Von Sprint-Niederlagen und deutschen Ultratrail-Meistern

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Reit im Winkl war dieses Jahr der Austragungsort der von der DUV organisierten Deutschen Meisterschaft im Ultratrail. Unser Autor nahm erstmalig teil und berichtet aus dem Rennen. Von Schlamm-Trails und Forststraßen-Downhills, von Überraschungsmeistern und Zielsprints.

Fünf Minuten bis zum Start der Deutschen Ultratrail Meisterschaft beim Mountainman in Reit im Winkl. Es ist dunkel. Es ist kalt. Es nieselt. Doch das Schlimmste: Meine Stöcke gehen nicht auf. Ich zerre und ziehe: Aber meinen Ultralight Carbon Zahnstocher scheinen es mir übel zu nehmen, dass ich sie die letzten Wochen links liegen gelassen habe. Hilflos laufe ich im Startbereich herum und frage nach einer Zange. Meine Rettung ist der amtierende Deutsche Meister im Ultratrail. „Kriegst nich oof?“ Im feinsten Thüringisch bietet mir Daniel Greiner seine Hilfe an. Und siehe da. Daniel hat deutlich mehr Kraft als ich.

Zwei Minuten bis zum Start. Ich drängele mich ein wenig durch den Startkorridor, um etwas nach vorne zu kommen und bleibe in der dritten Reihe stehen. Das passt. Neben mir stehen die Jungspunde Timon Günther und Lukas Schwella. Vor mir der große Favorit Benedikt Hoffmann. Es ist sicherlich nicht das „Who is Who“ der deutschen Ultratrail-Elite, die hier am Start steht. Aber doch ein starkes Feld, wahrscheinlich stärker als das der vergangenen Jahre. Für mich ist es die erste Deutsche Meisterschaft. Allein der Stempel „Deutsche Meisterschaft“ hat mich bisher nicht davon überzeugt, mich für ein Rennen anzumelden. Und die Rennen, die diesen Stempel in den vergangenen Jahren zumeist trugen, waren nicht die, die ich laufen wollte.

© Mountainman

Zugegeben, auch die 70 Kilometer Strecke des Mountainman in Reit am Winkl entspricht nicht gerade meinem Stärkenprofil. Zu wenig technisch, zu laufbar, zu Forststraßen-lastig ist die Alternativstrecke, die aufgrund eines Wintereinbruchs und den damit verbundenen Waldschäden gelaufen wird. Aber ich kann verstehen, warum die Deutschen Meisterschaften im Ultratrail nicht auf den alpinen und schwierigen Routen stattfinden, von denen es in Deutschland ohnehin wenige gibt. Schließlich leben 98 % der Deutschen im Nicht-alpinen-Flachland. Die Teilnehmenden kommen aus der ganzen Republik und laufen für Vereine wie die LG Ultralauf oder die LG Mauerweg aus Berlin. Mit meinem Wunsch nach Höhenmetern und verblockten Wurzeltrails bin ich wohl in der Minderheit. Wenn Katharina Hartmuth, Hannes Namberger und Co. im kommenden Jahr aber bei der Weltmeisterschaft in Canfranc starten, warten 80 Kilometer und fast 6000 Höhenmeter Pyrenäen-Trails auf sie. Das ist dann fast ein anderer Sport. Es klafft eine Lücke zwischen nationalem und internationalem Verständnis des Wortes Ultratrail. Tatsächlich sorgen sich ein Großteil der Teilnehmenden hier in Reit am Winkl darum, wie sie den ersten Loop überstehen sollen. Im Dunkeln geht es die ersten 20 Kilometer über schmale und schlammige Singletrails. Erst danach wird es laufbarer.

" Es klafft eine Lücke zwischen nationalem und internationalem Verständnis des Wortes Ultratrail. "

Meine Beine fühlen sich gut an auf den ersten Kilometern. Ich habe gut geschlafen. Birger aus Schwerin hat mir kurzerhand ein freies Bett angeboten und so musste ich bei knapp über null Grad nicht im Van übernachten. Birger ist einer der wenigen, die mit voller Leidenschaft den oben beschriebenen Kontrast leben: An der Schweriner Seenplatte trainiert er an Anstiegen, die nicht mal 40 Höhenmeter am Stück aufweisen, um kurz darauf Rennen wie den UTMB mit seinen 10.000 Höhenmetern zu laufen. Ich bin heute froh um jeden Höhenmeter und jeden Trail. Davon gibt es auf dem ersten Abschnitt genug. Vielleicht ist das der Grund, warum mir das Anfangstempo moderat vorkommt. Im dunklen ersten Anstieg sind wir eine große Führungsgruppe. Schnell ist es passiert. Wenn sich der Erste verläuft, laufen alle anderen blind hinterher. „Stopp“, rufe ich nach vorne. Sicher 10-15 Läufer müssen kehrt machen. Wir haben den Abzweig in den Singletrail verpasst. Es ist Juliane Rössler, die erste Frau und spätere Deutsche Meisterin, die aufgrund dieser Neuordnung des Feldes nun das Rennen anführt. Geschickt springt sie über Wurzeln und matschige Pfade und für ein paar Minuten wagt es keiner, sie zu überholen.

Später, als es einen kurzen trailigen Downhill runtergeht, übernehme ich die Führung, um sie kurz darauf auf dem Forststraßendownhill wieder abzugeben. Mit der Aussicht auf weitere 60 Kilometer ist mir die vorgegebene 3:30er Pace einfach zu schnell. Die zwei Führenden haben wohl auch keine Zeit auf die Uhr zu schauen und biegen an der nächsten Abbiegung erneut falsch ab. Ich laufe blind hinterher, höre aber schon die Rufe von vorne: „Sind wir richtig?“ Blick auf die Uhr… nein sind wir nicht. Es ist nicht das letzte Mal, dass sich jemand aus der Führungsgruppe verläuft. Es ist ein lustiges Hin und Her auf den ersten Kilometern. Ich versuche mich von der Hektik nicht anstecken zu lassen und mein Tempo konstant und ruhig durchzuziehen. Mit Manuel Hartweg, dem späteren Sieger, komme ich sogar ins Quatschen. Er erzählt mir, wo er in der Schweiz trainiert und ich erkläre ihm die Kartenfunktion seiner Uhr.

© Sportograf

Die folgenden 40 Kilometer verlaufen relativ ereignislos. Ich lauf die meiste Zeit einsam und allein auf Platz drei. Benedikt Hoffmann und Manuel Hartwig sind mir enteilt und liefern sich ein Duell um den Meisterschaftstitel. Ich bin mir sicher, dass „Bene“ dieses Duell für sich entscheiden wird. Schließlich ist er auf Distanzen zwischen 50 und 100 Kilometern der wohl beste deutsche Ultratrailrunner. Manuel hingegen ist mir bis dato völlig unbekannt. Ich rechne fast mit seinem Einbruch. Doch ich irre mich gewaltig. Zwar übernimmt Bene kurz die Führung, hat jedoch nichts entgegenzusetzen, als Manuel 10 Kilometer vor Schluss im Downhill an ihm vorbei zieht. Manuel Hartweg von der LG Rülzheim wird Deutscher Meister im Ultratrail 2024 – eine faustdicke Überraschung. Später erzählt er mir, dass er erst seit der Corona-Zeit so richtig ambitioniert läuft und dass er es selber nicht ganz glauben kann, was er da gerade geleistet hat. Es ist das Rennen seines Lebens, resümiert er später bei Strava.

Ich bin inzwischen auch auf den letzten 10 Kilometern des Rennens angekommen. Bis auf ein paar Ansätze von Krämpfen in den Hamstrings hatte ich keine Probleme und konnte ein solides Tempo laufen. Ich bin zufrieden mit meinem Rennen. Zugegeben, vor dem Rennen hatte ich schon mit Platz zwei geliebäugelt, aber viel wichtiger als die Platzierung ist mir das gute Gefühl. Vielleicht die falsche Herangehensweise? Auf den letzten Kilometern ist der letzte Druck nicht mehr vorhanden. Zu sicher bin ich mir, dass nach vorne und hinten nichts mehr geht. Ein Irrtum. Drei Kilometer vor Schluss drehe ich mich kurz um und sehe 100 Meter hinter mir einen Läufer mit pinker Startnummer in schnellen Schritten heran eilen. Och nö, denke ich. Ich habe echt gar keine Lust mehr auf einen Zielsprint und überlege mich einfach kampflos geschlagen zu geben. Doch schnell verwerfe ich den Gedanken wieder und forciere das Tempo, hole noch mal alles aus den müden Beinen heraus. Drei Kilometer später, 100 Meter vor dem Ziel muss ich mich geschlagen geben. Tobias Fritz zieht an mir vorbei. Ihm scheint es ein wenig leidzutun. Für mich ist es ok. Ich bin Ultraläufer. Nicht ohne Grund. Zielsprint kann ich nicht.

Tobias Fritz, Daniel Greiner und Benni Bublak im Ziel © Sportograf

Alter Schwede, bin ich paniert. Keine Ahnung, ob es die vielen schnellen Kilometer auf den Forststraßen rund um Winklmoosalm und Steinplatte waren oder der 3 Kilometer lange Endspurt. An diesem Tag komme ich jedenfalls nicht mehr von der Couch hoch. Fast bin ich ein bisschen froh, dass ich als Viertplatzierter nicht zur abendlichen Siegerehrung muss. So verpasse ich auch die Ehrung von Juliane Rössler, die ihren nach einer langen Saison müden Körper noch mal zu einer famosen Leistung bewegt und sich souverän den Titel Deutsche Meisterin holt. Die junge Ärztin ist erst 26 Jahre alt und ist eine von vielen weiblichen Nachwuchstalenten aus Deutschland. Für die Weltmeisterschaft in knapp einem Jahr hat sie mit dieser Leistung ein Bewerbungsschreiben abgegeben, dass kaum auszuschlagen ist. Platz zwei und drei sichern sich Anja Kobs (TSV Alling) und Jana Seel (LG Nord Berlin).

Juliane Rössler und Manuel Hartweg: Die Deutschen Meister im Ultratrail 2024

Die Deutschen Meisterinnen Ultratrail
1Juliane Rößler8:21:28
2Anja Kobs8:34:17
3Jana Seel8:36:50
Die Deutschen Meister Ultratrail
1Manuel Hartweg6:47:55
2Benedikt Hoffmann6:51:48
3Tobias Fritz7:07:00
Die Deutschen Mannschaftsmeister (Männer)
1LAC Essingen25:43:49
2LG Nord Berlin Ultrateam26:36:53
3LG Ultralauf27:50:55
Die Deutschen Mannschaftsmeister (Frauen)
1Landau Running Company31:28:16
2WeRun4Fun e.V.32:40:38
3Marathon Club Menden32:58:31

Dies war mein dritter Ultratrail dieses Jahr. Noch vor zwei Jahren habe ich fast nicht mehr daran geglaubt, überhaupt noch mal einen Ultratrail laufen zu können. Ich war mir sogar sicher, dass ich wohl nicht mehr um die ersten Plätze bei Deutschen Meisterschaften mitrennen werde können. Während der kompletten 7 Stunden und 7 Minuten und den kompletten 72 Kilometern und 3400 Höhenmetern beim Mountainman Reit im Winkl habe ich nicht eine Sekunde an mein postthrombotisches Leiden gedacht. Keinen einzigen Gedanken verschwendete ich daran, dass ich vor nicht mal zwölf Monaten noch bei jedem Lauf Schmerzen hatte. Nur die Kompressionsstrümpfe, ohne die tatsächlich gar nichts mehr geht, erinnern mich noch daran.

Im Strudel des Alltags und in der Gegenwärtigkeit des Wettkampfes, ist es einfach das Vergangene auszublenden. Erst beim Tippen dieser Zeilen kommt die Dankbarkeit wieder hoch. Dankbarkeit über ein unter den gegebenen Umständen ziemlich perfektes Rennen. Das mit dem verpassten Podium gilt es zwar wieder gut zu machen, aber dafür ist ja ein Glück schon bald Gelegenheit. Schon im April 2025 finden die nächsten Deutschen Meisterschaften statt. Beim Ultratrail Fränkische Schweiz gilt es sogar einen Titel zu verteidigen.

© Sportograf

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