Trailrunning auf Sardinien: Time to play!

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Unser Autor ist zum zweiten Mal zum Trailrunning auf Sardinien. Die Insel ist für ihn wie ein großer Abenteuerspielplatz und damit der perfekte Ort für kombinierten Trailrunning- und Familienurlaub. Am Ende des Textes geben wir drei Routen-Tipps.

„Time to play“ – das war einst ein besonders markiger Werbeslogan der damals unangefochten größten Trailrunning-Marke. Salomon erzählte den Bergsport in den Jahren 2016 bis 2018 als kindliches Vergnügen, ja fast als hedonistisches Unterfangen. Das liegt inzwischen einige Jahre zurück. Trailrunning ist dem Kindesalter entwachsen. Gespielt wird nur noch selten. Stattdessen steht die Performance im Rampenlicht. Die Werbeslogans von heute lauten „Winning isn’t for everyone“ (Nike) oder „No pain, no gain“ (Dynafit).

Spielen über dem Meer

Ich bin dieses Jahr zum zweiten Mal zum Trailrunning auf Sardinien. Diesen Sport als Spiel zu begreifen, die Bewegung selbst als unmittelbares Vergnügen zu empfinden – und nicht nur das gute Gefühl nach der zehrenden Intervall-Einheit – fällt auf der italienischen Insel besonders leicht. Wir sind mit dem Camper unterwegs. Schon bevor wir die Insel per Fähre erreichen, komme ich erstmals in den Genuss dieses ganz besonderen Gefühls. Dieses Gefühl, das mir seit Jahren vertraut ist: Nach einem langen und schneereichen Winter (was leider immer seltener zutrifft), zieht es mich im Frühjahr traditionell gen Süden. Mallorca, Sardinien, Ligurien – egal wohin – der erste Lauf findet stets auf Trails wenige Meter über dem Meer statt. In Shorts und Shirt. Dieses Mal stehen wir mit dem Van auf einer Landzunge fast direkt am Wasser – unweit von La Spezia. Im warmen Licht der Abendsonne laufe ich über äußerst schmale und ruppige Trails, aber auch durch die engen Gassen des charmanten Küstenortes Montemarcello. Es riecht nach Fisch und Kiefernwald, die Meereswellen schlagen gegen die Felsen, während wenige Meter darüber meine Profilgummisohlen auf stein- und wurzelgesäumte Pfade auftreffen. Das anschließende Dinner auf einer Steinmole – bestehend aus Ciabatta, Olivenöl, Käse und Rotwein – rundet den ersten Urlaubsabend perfekt ab.

Dinner am Meer

Spielplatz Sardinien

Mit der Fähre von Livorno – etwa sechs Autostunden von Innsbruck entfernt – erreicht man über Nacht bequem den Hafen von Olbia auf Sardinien. Ostern ist auf der Insel noch Vorsaison. Das Wetter ist noch nicht ganz stabil, zum Laufen aber ideal: nicht zu heiß wie im Sommer und die Insel ist angenehm leer. Wer wie wir mit dem Camper unterwegs ist, sollte sich im Voraus informieren, welche Campingplätze geöffnet haben – viele sind um diese Zeit noch geschlossen. Frei stehen und wild campen ist auf Sardinien ganzjährig verboten. Eine sehr empfehlenswerte Alternative sind die vielen Agriturismi – rustikale kleine Bauernhöfe, betrieben von Ruhe-Suchenden aus aller Welt. Sie bieten meist ein lokal erzeugtes Abendessen sowie Stellplätze und einfache Services für Camper.

Vor drei Jahren, bei unserem ersten Sardinien-Besuch, haben wir ausgiebig das Supramonte-Gebirge erkundet. 80 Prozent der Fläche Sardiniens bestehen aus Bergen und Hügeln. Nicht so hoch und alpin wie in Korsika, aber nicht minder wild. Das Supramonte-Massiv ist für Trailrunner besonders spannend, da es direkt ans Meer grenzt. Viele Trails verlaufen spektakulär über dem Wasser oder führen zu versteckten, traumhaft schönen Buchten wie der Cala Luna, der Cala Mariolu oder der Cala Goloritzé – die wir bereits beim letzten mal erlaufen haben. Dieses Mal zieht es uns in den südlicheren Teil der Insel. Im Südwesten findet am Wochenende vor Ostern ein Skyrace statt. Ich bin für das 20 Kilometer lange und 1900 Höhenmeter umfassende Villacidro Skyrace im Landesinneren gemeldet. Doch zuerst brauchen wir noch einmal eine Portion Meer. Wir steuern einen Campingplatz an der Südostküste an. Coccorrocci heißt der Ort, der eigentlich nur aus diesem Campingplatz am Ende einer Küstenstraße besteht. Direkt am Meer schlagen wir unser Lager auf. Der Platz ist so rustikal, wie man es sich nur vorstellen kann: freie Stellplatzwahl und lediglich die nötigsten Einrichtungen. Unzählige Katzen streunen über den Platz, gelegentlich auch eine halbe Schafsherde. Einige Urlauber sind nicht nur für ein paar Tage hier – sie haben sich ein dauerhaftes Domizil eingerichtet. Überhaupt ist Sardinien bekannt als Wahlheimat von Aussteigern und vermeintlichen Hippies. Wer dem Leistungsdiktat unserer modernen Gesellschaft entkommen will, findet im Hinterland Orte mit Raum zur freien Entfaltung. Nicht wenige Deutsche betreiben hier kleine Agriturismo-Höfe oder leben anderweitig eng mit der Natur verbunden.

 

 

Auch ich entziehe mich dem Zahlen-Diktat des Laufens – zwangsläufig. Wer auf Sardinien läuft, sollte nicht allzu oft auf die Sportuhr schauen: Zu technisch ist das Gelände, zu verwinkelt die Trails, zu anspruchsvoll die Navigation. Natürlich gibt es auch breitere, gut laufbare Wege – aber die spannenden Pfade, die an den vielen Punta’s (Spitzen) oder Cala’s (Buchten) enden, sind meist fordernder. Die Punta Cartucceddu wird in den kommenden Tagen mein Trailrevier. Zahlreiche Pfade führen um und auf diesen 575 Meter hohen Berg direkt am Meer. Einige sind deutlich erkennbar, andere versteckt zwischen Macchia und Geröll. Macchia nennt man das typisch mediterrane Buschland mit der eher kleinwüchsigen Vegetation auf Sardinien. Rund um den Gipfel zeigt meine Karte viele Wege – sie zu finden ist nicht immer einfach. Den höchsten Punkt auszumachen gelingt mir erst nach einer kleinen Klettereinlage. Oben angekommen genieße ich die atemberaubende Aussicht über die Küste mit ihren zahllosen Buchten und Stränden.

Kuckucksspeichel und Eidechsen-Slalom

Im Downhill muss ich aufpassen, keine Eidechsen zu überrennen. Ununterbrochen huschen sie vom Weg ins schützende Buschwerk, wenn ich sie bei ihrem Sonnenbad störe. Überhaupt sollte man nicht tierempfindlich sein, wenn man in Sardinien laufen geht: Kühe, Ziegen, Schafe und sogar kleine Schweine gehören zu den üblichen Begleitern – leider auch der ein oder andere freilaufende Hund. Mit viel Glück kann man im Landesinneren, auf der Hochebene des Gennargentu, sogar auf die letzte freilebende Wildpferdherde Europas treffen. Manchmal ist man der Natur näher, als einem lieb ist: Während ich einem der weniger begangenen Pfade vom Cartucceddu talwärts folge, werde ich immer wieder „angespuckt“. Unten angekommen ist meine Hose halb nass. Es dauert eine Weile, bis ich den Grund entdecke: Die Montpellier-Zistrose, ein Strauchgewächs von etwa einem Meter Höhe, wächst immer wieder in den Trail hinein – Körperkontakt lässt sich nicht vermeiden. Unterhalb der weißen Blüten sammelt sich Schaum, den sogenannte Schaumzikaden produzieren. Sie legen im Frühjahr ihre Eier in diese Nester – auch als „Kuckucksspeichel“ bekannt. Sorry, Boys! Zurück am Zeltplatz springe ich ins Mittelmeer. Im Sommer ist es dank Klimakollaps bis zu 30 Grad heiß – jetzt im April hat es die perfekte Temperatur, um die müden Beine zu kühlen und die Regeneration einzuleiten.

Um rechtzeitig zum Villacidro Skyrace zu gelangen, hätten wir unser kleines Idyll zwischen Cala Coccorrocci und Punta Cartucceddu nach nur zwei Nächten wieder verlassen müssen. Der Kleine hat gerade eine Spielkameradin gefunden, meine Partnerin Entspannung am sonnigen Strand – und ich meinen geheimen Laufspielplatz. Nein, wir bleiben! Es wird in dieser Saison noch genügend Möglichkeiten geben, um der Uhr davonzulaufen. Now it’s time to play! Die Tage verfliegen. Wir genießen das einfache Leben: ein bisschen wandern, viel laufen, ein bisschen Wein, viel Pasta, ein bisschen schwimmen, viel rumliegen. Irgendwann ist auch die letzte Nudelpackung (Einkaufsmöglichkeiten sind rar) aufgebraucht – und wir ziehen weiter.

Ein typischer Trail auf Sardinien: ruppig, aber mit Meerblick.

Spielen auf La Maddalena

Die letzten beiden Tage unseres Sardinien-Trips verbringen wir auf dem La-Maddalena-Archipel – einer Inselgruppe ganz im Norden Sardiniens. Insgesamt umfasst sie 62 Inseln – die meisten kleiner als einen Quadratkilometer. Öffentlich zugänglich sind nur die beiden größten: La Maddalena und Caprera. Erstere ist infrastrukturell erschlossen, letztere vollständig unbewohnt und ein Naturschutzgebiet. Das hügelige Terrain mit seinen beeindruckenden Felsformationen aus versteinertem Magma ist fast vollständig von mannshoher, vielfältiger Flora bedeckt. Myrte, Wacholder und Oleander blühen und duften im Frühling um die Wette. Nur vereinzelt spenden kleine Pinienwälder Schatten.

Für ausgiebige Longruns ist die Insel fast zu klein – aber sie ist ein perfekter Abenteuerspielplatz. Was als kurzer Morgenlauf vor dem Frühstück beginnt, artet aus. Mein Ziel: die Spiaggia di Cala Coticcio. Gerade als der Spaß beginnt und der schmale Trail von der Straße abzweigt, steht dort ein riesiges Schild: „Betreten nur mit Wanderguide erlaubt.“ Wie bitte? Restriktionen auf meiner Insel des Laufspaßes? Das gefällt mir nicht. Ich ignoriere das Schild und laufe weiter. Der Trail ist schmal und technisch, zum Glück aber nicht allzu lang. Am Ende branden die Wellen gegen rotgefärbte Magmafelsen, auf denen ein paar Ziegen in der Morgensonne ruhen. Eine traumhafte Szenerie. Meine Uhr zeigt einen weiteren Weg zu einer weiteren Bucht. Ohne lange zu überlegen, mache ich mich auf. Doch der „Weg“ scheint nur noch auf der Karte zu existieren. Ich springe über griffige Felsen und kämpfe mich durch dichtes Buschwerk. Time to play – not to run! Irgendwann finde ich den Trail wieder und folge ihm zurück. Kurz vor der rettenden Straße genau vor dem Verbotsschild, steht nun eine Frau in roter Jacke vor einem Campingtisch. Oh je. Ich verlasse schnell den offiziellen Pfad und schlage mich durchs Dickicht zurück zur Straße. Unentdeckt kann ich meinen Lauf fortsetzen – bin zum Frühstück aber deutlich zu spät.

Der Autor beim morgendlichen Run auf Sardinien

Später kehren wir mit der Familie zurück – diesmal auf den offiziellen Wegen. Zuerst steuern wir den höchsten Punkt der Insel an. Vom Monte Teialone (212 m) genießt man eine traumhafte Aussicht auf die verstreuten Inseln im Meer. Oben befinden sich Überreste alter Militäranlagen – ein Relikt aus der Zeit, als La Maddalena als Marinestützpunkt strategisch bedeutend war. Weiter geht es zum nördlichsten Punkt der Insel, wo mehrere versteckte Buchten auf Entdeckung warten. An der schönsten von ihnen, der Cala Napoletana, lädt ein weißer Sandstrand und türkisblaues Wasser zum Verweilen ein.

Abenteuerspielplatz: La Maddalena

 

Mit einem Sechsjährigen wandern zu gehen, ist nicht immer einfach – aber es ist spannend, seine Motivation zu beobachten. Ist der Weg schmal und voller natürlicher Hindernisse, geht es zügig voran. Bergab können wir kaum folgen, so schnell springt der Zwerg den Trail hinunter. Doch wehe, der Trail endet und der Weg wird breit und eben – keine Minute später sitzt er am Wegesrand: Der Magen knurrt, die Beine schmerzen, angeblich. Kinder laufen nicht gern. Aber Kinder lieben es zu spielen. Ein Glück, dass Sardinien genau der richtige Ort dafür ist. Und Laufen im Gelände genau der richtige Sport. Trailrunning auf der italienischen Mittelmeerinsel heißt: Time to play.

DREI traumhafte Trail-Routen auf Sardinien:

An der Südostküste!

Im Supramonte-Massiv!

Das Insel-Archipel im Norden!

Nora Schief – ultrajunge Läuferin erobert ultralange Distanzen

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