Drei Monate vergehen. Es will mir unterdessen nicht gelingen, meine Haltung zum Laufen anzupassen. Der wissenschaftliche Ansatz von Kim ist darauf ausgelegt, mein Laufen im Hinblick auf die TOR zu optimieren, vernünftig vorzugehen, datenbasiert. Ein durchdachter, intelligenter und bewährter Weg, wie zahlreiche Erfolge von two peaks-Athletinnen veranschaulichen. Was könnte ich gegen diese Vorgehensweise einzuwenden haben? Beim Laufen kommen mir viele Antworten in einem breiten Spektrum dazu:
Trailrunning beinhaltet für mich einen Anteil Anarchie. Hier darf ich alles dürfen und muss nichts müssen. Selbstbestimmt laufe ich los, mich dem omnipräsenten Optimierungswahn der postmoderten Gesellschaften entziehend, wenigstens während der Lauf-Auszeiten. Ich bin nicht ziellos unterwegs, aber nicht das Ziel ist der Zweck des Laufens, sondern der Weg, die Reise, das Abenteuer, die Freiheit. Freiheit ist ein Abstraktum, aber runtergebrochen aufs Traillaufen spürt man sie ganz konkret: Dann, wenn wir frei sind, unvernünftig zu laufen, Junk Miles zu sammeln, einfach so, weil es keine Regeln gibt oder Uhr- und Gurt-frei laufen oder uns für viel zu lange und verrückte Events anmelden, um zu gucken, was passiert, ganz unverblümt, naiv und zuversichtlich, ohne, dass Daten den Erfolg prognostizieren oder uns abraten. Wann hat man im Leben denn sonst mal Gelegenheit dazu, anarchisch unterwegs zu sein?
Für mich ab jetzt, so erkläre ich es auch Kim, wieder im Trailrunning. Ganz trainerfrei. Vielleicht ist diese Vorgehensweise auch genau die Richtige, denn auf einer 330 km langen Strecke wie der TOR kann so viel Unvorhergesehenes passieren, da kann eine naiv zuversichtliche, unkonventionelle Herangehensweise ans Laufen genauso wertvoll wirken wie all die wissenschaftlich ausgewerteten Trainingsdaten. Wir werden es sehen.
Obwohl für Kim die Vorteile eines Trainingsplan überwiegen, weiß sie genauso gut, dass viele Läuferinnen untrainierbar sind – davon hat sie selbst schon viele in ihrer Trainerinnenpraxis erlebt. Woran das liege? „Einige Läuferinnen lassen sich einfach vom Typ Mensch nicht gern in einen Trainingsplan hineindrücken, negativ formuliert. Viele laufen ihre Einheiten spontan und nach Lust und Laune und das ist ja auch voll ok so.“ Voll ok so – Das speichere ich mir als Mantra ab und laufe einfach mal drauf los, auf das größte Laufabenteuer meines Lebens.