Zwischen Abenteuer und Inszenierung: Trailrunning-Filme im Wandel der Zeit

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Trailrunning-Filme sind etwas Tolles. Immerhin: Für viele ist es ein Trailrunning-Film gewesen, der das Interesse an unserem Sport erst entfacht hat. Aber Trailrunning-Film ist nicht gleich Trailrunning-Film. Unsere Autorin begibt sich auf eine Zeitreise bis in die 80er-Jahre zurück und hat herausgefunden, dass sich der thematische Fokus der Filme verändert hat. Vom Abenteuerfilm hin zur Markeninszenierung?

Viele von uns Trail- und Ultraläufer:innen hatten ihr „Erweckungserlebnis“ durch ein Buch oder einen Film. Für manche war es Ultramarathon Man von Dean Karnazes, Eat and Run von Scott Jurek oder J.B. Bennas Unbreakable.

Für mich war es der Film A Race for the Soul, eine Dokumentation über den Western States Endurance Run 2001. Etwa 2008, noch als Straßenläuferin, war ich auf der Suche nach Marathon-Dokumentationen und stieß zufällig auf diesen Film. Ich war sofort „hooked“. Was hier gezeigt wurde, war ein fast schon anarchisches Event, die Antithese zu den großen und zunehmend kommerzialisierten Straßenmarathons. Eine Geschichte von Triumph und Tragik, von Psyche und Physis, von individueller Leistung und gemeinschaftlichem Zusammenhalt. Durch diesen Film bin ich nicht nur zum Trail- und Ultrarunning gekommen, ich habe danach jede Dokumentation über den Western States verschlungen, derer ich habhaft werden konnte. Doch Dokus zu finden war gar nicht so einfach. Damals gab es nur wenige Filme über Trail- und Ultrarunning, und selbst diese – meist noch auf DVD – waren oft nur schwer erhältlich.

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Der Western States als Filmkulisse

A Race for the Soul ist keineswegs die erste Dokumentation über den Western States. Schon 1982 und 1983 entstanden zwei Filme von CentreBurn Productions: Desperate Dreams I und Desperate Dreams II. Diese geben Einblick in die Ursprünge des Rennens als alles noch „Old School“ war: improvisierte Kleidung und Flaschenhalter statt High-Tech-Shirts mit lasergeschnittenen Belüftungsschlitzen oder ausgeklügelten Laufrucksäcken. Und das besondere Schmankerl bei Desperate Dreams II ist einer der spannendsten Zweikämpfe, den es beim Western States je gab: Den zwischen Jim Howard und Jim King. Desperate Dreams richtete sich an ein Publikum, dem Ultrarunning weitgehend unbekannt war. Und der Begriff „Trailrunning“ existierte damals überhaupt noch nicht. Leider sind die beiden Filme heute kaum mehr erhältlich.

Um die Jahrtausendwende änderte sich der Fokus der Dokumentationen über den Western States. Filme wie A Race for the Soul oder Running Madness, produziert im Jahr 2002 von Susan Cohn Rockefeller, dokumentierten nicht so sehr das Rennen an der Spitze. Diese Filme erzählten Geschichten über die existenzielle Seite des Laufens und sprachen damit ein neues Publikum an: Menschen, die mehr über die Motivation und mentale Stärke der Läufer:innen erfahren wollten. Ultrarunning wurde als Abenteuer und Grenzerfahrung inszeniert – eine Perspektive, die viele fesselte.

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Unbreakable: Ein Wendepunkt

Dann kam der Western States 2010. Da standen mit Geoff Roes und Anton Krupicka zwei Läufer am Start, die davor viele Siege eingefahren hatten. Daneben Hal Koerner, der Western States-Champion 2007 und 2009. Außerdem ein gerade mal 22 Jahre junger Kilian Jornet, UTMB-Sieger 2008 und 2009. Und dann stand da neben der Startlinie noch ein Filmemacher aus Reno, Nevada: J.B. Benna. Er und sein Team hatten sich vorgenommen, ebenfalls eine Doku über den Western States zu machen. Doch anders als die vorherigen Dokus, wollte er sich auf die vier genannten Top-Athleten fokussieren und sie portraitieren. Das wirkliche Novum war aber, dass man erstmals nicht nur Bilder aus den Aid Stations bieten wollte, sondern auch Bilder von der Strecke. Gar nicht so einfach, denn das Kameraequipment war damals noch richtig schwer. Was aus diesem Vorhaben entstanden ist, ist bis heute ein Klassiker des Genres, der Film Unbreakable. Allein auf der Plattform YouTube wurde der Film schon über 2,3 Millionen Mal angeschaut.

Dieser Film ist ein Wendepunkt, was das Storytelling angeht: J.B. Benna ließ sich viel Zeit für ein Portrait der Athleten, der Strecke und der Atmosphäre. Zudem hatte er ein sehr glückliches Händchen und konnte die entscheidenden Rennsituationen auf der Strecke einfangen.

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Mehr Filme, mehr Perspektiven

Auf Bennas Spuren folgten zahlreiche weitere Dokumentationen über den Western States. Billy Yangs Life in a Day wählte ein ähnliches Erzählmuster, diesmal jedoch mit vier Top-Athletinnen im Fokus. Ethan Newberrys A Decade On dokumentierte das Schicksal von Brian Morrison, der 2006 als Führender 300 Meter vor dem Ziel zusammenbrach, aber 2016 endlich seinen Belt Buckle erhielt. Auch Found on 49 erzählt eine unvergessliche Geschichte: Jim Walmsley führte 2016 mit einer Stunde Vorsprung, kam aber 10 Meilen vor dem Ziel vom richtigen Weg ab. Diese dramatischen Erzählungen trafen einen Nerv und machten Trailrunning noch populärer.

Ermöglicht wurde dieser Boom an Trailrunning-Filmen vor allem durch technische Fortschritte: Leichtere und robustere Kameras, Gimbals, Drohnen und erschwingliche Videobearbeitungssoftware ermöglichten beeindruckende Aufnahmen direkt vom Trail – bei gleichzeitig sinkenden Produktionskosten. Die 2010er Jahre wurden zum Jahrzehnt der Indie-Filmproduzenten wie Billy Yang, Jamil Coury, Matt Trappe oder Ethan Newberry. Die Filme wurden kürzer – meist mit einer Länge zwischen 30 und 60 Minuten. Perfekt, um sie bei den immer stärker aufkommenden Film-Festivals zu platzieren.

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Vom Mythos zur Marke

Parallel dazu professionalisierte sich der Trailrunning-Sport. Immer mehr Athlet:innen gaben ihre Jobs auf und wurden Profi, unterstützt von Ausrüstern wie Salomon, Adidas-Terrex oder Hoka. Diese Brands etablierten professionelle Teams, die die besten Läufer:innen weltweit unter Vertrag nahmen und erhöhten damit die Sichtbarkeit des Sports. Athlet:innen wurden zunehmend zu Markenbotschaftern.

Die Ausrüster erkannten schnell, welches Potenzial in den Trail-Filmen steckt: Sie sind ein perfektes Marketinginstrument. Salomon war hier der Vorreiter. Schon 2009 produzierten sie mit Kilians Quest eine ganze Serie von Kurzfilmen, die die Rennen und Abenteuer von Kilian Jornet dokumentierten. Drei weitere Serien folgten. Insgesamt entstanden auf diese Weise über 40 Kurzfilme, bei denen Kilian im Mittelpunkt stand. Dann verlagerte man den Fokus auch auf andere Salomon-Athlet:innen, arbeitete mit Top-Filmern zusammen: Sebastien Montaz, Dean Leslie, Max Romey. Es entstanden Filme wie Slow Motion, Every Single Street oder Wall Run.

Andere Ausrüster zogen nach, bauten ebenfalls Medienkanäle auf. Während früher oft Eigenmittel oder Crowdfunding die Finanzierung von Trail-Filmen sicherstellen mussten, treten heute Ausrüster als Sponsoren, vermehrt sogar als Auftraggeber, auf. Diese Entwicklung sollte großen Einfluss auf Stil und Inhalt der Trailrunning-Dokus haben.

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Zunächst änderte sich wieder mal das Format: Lange oder mittellange Dokumentationen wurden rar. Stattdessen dominieren nun kürzere Filme von 5–15 Minuten, die für soziale Medien optimiert sind. Diese Formate konzentrieren sich oft auf Athletenportraits und transportieren Markenbotschaften, während das individuelle Storytelling in den Hintergrund tritt. Selbst längere Formate wie 100 Reasons Why wirken stark markengetrieben. Die erzählerische Tiefe bleibt oft auf der Strecke, die Filme erscheinen austauschbar.

Aber auch die Themen haben sich verändert. Frühere Filme inszenierten Trailrunning als Abenteuer, Läufer:innen als Pioniere, die existenziellen Herausforderungen gegenüberstanden. Heute stehen oft Elite-Athlet:innen im Fokus, deren Herausforderung es ist, ihr Potential abzurufen. Natürlich können auch diese neuen Held:innen scheitern, aber es ist ein Scheitern auf sehr hohem Niveau. Und deshalb passiert es nicht selten, dass selbst fantastische Aufnahmen bei den Zuschauer:innen weniger Resonanz erzeugen als die herzzerreißenden Szenen früherer Filme, zum Beispiel wenn ein Läufer den Cutoff nicht erreicht und ihm das Starterbändchen abgeschnitten wird oder wenn eine Läuferin den Zielschluss um wenige Sekunden verfehlt und ihre ganze Verzweiflung in einem „NIE WIEDER“ hinausschreit.

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Live-Streaming: Der nächste Schritt

Seit etwa 2018 hat sich – besonders in Europa – ein neuer Trend im Trailrunning etabliert: Live-Streaming. Die Idee dahinter ist simpel, aber revolutionär: Warum spannende Rennen oder Rennszenen erst Wochen später in einer Dokumentation wie Miller vs. Hawks sehen, wenn man sie in Echtzeit verfolgen könnte?

Vorreiter wie die Golden Trail World Series und der UTMB liefern mittlerweile beeindruckende Live-Bilder aus unwegsamem Gelände – eine technische und organisatorische Meisterleistung. Mit Kameras, die von Mountainbiker:innen oder Läufer:innen getragen werden, können Zuschauer wesentliche Teile der Rennen hautnah miterleben. Möglich gemacht haben dies technische Fortschritte, zum Beispiel leichte Kameras, Bildstabilisatoren und mobile Übertragungslösungen. Allerdings bleibt Live-Streaming von Trailrunning-Events größtenteils auf Europa beschränkt, vor allem wegen der besseren Netzabdeckung. Zwar hat auch der Western States mittlerweile einen „Live-Stream“. Der ist zwar interessant, verdient aber eigentlich diesen Namen nicht, denn letztendlich gibt es nur von ausgewählten Aid-Stations mehr oder weniger ruckelnde Bilder.

Für Fans des Trailrunning-Sports ist Live-Streaming ein Gewinn und viele kleben stunden- oder gar tagelang vor den Bildschirmen, um sich die großen Veranstaltungen anzusehen. Ob diese Formate jedoch neue Zielgruppen für den Sport erschließen können, bleibt fraglich. Zwar haben es die Streams der Golden Trail World Series bereits auf Plattformen wie EUROSPORT und damit in den Mainstream geschafft, doch vermitteln Live-Übertragungen nicht so unmittelbar die Essenz des Trailrunnings wie sorgfältig erzählte Geschichten.

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Es gibt sie noch, die einzigartigen Geschichten

Wo man früher mühsam Trailrunning-Filme suchen, bestellen und durch den Zoll bringen musste, ertrinkt man heute förmlich in einer Bilderflut. Das ist Fluch und Segen zugleich: Einerseits gehen die Perlen in der Masse von Filmen unter; wenn man aber genauer hinschaut, dann finden sich auch heute noch außergewöhnliche Filme, neue, noch nicht auserzählte Geschichten und authentische Portraits von Athlet:innen.

Selbst auf den Plattformen der großen Marken findet man Filme, bei denen das Brand-Marketing dezent im Hintergrund bleibt und damit ein unabhängiges Storytelling ermöglicht. Beispiele sind Lucy’s Dad oder Run to the Source.

Parallel zu den Filmproduktionen der großen Sportartikelmarken hat sich in den letzten Jahren eine lebendige Indie-Filmszene entwickelt. Diese fokussiert sich mittlerweile weniger auf die großen, bekannten Rennen und Rennserien, sondern mehr auf neue, unkonventionelle Rennformate sowie FKTs oder individuelle Projekte. Dokumentationen wie #17  oder Breaking Point sowie zahlreiche Filme über Freizeitläufer:innen, die eine interessante Vita aufweisen, wirken authentisch und schaffen somit einen Gegenpol zu den Produktionen der großen kommerziellen Akteure.

Ja, Trailrunning-Filme haben sich gewandelt: Vom Abenteuerfilm hin zur Markeninszenierung. Doch wer bereit ist, genauer hinzusehen, wird nach wie vor Geschichten finden, die den Spirit des Trailrunnings einfangen.

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