Ab wann ist man Trailrunner?

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Wer ist eigentlich ein Trailrunner? Oder noch wichtiger: Wer ist es nicht? Was uns von anderen unterscheidet.

Abgrenzung spielt für Gruppen und Gemeinschaften eine entscheidende Rolle. Der Soziologe Norbert Elias hat das mit den Begriffen „Etablierte“ und „Außenseiter“ beschrieben. Er betont, dass die Definition von „Wir“ und „Ihr“ die sozialen Beziehungen prägt, indem sie die gemeinsame Identität und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Mit anderen Worten: Um zu beschreiben, wer „Wir“ als Gruppe sind, müssen wir auch wissen, wer wir nicht sind.

Der Wunsch nach Identität und Zugehörigkeit steckt in allen Gruppen und Gemeinschaften, vom Kegelverein über die Gebirgsjäger bis hin zu den Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Logischerweise auch in der Trailrunning-Community. Aber wer genau gehört eigentlich dazu?

Wer ist Trailrunner?

Wenn man diese Frage besonders wohlwollend angeht, lautet die Antwort: Jeder, der abseits befestigter Straßen läuft. So einfach könnte es sein. Es gibt keinen Mitgliedsausweis, keinen Aufnahmeantrag und keinen Trailrunning-Führerschein inklusive Prüfung. Trailrunning ist kein geschützter Begriff und keine eingetragene Marke. Jeder kann sich so kleiden, so nennen und so verstehen.

Aber irgendwie ist das unbefriedigend. Wenn es wirklich keine klare Definition gibt, gibt es auch keine Abgrenzung. Dann ist jeder ein Trailrunner, sobald er oder sie gewollt oder ungewollt auf einem Feldweg joggt. Das klingt offen gesagt nicht besonders identitätsstiftend. Es muss doch etwas Handfestes geben, das „uns“ von „denen“ unterscheidet.

Ein Trailrunner beim Zugspitz Ultra-Trail. Foto: Plan B/Philipp Reiter

Äußere Merkmale?

Sind es vielleicht äußerliche Merkmale wie beim Heavy Metal? Wer lange Haare, eine Kutte mit Aufnähern und ein entsprechendes Bandshirt trägt, gehört dazu. Die Pommesgabel als Erkennungszeichen und das gemeinsame Headbangen als verbindendes Ritual. Für Trailrunner wären dann wohl die profilierten Schuhe, die Laufweste, Stirnlampe und die Trekkingstöcke das Erkennungszeichen. Nein, das wäre zu einfach und funktioniert spätestens nicht mehr, seit bekannte Marken wie Salomon ihre Trailrunningschuhe und Accessoires nicht mehr nur für den Sport in der Natur, sondern auch für Clubs und Laufstege produzieren.

Sportliche Regeln?

Oder gibt es wenigstens verbindliche sportliche Regeln? Sieht nicht so aus. Der Begriff „Trailrunning“ ist von keinem Verband oder Gremium klar definiert wie beispielsweise Gehen. Also Gehen als Sportart. Das hört sich dann so an: „Im Gegensatz zum Laufen darf kein für das menschliche Auge sichtbarer Verlust des Bodenkontakts vorkommen. Zusätzlich muss das ausschreitende (vordere) Bein beim Aufsetzen auf den Boden gestreckt sein.“ (Regel 230 der Internationalen Wettkampfregeln).

Für Trailrunning würde eine vergleichbare Wettkampfregel wie folgt lauten: „Im Gegensatz zum Straßenlauf darf beim Trailrunning kein erkennbarer Bodenkontakt auf ebenem, befestigtem Untergrund, insbesondere Asphalt, für das menschliche Auge sichtbar sein. Außerdem muss das aufsetzende Bein durch Kontakt mit Steinen, Wurzeln und Dreck gekennzeichnet sein“. Mit solchen Regeln kämen wir nicht weit.

Gemeinsame Sprache?

Ist vielleicht eine gemeinsame Sprache das große verbindende Element? Bin ich ein Trailrunner, wenn ich nicht mehr von Pace spreche, sondern nur noch von Höhenmetern? Von Singletrails und Spitzkehren statt von Speedwork und Startblöcken? Vom Hardrock 100 statt vom Boston Marathon? So richtig scheint das nicht zu funktionieren. Die meisten Laufthemen und Begriffe sind dieselben, egal ob man auf der Straße oder in den Bergen läuft.

Individuelle Selbsterkundung

Nein, Trailrunning muss auf andere Art definiert werden. Und zwar von jedem individuell. Das weiß jeder, der es einmal ausprobiert hat. Es geht nicht um Equipment, um Regeln oder Sprache. Es geht nicht um Untergründe, Distanzen oder Höhenmeter. Streng genommen geht es nicht einmal ums Laufen, sondern vielmehr um die individuelle Selbsterkundung im Spiegel und im Einklang mit der Natur. Es geht um Abenteuer, Freiheit, Erkenntnis und die Möglichkeit, sich selbst auf einer tieferen Ebene kennenzulernen.

Wenn man den Blick so nach innen richtet, ist die Frage, ob man irgendwo dazugehört oder nicht, gar nicht mehr so wichtig und das Bedürfnis nach Abgrenzung verschwindet.

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