Per Crowdfunding nach Auburn – Adrians Traum vom Western States 100

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Ein Start beim Western States 100 ist für viele Trailrunner ein Lebenstraum. Für den jungen Studenten Adrian Koch wird sich dieser Traum in wenigen Monaten erfüllen. Doch es ist nicht nur eine sportliche Herausforderung, die ihm bevorsteht, sondern auch eine finanzielle. Als Bafög-Empfänger kann er sich die Reise nicht leisten und startet eine Crowdfunding-Kampagne. Was dann passiert, hat niemand kommen sehen.

„FUCK!“, flucht eine laute Männerstimme am Abend des 7. Dezembers letzten Jahres durch die Straßen des beschaulichen thüringischen Städtchens Ilmenau. Die Stimme gehört Adrian Koch, der auf dem Weg zur Weihnachtsfeier eines örtlichen Studentenclubs noch schnell ein Paket wegbringen wollte. Adrian hat gerade eine WhatsApp-Nachricht bekommen – nicht nur eine, um genau zu sein, sondern Dutzende. Sein Smartphone hört gar nicht auf zu vibrieren. Was um Himmels willen kann das sein?

„Herzlichen Glückwunsch! Nächstes Jahr Urlaub in Kalifornien“, gratuliert ein befreundeter Trailrunner. Adrian lässt das Paket, das er in den Händen hält, vor Schreck fallen. Er hat tatsächlich einen Startplatz für den Western States (Kurzform von „Western States Endurance Run“) bekommen. Wie bitte? Kann das wirklich sein? Die Wahrscheinlichkeit, mit nur einem einzigen Los gezogen zu werden, liegt in diesem Jahr schließlich bei nur 0,4 Prozent. „Ich habe als erstes meine Mum angerufen und dann den Flugmodus meines Handys eingeschaltet, weil ich keinen Plan hatte, was ich tun soll“, erinnert sich der frischgebackene Western States-Lotteriegewinner. Dann sei er erst einmal in den Club gegangen und habe einen Schnaps getrunken.

Die Zielpose für den Western States? Adrian Koch liegt im matschigen Ziel des Rennsteig Herbstlaufs im Jahr 2022. Foto: Christoph Beetz @trailfoxy

Warum reagiert Adrian so geschockt, wenn es doch eigentlich eine positive Nachricht ist? „Die einzige Hoffnung, die ich hatte, war: Bitte noch nicht dieses Jahr.“ Diese Entscheidung wollte er eigentlich nicht treffen müssen – noch nicht. „Verdammt, bin ich überhaupt ready dafür?“, schallt es immer wieder durch seinen Kopf. Kommt das nicht mindestens ein Jahr zu früh? Kann das überhaupt funktionieren? Sportlich? Zeitlich? Und vor allem: finanziell? In seinem Kopf beginnt es zu rattern. Langsam, ganz langsam beginnt sich der 24-jährige Student mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, seinen Traum eines Starts beim ältesten 100-Meilen-Lauf der Welt tatsächlich wahr zu machen. Doch damit das gelingt, müssen noch viele offene Fragen geklärt werden – und zwar schnell.

Von Schmiedefeld nach Auburn

„Ich habe mehr Hobbys als Finger“, beschreibt sich der Mittzwanziger selbst. Gitarre, Klavier, sogar Gesangsunterricht hat er einmal genommen. Zeitweise hatte Adrian eine eigene Show im Studentenradio, in der er neue Musik vorgestellt hat. Laufen tut der 1,93 m große Musikfan auch schon lange. Kein Wunder, denn nur rund 20 km von seinem Geburtsort entfernt liegt Schmiedefeld, der Zielort des Rennsteiglaufs, landläufig als das „schönste Ziel der Welt“ bekannt. Im jungen Alter von nur zehn Jahren nimmt er zum ersten Mal beim Rennsteig Junior Cross teil. 2018, gerade volljährig und mit dem Abitur in der Tasche, läuft er beim Rennsteig seinen ersten offiziellen Halbmarathon. Es ist das Jahr, in dem Florian Neuschwander beim Rennsteiglauf auf der Ultradistanz gewinnt. „Ich bin ihm auf Instagram gefolgt und irgendwann habe ich gehört, dass er einen großen Lauf in den USA machen wird. So bin ich auf den Western States gestoßen. Dann habe ich den Film dazu gesehen, und von da an war das Rennen in meinem Hinterkopf“, beschreibt Adrian seinen ersten Kontakt zu dem 100 Meilen-Klassiker schlechthin.

Die Zeit rennt: Zwischen diesen Bildern liegen 11 Jahre Unterschied. Foto: Privat

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Ein Blick ins Hundert-Meilen-Herz

Der Western States 100 ist mehr als ein Lauf. Er ist Mythos, Ikone, Legende. Für viele wird eine Teilnahme am ältesten 100 Meiler der Welt für immer ein Traum bleiben. Nicht für Alles Laufbar-Autor Chris Zehetleitner, der sein Losglück kaum fassen konnte, als sein Name für die Austragung im Jahr 2022 gezogen wurde. Nun erscheint mit „Hundert-Meilen-Herz“ sein wortgewandtes und detailreiches Ultra-Trail-Memoir. Wir präsentieren einen exklusiven Auszug aus dem Buch.

2019 läuft Adrian seinen ersten (und bisher einzigen) Straßenmarathon in Dresden. „Ein ganz schöner Tritt in die Fresse“, lautet das Resümee. Die letzten 10 Kilometer haben ihm zugesetzt. Im Nachhinein ist es kein Wunder, bei damals maximal 30 Trainingskilometern pro Woche. Aber geschafft ist geschafft. Der Appetit auf lange Distanzen, auch jenseits des Marathons, wird immer größer. Neben zahlreichen Starts auf den Strecken des Rennsteiglaufs, folgt 2021 der erste Ultratrail am Großglockner über 57 km, 2022 die 67 km beim Festival des Templiers und 2024 schließlich die Premiere über 100 km, ebenfalls beim Festival des Templiers in Südfrankreich. Wer dort unter 19 Stunden finisht, darf seinen Namen in den Lostopf des Western States Endurance Run werfen. Und damit sind wir wieder in der Gegenwart angekommen.

In der Trailhauptstadt Garmisch-Partenkirchen

Wir sitzen unweit der Talstation Hausberg in Garmisch-Partenkirchen. Hier, am Fuße der Zugspitze, arbeitet Adrian Koch als Werkstudent und schreibt seine Diplomarbeit im Fach Werkstoffwissenschaft. Vor etwas mehr als einem Jahr hat es den Trailrunner hierhin verschlagen – in die hohen Berge. Eigentlich hätte es das Allgäu werden sollen. Jetzt stellt sich Garmisch-Partenkirchen als Glücksfall heraus, denn hier fällt ihm das Ankommen leicht. In kürzester Zeit findet Adrian Anschluss an die lokale Trailcommunity und die Laufcrew Nomads. Der Thüringer Wald wäre zwar auch ein tolles Trailrevier gewesen („Skihang hoch, Mountainbikestrecke runter. Das Ganze fünfmal, dann hast du auch 1000 Höhenmeter.“), aber die hohen Berge, das Wettersteingebirge, die Alpen haben es ihm angetan.

Adrian Koch blickt auf das Wettersteingebirge in Garmisch-Partenkirchen.

„Seitdem ich hier mit den Nomads laufe, mache ich das alles auf einem anderen Level“, sagt er zufrieden. Sein Blick geht in Richtung der 2628 Meter hohen Alpspitze. Der Aufnäher auf seiner umgedrehten Truckercap zeigt das Logo der Punkband Schnogge, dessen Konzert er in seiner Heimat mitveranstaltet hat. Auf seinem schwarzen Kapuzenpullover ist das Logo der Nomads zu sehen. Sein Outfit symbolisiert nicht nur seine beiden Leidenschaften, Laufen und Musik, sondern auch zwei Regionen, die ihm am Herzen liegen: Thüringen und der bayerische Alpenrand. Adrian verkörpert auch eine junge Generation von zugezogenen, sportaffinen Menschen in Garmisch-Partenkirchen, die während und nach der Corona-Pandemie in den Süden gezogen sind. In Garmisch wollte er diesen Sommer eigentlich auch den Zugspitz Ultratrail laufen – als Quali-Rennen für den Western States. Aber das kann er sich jetzt wohl sparen.

Eine Frage des Geldes

Letztendlich ist es das Garmischer Läuferumfeld, welches Adrian bestärkt den Startplatz tatsächlich anzunehmen. Besonders die finanziellen Sorgen plagten den Bafög-Empfänger zu Beginn. „Das geht nicht. Ich bin Student. Mit Bafög muss ich jeden Monat darauf achten, dass ich noch halbwegs im Plus bin. Einen Trip nach Kalifornien kann man sich so nicht einfach aus dem Kreuz leiern“, ist sich der Student der TU Dresden, der bisher noch nie außerhalb Europas war, sicher. „Ich habe von ganz vielen Leuten Rückmeldung bekommen: Wir schaffen das irgendwie. Am Geld wird’s nicht scheitern.“

Es entsteht die Idee einer Crowdfunding-Kampagne. Mit dem gesammelten Geld möchte er die Flugreise und Unterkunft für sich und seine Eltern bezahlen; wenn genug zusammenkommt, auch für seinen Wunsch-Pacer Daniel. Wenn die Leute noch mehr spenden, würde er sein Abenteuer gerne als Film dokumentieren. Jede weitere Spende wird, so der Wunsch Adrians, an den Rennsteiglaufverein und an ein Kinderhospiz weitergegeben. „Mein Traum ist es, dass wir mit den Spenden nicht nur mein – ich nenne es mal ‚Luxusproblem‘ – mein Traumrennen in den USA finanzieren können, sondern auch anderen weiterhelfen können.“ Die Zwischenbilanz kann sich sehen lassen: Innerhalb von sechs Tagen sind rund 5.500 Euro von 116 Personen gespendet worden. Jetzt heißt es trainieren, trainieren, trainieren, denn an sportlichem Ehrgeiz fehlt es Adrian Koch nicht.

Adrian mit seinen Eltern im Ziel des Festival des Templiers. Seine Eltern sollen beim Western States ebenfalls seine Supportcrew werden. Foto: Privat

Das Maximale rausholen

„Irgendjemand hat mal gesagt, ab dem Moment, in dem es dreistellig wird, ist die Strecke lang genug, um von den Toten aufzuerstehen. Das wird in Kalifornien hoffentlich auch so sein“, scherzt der Neu-Garmischer. Auf die Frage, wie er sich für seinen ersten 100 Meilen-Lauf vorbereiten will, wird es spannend. 16 Stunden Training pro Woche gibt ihm sein Trainer Frederic Sabater Pastor von CTS-Training aktuell vor. Viel Grundlagenarbeit, auch auf dem Rad, sowie jede Woche drei Stunden Krafttraining. Insbesondere letzteres tut dem hochgewachsenen Läufer gut, der sich selbstironisch auf Instagram „langstreckenlauch“ nennt und vor drei Jahren lediglich 67 kg gewogen hat. „Jetzt bin ich zwar schwerer als je zuvor, aber ich fühle mich auch schneller und stärker als je zuvor“, freut er sich.

Und die Taktik im Rennen? „Ich laufe jedenfalls nicht mit Jim und Kilian mit“, versichert mir Adrian. „Ich laufe vor ihnen“, fügt er lachend nach einer Kunstpause hinzu. Er fasst sein Ziel wie folgt zusammen: „Wenn ich einen Wettkampf laufe, dann will ich das Bestmögliche für mich an diesem Tag rausholen. Das heißt auch mal auf Angriff gehen und Dinge versuchen. Ich will das Ding nicht nur easy durchjoggen, sondern schon das Maximale für mich erreichen.” Das klingt selbstbewusst, unbekümmert und optimistisch. Vielleicht ist das genau die richtige Mischung aus Respekt und einer gesunden Portion Naivität? Tatsächlich könnte Adrian Koch Trailrunning-Geschichte schreiben: Wenn er es ins Ziel schaffen sollte, wäre er der jüngste deutsche Western States-Finisher in der über 50-jährigen Geschichte des kalifornischen Kultrennens.

Am Ende unseres Gesprächs wird Adrian noch einmal ernst. Sicher, er hätte den Startplatz nicht annehmen müssen. Niemand zwingt ihn dazu. Aber wer weiß schon, ob und wann er noch einmal so eine Chance bekommt? „Würde ich mir später verzeihen, es nicht versucht zu haben? Was ist, wenn ich in zehn Jahren gelost werde, aber das Leben dazwischen gekommen ist? Familie, Verletzungen, Job?“ Die beste Zeit ist immer jetzt, lautet ein beliebter Kalenderspruch. Ende Juni im Sommer 2025 wird Adrians Zeit kommen, auf dem Weg von Olympic Valley nach Auburn beim Western States.

Und wer ganz leise ist und genau hinhört, kann im Livestream vielleicht vereinzelt ein leises „Fuck“ in der Ferne hören. Dann wissen wir: Adrian Koch ist noch im Rennen.

Christian von Alles Laufbar und Adrian Koch in Garmisch-Partenkirchen.

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