Trailrunning Schweiz: Vorbild für Nachwuchs- und Eliteförderung?

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Profisport Trailrunning in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Letztgenannte ist das Einwohner-schwächste der drei Länder, nimmt hier aber durchaus eine Vorreiterrolle ein.

Das Niveau des Trailrunning Elitesports steigt von Jahr zu Jahr. Auch die Dichte nimmt zu. Besonders Nationen wie Frankreich, Spanien und die USA profitieren von einer großen Breite an Nachwuchsathleten. Im deutschsprachigen Raum werden kleinere Brötchen gebacken. Wir wollen den Profisport Trailrunning in den drei Nationen Deutschland, Österreich und Schweiz genauer beleuchten. Wie ist der Sport in den jeweiligen Ländern organisiert? Welche Förderungsstrukturen gibt es? Wer hat die größten Talente? Dafür haben wir mit Verantwortlichen und Profi-Trailrunnern geredet. 

Rouffach, März 2024: Der Frühjahrs-Klassiker Trail du Petit Ballon in den Vogesen fungiert dieses Jahr als Sichtungsrennen für die Trailrunningeuropameisterschaft Ende Mai in Annecy. Sowohl deutsche als auch Schweizer Athleten und Athletinnen, die sich für die EM empfehlen möchten, sind am Start. Tobias Baggenstoß, Jonathan Schmid und Ramon Manetsch, alles Kandidaten für das Nationalteam der Schweiz, laufen im Gruppetto. Nach einem Drittel des Rennens belegen sie die Plätze 5, 6 und 7. Im Ziel die Ränge 1, 2 und 3! „Ich war schon überrascht, wie viele Konkurrenten sich mit ihrer Startpace überschätzten“, äußert sich Ramon Manetsch im Anschluss. Die Schweizer im allgemeinen sind nicht bekannt für Überschwang und Unüberlegtheit. Im Stillen fleißig arbeiten und am Tag X mit Leistung überzeugen, ist eher ihr Naturell.

Gabriel Lombriser ist auch so ein Typ. Gabriel ist Nationaltrainer für das Schweizer Trailrunningteam. Der Schweizer Leichtathletik Verband Swiss Athletics hat dafür extra zwei Stellen geschaffen, die mit jeweils 25% Wochenarbeitszeit entlohnt werden. „Seit ein paar Jahren wird der Trailrunningsport im Verband deutlich höher gewichtet. Neben den olympischen Bahnläufern sind wir zwar immer noch eine Randerscheinung. Aber die Wahrnehmung steigt. Auch bedingt durch unsere Erfolge“, berichtet uns der ehemalige Orientierungsläufer. Sechs Medaillen hat die Schweiz bei der WM in Innsbruck erlaufen. Darunter eine Goldene. Das Nachwuchsteam der Schweizer war beim Mountain-Classic-Junior das Stärkste. Noch vor den Teams aus Italien, Frankreich und Spanien. Tatsächlich kommt dies nicht von ungefähr. Die Schweizer haben ein Trailrunning-Nachwuchsprogramm.

Nationaltrainer Gabriel Lombriser ©Ulf Schiller

Schon allein das ist ein Novum in diesem Sport. „Die Nachwuchsarbeit liegt mir sehr am Herzen. Ich bin jetzt seit vier Jahren beim Verband tätig. Wir versuchen seitdem regelmäßige Angebote für junge Trailrunner und Trailrunnerinnen zu schaffen“, berichtet Gabriel Lombriser. Neben zwei langen Trailrunning-Jugend-Wochenenden im Winter organisiert er ein einwöchiges Jugendtrainingslager im Sommer. Im Juli geht es nach Davos. Die 15 bis 22-Jährigen können dort unterstützt vom Verband erste Trailrunningluft schnuppern. Neben Techniktraining, Trainingsinhalten und gemeinsamen Einheiten steht aber vor allem der soziale Aspekt im Vordergrund. Dies ist Gabriel wichtig: „Das Soziale ist meiner Meinung nach superwichtig im Sport. Die Gemeinschaft ist es, was die Leute beim Sport hält. Jugendliche brauchen ihre Kollegen, brauchen ein Gefäß, in welchem sie wachsen können.“

Judith Wyder erleichtert im Ziel. Sie gewinnt in Innsbruck Silber über den Trail Short © Swiss Athletics/ Sandro Anderes

Im Trainingslager dabei sind auch etablierte Spitzen-Athletinnen wie Judith Wyder und Theres Lebeouf.  Judith läuft seit vielen Jahren in der Weltspitze des Trailrunnings. Bekannt ist die zweifache Mutter vor allem durch ihre Erfolge bei der Golden Trail Series. Aber auch im Nationalteam engagiert sich die mit Gabriel Lombriser liierte Läuferin sehr stark. Auf unsere Frage nach dem Stellenwert des Nationalteams antwortet sie: “Aktuell ermöglichen es allein private Sponsoren den Sport Trailrunning als Leistungssport ausführen zu können. Auch wenn es sich für mich finanziell nicht lohnt, bei EMs oder WMs zu starten, finde ich es wichtig, dort zu laufen und diese Wettkämpfe auch zu priorisieren. Umso mehr Spitzen-Athleten und Athletinnen dort laufen, umso mehr wird irgendwann auch eine Wertschöpfung stattfinden.“ Vor allem für die Jugendarbeit braucht es nach Judiths Ansicht einen starken Verband. Bei der WM in Innsbruck gewann Judith die Silbermedaille über die Trail Short-Distanz. Die zweifache Mutter ist als ausgebildete Orientierungsläuferin auch irgendwann Trailrunning-Quereinsteigerin gewesen.

" Wenn du Off-Trail Lauf kannst, ist Trailrunning fast Peanuts "

ehemaliger Orientierungsläufer Gabriel Lombriser

Die Popularität des Orientierungslaufs in der Schweiz ist für das Trailrunning ein großer Trumpf. Viele der international erfolgreichen Athleten und Athletinnen haben von Jugendbeinen an eine Off-Trail-Ausbildung genossen. Joey Hadorn und Matthias Kyburz sind aktive Orientierungsläufer, die bei internationalen Trailrunning-Events mal eben in die vordersten Platzierungen rennen. Ersterer belegte erst kürzlich Platz zwei hinter dem Kenyaner Patrick Kipngeno beim Golden Trail World Series-Rennen in Japan. „Wenn du Off-Trail laufen kannst, ist Trailrunning fast Peanuts“, analysiert Gabriel Lombriser.

Bei der EM in Annecy wird die Schweiz wieder mit einem schlagkräftigen Team antreten. Ein Team, welches sich erst kürzlich zum Trainingslager am Lago Maggiore traf, um zu trainieren und das Teamgefühl zu stärken. Auch mit dabei bei der Europameisterschaft: Ramon Manetsch. Der Ultraläufer (Platz acht bei der WM auf dem Long Trail) hat eine ganz spezielle Motivation im Nationalteam zu starten: „Es geht mir gar nicht um mich. Ich möchte den Sport noch größer machen. Auch für eine nächste Generation. Aber nicht im Sinne noch größerer Events wie beim UTMB. Trailrunning soll ein fester Bestandteil der Leichtathletik werden und der Wert von Europameisterschaften und Weltmeisterschaften noch weiter steigen. Das würde die Außenwirkung des Sports deutlich verbessern.“

Matthieu Bührer und Loic Berger sind zwei ganz junge Schweizer Top-Talente, die bei der EM um die Medaillen laufen werden. Durch die gute Förderung hat es das Team rund um Gabriel geschafft, die beiden 18-jährigen Orientierungsläufer für das Trailrunning zu gewinnen.

Ramon Manetsch läuft beim Long Trail in Innsbruck in die Top Ten © Swiss Athletics/ Sandro Anderes

Der Schweizer Nationaltrainer hat noch viele Ideen, um junge Menschen an den Sport heranzuführen. Neue Wettkampfformate zum Beispiel. Zwar mangele es nicht unbedingt an kurzen und schnellen Trail-Wettkämpfen. Allerdings sind dies meist wenig anspruchsvolle Einsteiger-Läufe im Rahmen großer Ultratrails. Die Jugend braucht technische Rennen, die Spaß machen und trotzdem kurz und knackig sind, meint der ausgebildete IT-Experte.

„Natürlich würden wir auch gern mal einen Remi Bonnet von einer Trailrunningweltmeisterschaft überzeugen“, schwärmt Gabriel Lombriser. Der Ausnahme-Läufer, der aktuell Platz eins im ITRA Ranking (Overall) belegt, priorisierte bisher die Klassiker der Golden Trail Serie, die vor allem für seinen Sponsor Salomon von höherem Wert sind. Wenn sich Gabriels Mission, die Schweizer Jugend in der Breite an den Trailrunningsport heranzuführen, noch weiter ausreift, dürfte dies vielleicht gar nicht mehr so wichtig sein. Geländelaufende vom Formate eines Remi Bonnet müssen schließlich kein Zufallsprodukt sein.

Der Schweizer Trailrunning Nachwuchs: Die Jungs gewinnen Team-Gold in Innsbruck © Swiss Athletics/ Sandro Anderes

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