonderlich elegant (eher wie ein sehr langsam hoppelndes Kaninchen), aber eben doch: stark. Wer bin ich also, wenn ich nicht mal mehr die Laufschuhe anziehe, wenn das ganze Thema nur noch nervt? Wohl doch nicht so stark, wie ich gedacht habe, sonst könnte ich mich doch aufraffen und weitermachen.

Diesen Ansatz präsentiert uns jedenfalls die Ratgeberliteratur als Lösung. Das vielzitierte Mindset muss stimmen: Wir sollen uns selbst überwinden, Prioritäten setzen, uns die Zeit nehmen. Die oben erwähnten Gründe, die Schuhe mal stehenzulassen? Alles Ausreden. Just do it, um es mit dem Nike-Slogan zu sagen. Das ist per se kein schlechtes Motto – solange dieses „it“ sinnvoll definiert wird. Hauptsache machen also. Und was genau? Dafür gibt es zwar, wer hätte es gedacht, keine Pauschallösung – aber doch diverse verschiedene Ansätze.

Foto: Altra

#1 Mach eine Pause.

Hä? Was bringt eine Pause, wenn du genau das Gegenteil erreichen willst, nämlich wieder aktiver sein? Zeit für die gute alte Küchenphilosophie: Es gibt immer einen guten Grund, wenn du nicht mehr weiterkannst. Ob die Überlastung körperlich oder mental ist, spielt gar keine so große Rolle. Die Hauptsache ist, diesen Grund nicht zu ignorieren, sondern ihm ins Gesicht zu schauen und sich aus der Stresssituation herauszunehmen, so gut es geht. Der letzte Teil ist entscheidend, denn nein: Das funktioniert natürlich nicht in jeder Lebenslage. Ich rede hier nicht davon, das schreiende Kleinkind im Nebenzimmer sitzenzulassen, weil einfach gerade alles zu viel ist. Ich meine die Freiheit, die du im Hobbysport definitiv hast: Abstand zu nehmen. Du kannst rauszoomen und ganz offen sagen: Na gut, dann laufe ich halt gerade nicht. Ist so. Und irgendwann wird es wieder anders sein.

Ja, „akzeptieren“ klingt erstmal banal, aber einfach ist es nicht. Wenn dir dabei also die Ansprüche an dich selbst in den Weg kommen: schraube sie nach unten. Was soll passieren? Kommt die Trainingspolizei und verhaftet dich, weil du dich nicht hart genug pushst? Nö. Und 1 Kilometer spazieren zu gehen oder 2 Kilometer im leichten Joggingschritt zu schaffen, ist schon mehr als nichts.

#2 Hyper, hyper!

(Mentale) Überlastung ist für dich kein Thema, du fühlst dich nur einfach außer Form? Du siehst andere Leute beim scheinbar mühelosen Laufen und denkst dir, „das ist doch peinlich, wenn ich da jetzt daherschleiche“? Nein, ist es nicht.

Wenn der Kopf startklar ist, aber sich der Körper noch zu träge anfühlt, brauchst du vielleicht einfach nur deinen persönlichen Hype. Das können Podcast-Folgen sein, oder deine eigenen Fotos von einem extraguten Trail-Tag, oder Filme (wie „Trail der Träume“ auf Netflix). Oder, wenn nicht so viel Zeit ist, Videos von Zieleinläufen. Achtung, jetzt wird’s kitschig, aber ich stehe dazu: Wenn ich zum Beispiel sehe, wie Ida-Sophie Hegemann mit ihrer kleinen Schwester die Ziellinie beim ZUT überquert, oder wie Kinzang Lhamo bei den olympischen Spielen den Marathon doch noch ins Ziel bringt, dann macht das was mit mir. Kitsch hin oder her, das Prinzip ist jedenfalls simpel: whatever works. Such dir Inhalte, bei denen es dir früher oder später wieder in den Füßen kribbelt.

#3 Ein Job für den Drill Sergeant.

Pausen sind wichtig, siehe Punkt 1. Trotzdem müssen wir an der Stelle das Pflaster abreißen: Manchmal macht man es sich eben doch zu bequem in der „ach, heute nicht“-Bubble. Vielleicht ist es also einfach an der Zeit, den Drill Sergeant in dir rauszulassen? (Und ja, als selbsternannte Ausreden-Queen spreche ich aus Erfahrung.) Ich weiß nicht, wie viel ich schon mit mir debattiert habe, um dann am Ende zu dem Schluss zu kommen: Es nieselt nur. Du hast eine Regenjacke. Los jetzt. Und wenn das noch nicht reicht, kannst du das Prinzip der simulierten Unbedingtheit ins Boot holen – kurz gesagt, den Gedanken „Alles oder nichts“.

Motivation Trailrunning

Foto: Altra

#4 Warum mache ich das eigentlich?

Irgendwann hast du mit dem Trailrunning bzw. Laufen angefangen. Du hättest jederzeit wieder aufhören können. Aber du hast weitergemacht. Warum? Vermutlich doch deshalb, weil du etwas Positives damit verbindest. Anders gesagt: Vielleicht ist es jetzt gerade mühsam, eintönig, teilweise frustrierend. Aber irgendwann kommt sie, die nächste Belohnung. Dann schaffst du eine lange Distanz, landest zufällig auf einem neuen Trail, machst Pause mitten auf der Bergwiese oder im Wald, schaffst es einen schwierigen Downhill runter, bist stolz auf dich. Mir persönlich fällt nichts ein, was an solche Momente rankommt. Hol sie dir alle! Mach weiter.

#5 Ich muss gar nichts.

Wenn es eins gibt, was wir liefern sollen, ständig, überall und andauernd, dann ist es Leistung. Beim Laufen äußert sich das zum Beispiel dann, wenn es um die Stats geht: Pace, Distanz, Gesamtzeit, Intervalle, Trainingsplan – na, erzähl mal, was hast du da so zu bieten?

Diesen Anspruch auszublenden und beim Training in erster Linie auf sich selbst zu hören (wie das übrigens auch Courtney Dauwalter macht), ist da fast schon eine kleine Rebellion. Wenn du „jetzt nicht“ sagst, deine Strecke spontan verkürzt oder ganz ausfallen lässt, dich für ein DNF entscheidest oder auf irgendeine andere Weise vom eigentlichen Plan abweichst – dann pfeifst du damit auf Erwartungen. Das kann sich ziemlich gut anfühlen. Und am Ende ist es vielleicht genau der (neue) Zugang zum Laufen, den du brauchst, um wieder in deinen Rhythmus zu finden.

Oder wie Juliane Bruneß es in ihrem Buch „Die Essenz des Laufens“ formuliert: „Beim Laufen muss ich nichts. Die Bestimmung lautet, zu sein, laufend.“

Too long, didn’t read: Fazit

Motivation, sportliche Leistung, Training – das alles ist nicht linear. Genauso wenig, wie Laufen „nur“ ein Hobby ist. Wir laufen immer auf etwas zu, vor etwas davon oder beides gleichzeitig. Wenn die Motivation auf einmal wegfällt, kann es helfen, sich einmal genau mit dieser „Laufrichtung“ auseinanderzusetzen: Wo stehe ich gerade? Was brauche ich? Diese Fragen kannst nur du beantworten und entsprechend gibt es keinen pauschalen Trick 17, der dich wieder anfeuert und nach draußen treibt. Wäre auch irgendwie langweilig, oder? Sicher ist aber jedenfalls: Wenn es eine Weile dauert, bis du zurück in deine eigene Routine findest, ist das nicht das Ende der Welt. Es läuft, wie es läuft. Bei mir übrigens auch wieder (nach einer wilden Mischung aus allen 5 Punkten): Die Beziehungskrise haben wir überstanden, meine Trailschuhe und ich.

Jack Kuenzle: Der Unangepasste

BOA Fit – gedreht, nicht geschnürt!