Der Tod und der Trail

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Vor wenigen Wochen starb beim Hardrock 100 eine Läuferin auf der Strecke. Immer wieder kommt es bei Trailrunning Veranstaltungen zu Vorfällen mit tödlichem Ausgang. Die Gründe sind vielfältig. Ist Trailrunning ein gefährlicher Sport? Wir haben uns einige tödliche Vorfälle bei Trailrunning-Veranstaltungen näher angeguckt.

„Das Wettlaufen am Berg ist nicht vernünftig. Sicherlich kann man diese Bergläufe auf Hügeln bei München machen, aber nicht bei richtig hohen Bergen.“ Dieses Zitat stammt von Reinhold Messner. Der Extrembergsteiger machte diese Aussage im Jahr 2008, kurz nachdem beim Zugspitz-Extremberglauf zwei Läufer starben: „Diese Leute sind wie die Lemminge in eine Dummheit gelaufen. Die Verantwortung liegt bei beiden – Organisatoren und Teilnehmern. Bergsteigen hat nichts mit Wettlaufen zu tun“, führt der Südtiroler weiter aus.

Aus heutiger Sicht klingt es etwas paradox, wenn jemand, der bei seinen Besteigungen aller 8000er-Gipfel der Welt mehrmals nur knapp dem Tod entronnen ist, das Laufen am Berg als gefährliche und unverantwortliche Aktivität an den Pranger stellt. Trailrunning im Jahr 2025 ist schon lange keine Hochrisikosportart mehr. Das Wettlaufen in alpinen Regionen – bis auf Höhen von knapp über 3000 Metern – ist längst zur Normalität geworden. Von Extremsport ist mitunter noch die Rede, vor allem wegen der langen Distanzen der Rennen, aber nur selten wegen der alpinen Gefahren. Wer an einem Trailrunning-Wettkampf teilnimmt, begibt sich nicht in Lebensgefahr. Und dennoch ist der Tod bei Trail-Veranstaltungen nicht vollständig abwesend. Erst vor zwei Wochen starb eine 60-jährige Teilnehmerin beim Hardrock 100. Kurz vor Veröffentlichung dieses Textes erreichte uns die Nachricht, dass am 26.07. beim Bucovina Ultra in Rumänien ein Läufer in einem plötzlichen und ungewöhnlich starkem Gewitter verstarb. Nicht oft – aber in regelmäßigen Abständen – kommt es bis heute zu tödlichen Vorfällen. Warum? Die Antwort ist komplex.

Zwei Tote beim Zugspitz-Extremberglauf

2008 hatte das Trailrunning vielleicht in den USA oder in Frankreich bereits größere Bekanntheit erlangt, im deutschsprachigen Raum aber steckte es noch in den Kinderschuhen – oder besser gesagt: in Windeln und Kinderwagen. Es gab weder den Zugspitz Ultratrail noch das Trail Magazin. Damals lief man Marathon. Auf der Straße. Und wenn einem das zu fad wurde, meldete man sich vielleicht für den Zugspitz-Extremberglauf an. Dieser Lauf wurde damals von der getgoing GmbH aus Garmisch-Partenkirchen organisiert und führte von Ehrwald hinauf auf den Zugspitzgipfel. Was am 13. Juli 2008 geschah, prägte den Berglauf und das frühe Trailrunning nachhaltig. Bei circa 15 Grad und leichtem Regen stellten sich 400 Teilnehmende in Ehrwald an den Start. Viele waren lediglich mit Shorts und Singlet bekleidet – so wie bei Stadtmarathons üblich. Eine Pflichtausrüstung gab es nicht. Im Vorjahr hatte Veranstalter Peter Krinninger Kritik einstecken müssen, weil er das Rennen aus Sicherheitsgründen vorzeitig am Berggasthof Sonnalpin auf 2600 Metern abgebrochen hatte.

2008 erreichte Sieger Martin Echtler nach zwei Stunden und sieben Minuten das Ziel des 16 Kilometer langen Laufs mit 2100 Höhenmetern. Der Zugspitzgipfel ist zu diesem Zeitpunkt tief eingeschneit. Die Wettersituation hat sich dramatisch zugespitzt. Auf dem letzten Abschnitt zwischen Sonnalpin und Gipfel herrschen -6 Grad, es schneit und der Wind weht scharf. Die Läuferinnen und Läufer kämpfen nicht mehr gegen die Distanz oder ihre Konkurrenz, sondern gegen die Kälte – und ums nackte Überleben. Auf der an der Strecke liegenden Knorrhütte und dem Schneefernerhaus spielten sich dramatische Szenen ab. Läufer berichten von Teilnehmenden, die zitternd am Boden liegen und nicht mehr ansprechbar sind. Rund 100 Bergretter sind im Einsatz. Ein Hubschraubereinsatz ist bei diesen Bedingungen unmöglich. Zwei Teilnehmer – beide zwischen 40 und 45 Jahre alt – verlieren an diesem Tag ihr Leben. Sechs weitere müssen mit lebensbedrohlichen Zuständen (teilweise 33 °C Körpertemperatur) intensivmedizinisch behandelt werden. Das Bild vom „verantwortungslosen Bergläufer“ in kurzer Hose und T-Shirt prägte tags darauf die Berichterstattung der landesweiten Medien.

Den Zugspitz-Extremberglauf gab es noch bis 2013. Ab 2014 übernahm die Agentur Plan B die Organisation und richtete ihn unter verändertem Konzept und anderem Namen (Scott Rock the Top – die Zugspitz Trailrun Challenge) noch drei Jahre lang aus. Doch selbst über das Jahr 2017 hinaus blieb der Lauf im kollektiven Gedächtnis von Bergläufern, Trailrunnern und Veranstaltern. Pflichtausrüstungen mit wärmender Kleidung und Alternativrouten bei Schlechtwetter gehören seither zum Standard jeder alpinen Trailrunning-Veranstaltung. An diesem Tag im Juli 2008 wurden Fehler gemacht, die danach nie wieder passierten. Es war nicht der letzte tödliche Vorfall bei einem Trail-Event, doch an Unterkühlung oder mangelhafter Ausrüstung ist seither im deutschsprachigen Raum niemand mehr gestorben.

2021: Die Tragödie in China

Eine ähnliche Tragödie ereignete sich 2021 in China – mit noch gravierenderen Folgen. Beim Yellow River Stone Forest 100K in der Provinz Gansu kamen durch einen plötzlichen Wettersturz 21 Menschen ums Leben. Auch hier war die Ursache Unterkühlung. Die Veranstalter und die lokale Regierung gerieten unter starken Druck. Die Bürgermeisterin von Baiyin trat zurück, strafrechtliche Verfahren wurden eingeleitet, und eine landesweite Debatte entbrannte. Die chinesische Regierung verbot daraufhin auf unbestimmte Zeit alle „Extremsportveranstaltungen im Freien“. Erst ab 2022 fanden wieder Trailrunning-Wettkämpfe in China statt.

Ein völlig erschöpfter Läufer wird beim Zugspitz Extremberglauf 2008 von zwei Helfern gestützt © APA /dpa

Herzstillstand, Kälte, Stürze: Die Todesursachen beim Trailrunning

Der Tod von Elaine Stypula beim Hardrock 100 vor wenigen Wochen löste innerhalb der Trailrunning-Community Bestürzung und Trauer aus. Große Debatten, wie sie an der Zugspitze oder in China entstanden, blieben jedoch aus. Der Grund: Die 60-jährige Läuferin kollabierte nach drei Stunden Rennzeit. Auch wenn eine offizielle Todesursache bisher nicht bekannt ist, kann von einem organischen Versagen ausgegangen werden. Elaine Stypula wusste genau, was sie tat. Die mehrmalige Hardrock-Finisherin hatte in ihrem Leben bereits unzählige Ironman-Wettkämpfe sowie Lauf-Events von 100 Meilen und mehr gefinisht. Solch ein Ereignis ist schwer zu verhindern. Italien hat es zumindest versucht: Dort wurde bereits im Jahr 1982 als Reaktion auf eine Serie plötzlicher Herztode bei Sportveranstaltungen die ärztliche Attestpflicht für Laufveranstaltungen eingeführt. Wer in Italien bei einem Lauf starten will, muss ein ärztliches Attest vorlegen, das die Eignung für sportliche Wettkämpfe durch einen Arzt bestätigt.

Tatsächlich ist der plötzliche Herzstillstand die häufigste Todesursache beim Trailrunning. In einer Studie wurden alle tödlichen Vorfälle während Bergläufen in Westeuropa zwischen 2008 und 2019 analysiert:

  • 43 % der Fälle waren auf Organversagen oder plötzlichen Herztod zurückzuführen
  • 32 % auf Stürze
  • 16 % auf Unterkühlung
  • je 4 % auf eine Kombination aus Sturz und Kälte bzw. auf Blitzschlag
  • 2 % auf Tierattacken

Die beiden schweren Ereignisse in China und an der Zugspitze brachten aus nachvollziehbaren Gründen den größten Aufschrei und die nachhaltigsten Konsequenzen mit sich. Beim Laufen in den Bergen an Unterkühlung zu sterben, ist jedoch angesichts der heutigen Sicherheitsvorkehrungen weit unwahrscheinlicher als Todesfälle, die auf Herzstillstand oder Stürze zurückzuführen sind. Dies spiegelt sich auch in den Vorfällen der letzten Jahre wider:

Beim Stubai Ultratrail 2023 kollabierte ein niederländischer Läufer und stürzte daraufhin eine Böschung hinab. Auch beim größten Trailrunning-Event der Welt, dem UTMB, gab es bereits zwei Todesfälle: 2021 stürzte ein Tscheche an einer der wenigen exponierten Stellen des TDS unglücklich und erlag seinen Kopfverletzungen. Auch im Jahr darauf kam es zu einem tragischen Unfall: Beim PTL stürzte ein brasilianischer Läufer in den Tod. Ein weiterer prominenter Todesfall ist der von Andrea Huser. Die beliebte und überaus erfolgreiche Ultratrail-Athletin aus der Schweiz stürzte bei einem Trainingslauf in die Tiefe, als sie einen halbgefrorenen Bach überqueren wollte.

Andrea Huser verstarb 2020 bei einem Trainingslauf © Facebook

Ist Trailrunning gefährlich?

Trotz dieser tragischen Fälle ist Trailrunning keineswegs als lebensgefährlicher Sport einzuordnen. 51 Todesfälle in zehn Jahren entsprechen laut der angesprochenen Studie einer Inzidenz von etwa 0,1 pro 1000 Teilnehmenden. Dies entspräche einem Mikromort Wert von 100. Mikromort ist eine Maßeinheit für das Risiko bei einer Aktivität zu sterben. Ein Mikromort entspricht einer Sterbe-Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1 Million. Es gibt nicht viele Quellen die das Sterberisiko für die Aktivität Trailrunning angeben. Zwar kann man Todesfälle untersuchen, aber es ist nicht einfach die Anzahl der Stichprobe festzulegen. 100 Mikromort aus genannter Studie ist ein vergleichsweise relativ hoher Wert. Andere Quellen sprechen Ultratrails eher ein Risiko von 10–30 Mikromort zu.
Zum Vergleich:

  • Marathonlaufen: 7–10 Mikromort
  • 1000 Kilometer Autofahren: etwa 4 Mikromort
  • Eine Schachtel Zigaretten rauchen: etwa 7 Mikromort

Diese Werte zeigen: Es gibt sicher risikoärmere Tätigkeiten als das Trailrunning in alpinen Regionen. Die Ursachen dafür sind vielfältiger Natur. Zu den Gefahren, in die man sich zwangsläufig begibt, wenn man sich der Wildnis aussetzt (Stürze und Erfrierungen), kommt vor allem das Risiko hinzu, das vom eigenen Körper ausgeht. Dass extremes Ausdauertraining auch mit einem erhöhten Risiko für Herzversagen einhergeht, ist hinlänglich bekannt.

Allerdings gibt es auch weitaus gefährlichere Tätigkeiten als das Laufen in den Bergen. Dem Bergsteigen im Himalaya etwa wird ein Wert von 12.000 Mikromort zugeschrieben. Womit wir wieder bei Reinhold Messner wären. Der Südtiroler forderte nach dem Ereignis an der Zugspitze gar, Wettkämpfe am Berg komplett abzuschaffen:„Es macht mich betroffen, wenn Leute nicht verstehen, was ein Berg ist. Der Sportplatz ist eigens präpariert für den Wettlauf, aber nicht der Berg.“ Vielleicht hat Messner sogar ein bisschen recht: In T-Shirt und Splitshorts die Zugspitze hinaufzulaufen, wirkt infam. Wären die Teilnehmenden des Zugspitz-Berglaufs bei Schneefall, Wind und Kälte weiter den Berg hinaufgestiegen, wenn oben nicht die rettende Zivilisation in Form einer wärmenden Bergbahn gewartet hätte? Wahrscheinlich nicht.

Was Messner hier missfällt, ist der fehlende Respekt vor dem Habitat Berg – aber keinesfalls das hohe Ablebensrisiko einer vergleichsweise harmlosen Bergsportart wie dem Trailrunning. Mit Risiken kennt Messner sich aus, ist er doch selbst in seinem Leben dem Tod mehrfach nur knapp von der Schippe gesprungen. Auch folgendes Zitat stammt von ihm:„Ohne Risiko kein Abenteuer, ohne Abenteuer kein Leben.“ Recht hat er. Abenteuer und Leben immer wieder dem Risiko vorzuziehen, ist ein Recht, das der Extrembergsteiger auch Trailrunnern und Bergläufern zugestehen sollte – zumal letzteres, wenn auch vorhanden, doch vergleichsweise gering ist.

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