Nora Schief (19): „Im Leiden kann man seinen Spaß finden“

Die erst 19-jährige Nora Schief gewinnt vor wenigen Wochen die 105 km lange Königsdistanz des anspruchsvollen Pitz Alpine Glacier Trails. Bereits mit 18 lief sie in die Top Ten des UTMB-Rennens Julian Alps in Slowenien und des Zugspitz Ultratrails, ebenfalls auf der 100 km-Distanz. Wir haben mit Nora über ihre sportliche Sozialisation, ihre Motivation und ihre Identität als Gen Z-Zugehörige gesprochen.

Alles Laufbar: Nora, du bist 2004 geboren, in einem kleinen Dorf namens Wurmlingen nahe Stuttgart aufgewachsen und kürzlich für ein Business und Management Studium an der MCI nach Innsbruck gezogen. Soweit und kurz die Vita. Aber was macht Nora zu Nora?

Nora Schief: Was mich vor allem zu mir selbst macht ist, dass ich eigentlich immer fröhlich bin und versuche, mir die positiven Sachen rauszuziehen. Ich mag es gar nicht, schlecht gelaunt oder wütend oder so zu sein beziehungsweise, wenn ich mal wütend bin, werde ich direkt traurig und deswegen gehe ich die Sachen, die ich mache, immer fröhlich an.

Was hat dich sportlich sozialisiert?

Das kommt definitiv von Daheim. Meine Eltern sind voll die Sportler, vor allem voll die Skifahrer. Zusammen mit meinen Geschwistern, ich habe drei, eine ältere Schwester und zwei jüngere Brüder, sind wir früher als Familie jedes Wochenende Ski fahren gewesen und im Sommer Fahrrad fahren. Als ich jugendlich war, hatten dann alle Mountainbikes und sind immer auf den Trails unterwegs gewesen, entweder im Allgäu oder den Trails in Rheinland-Pfalz. Ich selbst habe lange Handball gespielt und hatte da eine ziemlich coole Mannschaft, was definitiv auch dazu beigetragen hat, dass ich sportlich drangeblieben bin. Auch wenn ich nie wirklich gut war! (lacht) Aber es hat mir total Spaß gemacht.

Erinnerst du dich an den ersten Moment, in dem du von Ultratrails erfahren hast?

Da muss ich mit meiner Laufgeschichte anfangen. Ich war nie wirklich Läuferin, maximal bin ich sonntags zum Brötchen holen getrabt. Bevor ich 18 wurde, habe ich Papa gefragt, ob er nicht Lust hat, dass wir uns zu einem Marathon anmelden und uns zusammen darauf vorbereiten. Man darf da nämlich erst mitmachen, wenn man 18 ist. Das haben wir dann gemacht. Wir sind 2022 immer drei Mal die Woche vor der Schule laufen gegangen und das war richtig cool. Wir haben uns danach gesagt, dass wir das auf jeden Fall weitermachen, vielleicht, dass wir jedes Jahr einen gemeinsamen Marathon laufen.

Zu der Zeit habe ich angefangen mit einer Freundin von mir zu laufen, deren Papa Ultratrailläufer ist und die deswegen begeistert war von dem Sport. Mit der Freundin beschloss ich, dass wir gemeinsam einen Ultratrail starten wollen. Meine Schwester wollte uns dabei supporten. Ich dachte zu der Zeit, dass man nur Trailläufer sein kann, wenn man auch Ultraläufer ist. Im Juni 2022 wollten wir unsere Aktion starten, aber meine Freundin verletzte sich. Also meldete ich mich zwei Tage vor Anmeldeschluss beim Zugspitz Ultratrail für die 111 km an. So bin ich, ohne zu wissen, was mich erwarten wird, reingestolpert.

Nora Schief im Wettkamopf. Foto: privat

Beim ZUT bist du direkt auch in die Top Ten „reingestolpert“ auf Platz 7 in 18:21 Stunden. Hattest du Vorbilder aus der Trailrunningszene?

Ich war immer von Kilian Jornet fasziniert, weil der so beeindruckende Trainingsmethoden hat. Der Podcast von Ida-Sophie Hegemann und Kimi Schreiber „Höhenmeter pro Kilometer“ hat definitiv auch geholfen. Da wusste ich immer mehr, was beim Trailrunning so abgeht und dass man auch kürzere Distanzen als Ultratrails laufen kann.

Du bist Teil der Generation Z, der man nachsagt, sie sei hedonistisch unterwegs. Du schreibst in einem Instagram-Post zu deinem erfolgreichen Rennen auf der 100 km-Distanz beim Julian Alps by UTMB 2023, dass du das Leiden liebst. Das passt so gar nicht zum erwartbaren Verhalten deiner Generation.

Im Endeffekt muss jeder ein bisschen leiden. Wenn ich den ganzen Tag auf dem Sofa sitze, dann leide ich am Abend, weil ich nichts erreicht habe. Das andere Leiden ist, wenn ich eine harte Trainingseinheit mache oder ein hartes Rennen laufe, dann bin ich zwar fertig vom Leiden, bin am Abend aber richtig zufrieden. Das ist ein glückliches Erschöpfungsleiden – das bevorzuge ich vor dem anderen Leiden. Und im Leiden selbst kann man seinen Spaß finden. Wenn ich an meine Grenze gehe, komme ich in einen Anstrengungsflow. Das ist ein total beeindruckendes und cooles Gefühl, das ich sehr mag.

Machst du dir darüber Gedanken, die jüngste Frau im Startfeld zu sein?

Ein bisschen lasse ich mich von den älteren Läufern einschüchtern. Beim Pitz Alpine Glacier Trail durfte ich im Elite Startblock stehen. Dann gucke ich mich um und sehe die großen Läufer, die haben alle voll die krasse Ausrüstung und dehnen sich, während ich eher nervös dastehe und anfange, mit den Füßen zu wippen. Aber dadurch, dass ich so jung bin, kann ich das Ganze ruhig naiv angehen. „Alles gut“, sage ich mir dann, „es wartet noch so viel auf dich. Genieße jetzt einfach das Laufen.“ Letztendlich laufen wir ja alle die gleiche Strecke und stehen alle vor der gleichen Herausforderung. Das ist die Gemeinsamkeit, die wir alle teilen.

Im Winter ist Nora viel auf Skitouren unterwegs. Foto: privat

Wie sieht dein Training aus?

Ich laufe vor allem und viel allein. Bei meinem Physio, dem Basefive, laufe ich nun auch regelmäßig in der Laufgruppe mit. Im Winter bin ich viel auf Skitour, wobei ich erst diese Sommersaison gemerkt habe, wie viel mir das fürs Laufen bringt. Ich klettere auch gern und gehe biken, dann noch laufspezifisches Krafttraining. Alles ohne Trainer und einen Trainingsplan habe ich auch nicht. Das Trailrunning hat vor den anderen Sportarten mittlerweile den höchsten Stellenwert eingenommen. Ich finds total faszinierend, wie nah man an der Natur ist und wie man sich mit so wenig Material in der Natur austoben kann. Ich liebe, wie pur der Sport ist.

Nach dem Zugspitz Ultratrail 2023 hast du noch eine FKT auf der Monte Baldo Traverse aufgestellt (unsupportete 54 km mit 3200 Hm in 9:13 Stunden). Zwei Wochen später startest du beim Madrisa Trail auf der 54 km-Distanz mit 4000 Hm und erlebst dein erstes DNF. Was war da los?

Der Madrisa Trail… (lacht). Das ist das Rennen, bei dem ich am meisten gelernt habe! Das Rennen lief anfangs richtig, richtig gut. Ich hatte einen meiner besten Lauftage. Es war allerdings sehr heiß, im Tal waren es knapp 40 Grad. Auf den letzten 5 km hat man die ganze Höhe verloren, die man vorher aufgestiegen war. Es ging also richtig schnell ins Tal runter. Eine VP war da noch, wo meine Familie wartete. Mama schon so: „Richtig geil, du bist dritte Frau! Auf geht’s, richtig gut! Wir treffen dich dann im Ziel.“ Mit einer Cola in der Hand bin ich von da weiterspaziert und dachte: „Ich bin zwar richtig, richtig durch, aber Nora, steigere dich da jetzt nicht rein, alle müssen gerade leiden“, also bin ich weitergerannt.

Irgendwann habe ich eine Kreuzung erreicht und wusste, von da sind es nur noch 400 Meter bis ins Ziel, wo sie schon die dritte Frau, also mich, angekündigt haben. Meine Eltern standen im Ziel. Aber da kam ich nicht mehr an. Das ist eine meiner letzten Erinnerungen. An dieser Kreuzung bin ich einem Streckenposten in die Arme getaumelt und dann in Ohnmacht gefallen. Eine Stunde später bin ich im Krankenwagen aufgewacht und fünf Stunden später bin ich aus dem Krankenhaus entlassen worden. Witzigerweise vor der Cutoff-Zeit des Rennens. Deswegen sind wir nochmal zu der Stelle hin, wo ich umgekippt war und bin die fehlenden 400 Meter noch ins Ziel spaziert, sieben Minuten vor Cutoff. Das war ein absurder Tag! Seitdem kühle ich mich mit einer zusätzlichen Wasserflasche und habe ein Buff zum Kühlen dabei.

Dein Lernfortschritt spiegelt sich in den diesjährigen Platzierungen wider. Beim IATF erreichst du den zweiten Platz hinter Ida-Sophie Hegemann. Ebenso beim Stubai Ultratrail, wo die Gewinnerin Katharina Hutter dich, nachdem du das ganze Race in Führung lagst, am Ende noch überholt und dir den Sieg nimmt. Was hat das mit dir gemacht?

Am Ende ging es einen 1700 Hm langen Anstieg auf den Gletscher hoch. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich die Führung so lange halten würde, weil die anderen Frauen im Aufstieg so stark waren. Von unten sehe ich dann die Katharina hochkommen und da war ich so beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit und welchem Tempo die da noch hochgelaufen ist. Da hab ich gedacht: Da geht noch richtig viel bei mir im Training! Für mich war es zwar bitter, aber für sie war es einfach verdient, weil sie ihre Kräfte so gut eingeteilt hat. Insgesamt war es dann eine tolle Erfahrung, auch, weil mich die anderen starken Frauen so gepusht haben.

Nora (links) neben Ida-Sophia Hegemann und Shari Wilken bei der Siegerehrung des IATF 2024. Foto: privat

Was wiegt für dich bei einem Wettkampf schwerer: Das Erlebnis oder das Ergebnis?

In erster Linie der Spaß! Durch die Nacht und in den Morgen reinzulaufen – das ist einfach cool und besonders. Ich liebe auch die Stimmung drum herum. Und für den Anstrengungsflow laufe ich die Rennen.

Du kennst die Kletterszene ein wenig. Was magst du im Vergleich an der Trailrunning Community?

Was ich total an der Trailrunning Community schätze, ist, wie bescheiden die Top-Athleten sind und wie zurückhaltend, was das Prahlen von Erfolgen angeht. Beim Klettern hat man mehr Ruhemomente und muss nur in bestimmten Situationen Vollgasgeben, beim Laufen ist man viel allein unterwegs und braucht ständig Konzentration, das mag ich auch.

Was kannst du uns von dir verraten, was uns überraschen könnte?

Meine Familie wird immer mein Supportteam bleiben. Meine Schwester steht an den VPs und weiß genau, was ich brauche. Ohne die würde ich nicht so laufen wie ich laufe. Wenn ich auf der Strecke nicht mehr kann, weiß ich, dass sie alle dastehen werden und auf mich warten. Das ist eine richtige Kraftspende für mich!

Was werden wir noch von dir künftig zu sehen bekommen?

Ich werde bei dem 100 km UTMB-Rennen in Nizza starten. Den internationalen Vergleich zu anderen Läuferinnen würde ich vielleicht irgendwann mal beim CCC beim UTMB in Chamonix testen.

Danke für das Gespräch, Nora.

Danke auch.

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