Trailrunning Deutschland: Großer Geländelaufsport made in Germany?

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Profisport Trailrunning in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Deutschland hat aktuell wahrscheinlich so viele Top-Athleten und vor allem Top-Athletinnen, wie noch nie zuvor. Dennoch ist in Sachen Sportförderung noch Luft nach oben.

Das Niveau des Trailrunning-Elitesports steigt von Jahr zu Jahr. Auch die Dichte nimmt zu. Besonders Nationen wie Frankreich, Spanien und die USA profitieren von einer großen Breite an Nachwuchsathleten. Im deutschsprachigen Raum werden kleinere Brötchen gebacken. Wir wollen den Profisport Trailrunning in den drei Nationen Deutschland, Österreich und Schweiz genauer beleuchten. Wie ist der Sport in den jeweiligen Ländern organisiert? Welche Förderungsstrukturen gibt es? Wer hat die größten Talente? Dafür haben wir mit Verantwortlichen und Profi-Trailrunnern geredet. 

Deutschland ist mit Abstand das bevölkerungsreichste Land im Bunde der drei besprochenen Nachbarländer. Gleichzeitig ist es das mit dem kleinsten geografischen Anteil alpiner Geologie. Keine Frage: Trailrunning funktioniert auch überall abseits der Alpen. Wer diesen Sport professionell und auf höchstem Niveau betreibt, kommt um regelmäßige Trainingsaufenthalte in höheren Gefilden allerdings nicht herum. Viele deutsche Top-Trailrunner wohnen in den Alpen. Die in Thüringen lebende Daniela Oemus und der in Stuttgart beheimatete Janosch Kowalczyk beweisen, dass es auch anders funktioniert, aber auch sie sind regelmäßig trainierend in den hohen Bergen zu finden.

So viele Elite-Trailrunner, wie derzeit, hat es in der Bundesrepublik wohl noch nie gegeben. Da wäre Hannes Namberger, der Rennen wie den Lavaredo Ultratrail gewinnt. Da ist die angesprochene Daniela Oemus, die in Zegama siegte. Da ist ein Benedikt Hoffmann, der über viele Jahre eine beeindruckende Konstanz auf internationalem Niveau abliefert. Nicht zu vergessen, ein Janosch Kowalczyk, Top Ten-Finisher beim Western States. Da wären Katharina Hartmuth, die UTMB Zweite, Rosanna Buchauer, viermalige Top-Ten Finisherin bei CCC und WM, sowie die junge Ida-Sophie Hegemann, ausgestattet mit zahlreichen Siegen und noch mehr Potenzial. Gerade bei den Frauen ist Deutschland gesegnet mit Top-Läuferinnen. Wie das kommt? Schwer zu sagen. Trailrunning ist kein Sport mit strukturierter Nachwuchs- oder Elitenförderung. Der Erfolg der genannten Sportler fußt wohl vor allem auf privaten Engagement und mit Sicherheit enormer intrinsischer Motivation. Das ist schön. In einem Sport, der sich mehr und mehr professionalisiert, in dem die Leistungsdichte von Jahr zu Jahr steigt, könnte dies zukünftig allerdings zur Grundvoraussetzung werden. Darüber hinaus wird es wohl eine professionelle Förderung und vor allem einer Jugendarbeit benötigen, die schon in jüngeren Jahren Weichen stellt.

Hannes Namberger wird bei der WM 2025 wieder das Nationaltrikot tragen © Philipp Reiter

Spitzensportförderung. Wer ist zuständig?

Die große Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die der Zuständigkeit. Im Trailrunning treffen sich, das war schon immer so, Interessenvertreter aus den unterschiedlichsten Richtungen. Ist es letztendlich ein Verband, der Strukturen schaffen sollte? Die Möglichkeit, in der Breite unabhängig von kommerziellen Zwängen zu agieren, würde dafür sprechen. Oder sind es doch private Sponsoren, insbesondere von großen Marken-Ausrüstern, die den Profisport Trailrunning fördern und aufbauen? Im Augenblick spricht vieles für letzteres. Seinen Sport als ambitionierter Athlet auf professionelle Beine zu stellen ohne private Sponsoren ist im Trailrunning aktuell schon kaum möglich. Von Marken gesponsorte und gemanagte Teams bieten derzeit den höchsten Grad an struktureller Förderung und Unterstützung für die Top-Athleten an. Das ist gut. Nur muss man erst mal Teil eines solchen Teams werden. Ob dieses Konzept der Sponsoren-Teams auch langfristig und in der Breite für eine Weiterentwicklung des Profi-Trailrunning-Sports sorgt, wird sich herausstellen müssen.

" Junge Sportler brauchen ein strukturiertes und gesteuertes Umfeld, sonst verlieren sie die Motivation "

Hannes Namberger

Hannes Namberger sieht das Ganze aus zwei Seiten: „Man muss da schon differenzieren. Ich fahre mit privaten Sponsoren sehr sehr gut. Ältere Sportler wie ich haben schon ihr eigenes System und Umfeld und wollen auch gar nichts anderes mehr. Junge Sportler hingegen brauchen schon ein strukturiertes und gesteuertes Umfeld, sonst verlieren sie die Motivation, wenn sie sich schon am Anfang um alles selbst kümmern müssen.“ Ähnlich äußert sich auch Ida-Sophie Hegemann. Die Ultratrail-Athletin, die erst kürzlich den Innsbruck Alpine gewann, kennt beide Systeme aus ihrer eigenen Vergangenheit. In Jugendzeiten profitierte sie von den Kaderstrukturen des DLV, inzwischen hat sie viele private Sponsoren, die ihr das Leben als Profi ermöglichen. „Ehrlich gesagt gefällt mir meine aktuelle Situation doch am besten. Ich habe eine gewisse Sicherheit. Die Förderungs- und Kaderstrukturen des Verbands haben bei mir als sehr junge Athletin schon sehr viel Druck gemacht. Das war nicht immer leicht.“

Drei deutsche Top-Athletinnen beim WM-Einsatz: Katharina Hartmuth, Ida-Sophie Hegemann und Rosanna Buchauer © Roest Media

Ein Leichtathletik Verband am Berg

Für diese Reportage mit Ida zu sprechen war uns sehr wichtig. Nicht, zumindest nicht vordergründig, weil sie eine starke und bekannte Profi-Trailrunnerin ist, sondern vor allem weil sie seit kurzem auch Repräsentantin des DLV ist. Seit circa sechs Wochen ist sie Teil der vierköpfigen Expertenvertretung im Bereich Berglauf/Trailrunning beim DLV. „Ich habe letztes Jahr den Nominierungsprozess zur WM sehr stark kritisiert. Kritisieren ist immer leicht. Aber selber etwas verbessern, steht nochmal auf einem anderen Blatt. Also bin ich mit dem DLV in Kontakt getreten.“ Im Gespräch mit Ida wird schnell deutlich, wie professionell die gebürtige Duderstädterin den Sport Trailrunning betreibt. Und das betrifft nicht nur ihre eigene Karriere. Ida ist wahnsinnig gut über Details, Namen und Interna innerhalb der Trailrunning- und Lauf-Szene informiert und hat gleichzeitig eine starke Meinung. „Es fehlt eindeutig an Trailrunning-Nachwuchs in Deutschland. Wir müssen viel mehr in Jugendarbeit investieren“, fordert die junge Läuferin klipp und klar. Seit wenigen Wochen aktiv in die Verbandsarbeit eingebunden, spürt sie aber auch schon die Limitierungen des DLV im Bereich Berglauf/Trailrunning ernsthaft tätig zu werden. Während für olympische Sportarten Fördergelder vom Bund bereitgestellt werden, ist der Bereich Trailrunning/Berglauf beim DLV in der Sparte Gesundheits- und Breitensport angesiedelt. Mit dementsprechend limitiertem Budget.

" Ich habe letztes Jahr den Nominierungsprozess zur WM sehr stark kritisiert. Kritisieren ist immer leicht. Aber selber etwas verbessern, steht nochmal auf einem anderen Blatt. "

Ida-Sophie Hegemann

Vor wenigen Tagen wurden die Nominierungen des DLV für die Europameisterschaft in Annecy bekannt gegeben. Die Meldung, dass nur eine Athletin und ein Athlet für den 60 Kilometer langen Trail-Wettkampf beordert wurden, löste online Empörung aus. Natürlich kann man darüber streiten, warum man das Team nicht einfach auffüllt. Kandidaten gäbe es ja genug und die Kosten für eine Reise nach Annecy wären ebenfalls überschaubar. Das viel größere Problem aber ist doch: Warum hagelte es Absagen aus der „ersten Reihe“? „Ich habe mich richtig reingehängt. einige zu einem Start bei der EM zu überzeugen. Aber vielen hat es leider nicht in den Saisonplan gepasst, so ja leider auch bei mir. Im Deutschland Trikot zu laufen ist natürlich eine riesen Ehre, aber es muss halt vereinbar sein mit den Verpflichtungen für die privaten Sponsoren“, berichtet Ida. Namberger, Kowalczyk, Koch, Hartmuth, Buchauer, Sperger, ja und natürlich auch Ida-Sophie Hegemann selbst: Alles starke Namen, die dem DLV abgesagt haben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es ist natürlich eine EM und keine WM. Der Terminkalender der Athleten und Athletinnen ist prall gefüllt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es aktuell wenig attraktiv ist, als Trailrunner das deutsche Nationaltrikot überzustreifen. Und natürlich ist das ein Punkt, wo man den DLV schon in die Pflicht nehmen darf, dies zu ändern.

„Es sollte der Anspruch eines jeden Trailrunners sein, im Nationaltrikot zu starten“, wünscht sich auch Hannes Namberger. Was er sich ebenfalls wünscht, ist mehr Struktur seitens des DLV: „Es geht mir null um finanzielle Unterstützung. Aber zumindest die Grundvoraussetzungen, um Leistungen auf höchstem Niveau abrufen zu können, sollten vorhanden sein. Dazu gehören Betreuer und Physios bei den Events, aber eben auch mal ein Trainingslager im Vorfeld, um als Team wirklich zusammenwachsen zu können.“

Die deutschen Damen gewinnen Team-Silber im Long Trail © Benni Bublak

Geländelaufsport made in Germany

Ida, Hannes, Moritz, Katharina. Wir müssen die Namen nicht erneut wiederholen, um klarzumachen, dass Trailrunning in Deutschland groß ist. Dass dieser Sport Potenzial hat. Es wäre sehr wünschenswert, wenn dies sich fortsetzt und eine nächste Generation heranwächst, um das bisher Geleistete fortzuführen oder gar zu toppen. Förderungen für Trailrunner sind hierzulande prinzipiell auch keine Mangelware. Die Industrie macht viele Angebote. Die deutsche Marke Adidas Terrex leistet sich ein Team, welches vom Physio über den Mentaltrainer bis hin zum vom Bioniker individuell angepassten Trailschuh, das Rundum-Sorglos-Paket angeboten bekommt. Große Klasse. Zumindest für alle, die es ins Team geschafft haben. Eine breitenwirksame Förderung, gerade für junge Nachwuchssportler und Trailrunning-Interessierte sähe vielleicht anders aus. Da wären vielleicht tatsächlich Vereine und Verbände gefragt. Das sieht auch Ida so: „Junge Athletinnen brauchen Ruhe und Zeit, um sich entwickeln zu können. Bei Sponsoren ist die Gefahr, dass ein junger Sportler verheizt wird, nicht von der Hand zu weisen. Schließlich ist es im Interesse der Marken, ihre Aushängeschilder auf möglichst großer Bühne zu präsentieren.“

Womit wir wieder zurück bei den Verbänden wären als mögliche Initiatoren einer Jugendförderung. „Es ist nicht so, dass die Akteure beim DLV nicht sehr bemüht und engagiert sind. Im Gegenteil“, erzählt uns Ida. Das Ziel der Verantwortlichen ist es, dass Berglauf und Trailrunning im DLV als Nicht-Olympischer-Leistungssport eingestuft wird und damit in die finanzielle Förderung des Bundes rutscht. Dafür aber, so erklärt Ida, brauche es Einzelmedaillen als Argument. Viele Einzelmedaillen. Die zwei (einmal Silber, einmal Bronze) von der letzten WM in Innsbruck reichen wohl nicht aus. Tatsächlich beißt sich hier die Katze in den Schwanz: Einzelmedaillen werden als Voraussetzung für finanzielle Förderung gefordert und gleichzeitig bleiben die Spitzen-Athleten fern, weil es keine finanzielle Förderung gibt. Wie soll das funktionieren?

" Einzelmedaillen werden als Voraussetzung für finanzielle Förderung gefordert und gleichzeitig bleiben die Spitzen-Athleten fern, weil es keine finanzielle Förderung gibt. Wie soll das funktionieren? "

Nun darf man den DLV am Ende dieses Textes aber auch mal loben. Zur EM wurden insgesamt vier U20 Athleten und Athletinnen nominiert. Mit Lukas Ehrle, der dieses Jahr 20 wird, startet ein weiterer Youngstar und absolutes Top-Talent erstmalig in der Senioren-Klasse. Das ist toll. Beim Ultratrailrunning gilt man auch weit jenseits der 20 noch als Talent, würden wir behaupten. Junge Athletinnen und Athleten über die 60 Kilometer Trail-Distanz das Vertrauen zu schenken, auch wenn sie noch nicht um die ganz vorderen Plätze mitlaufen, wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen.

Es wird ein langer Weg bleiben, bis es in Deutschland eine strukturelle Sport- und Nachwuchsförderung für den Sport Trailrunning geben wird, die diesen Namen verdient. Bis dahin werden ambitionierte Nachwuchsläufer weiterhin auf die Unterstützung von privaten Sponsoren angewiesen sein. Und in diesem Bereich, das muss man auch feststellen, waren die Möglichkeiten an Unterstützung zu gelangen, bei all den Herstellern und Brands, die derzeit in diesen Sport investieren, nie größer. „Im Prinzip sind alle Möglichkeiten schon vorhanden“, resümiert Hannes Namberger „Es braucht einfach junge Menschen mit starker intrinsischer Motivation, die auch mal bereit sind, dem Profisport einige Dinge unterzuordnen.“

Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen. Bock auf Bergelaufen, sei es am Watzmann oder an der Wasserkuppe, wird am Ende wohl die wichtigste Zutat bleiben für großen Geländelaufsport made in Germany.

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