Weniger ist mehr: Für eine bewusstere Wettkampfplanung

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Wettkämpfe sind das Salz in der Suppe eines jeden Trailrunner-Daseins. Der willkommene Ausbruch aus dem manchmal eintönigen Trainings-Alltag. Aber gibt es auch ein zu viel? Unsere Autorin plädiert für eine bewusstere Wettkampfplanung mit weniger Highlights aber dafür mehr Fokus.

Wenn der Winter kommt, beginnt für viele Trailläufer die Planung der nächsten Saison. In dieser Jahreszeit öffnen viele Trailrunning-Veranstaltungen ihre Anmeldungsportale, und die Lotterien für große Klassiker wie Western States, Hardrock oder UTMB stehen an. Es ist auch die Zeit, in der von überall her Wettkampfpläne auf einen einprasseln: sowohl in der lokalen Lauf-Community als auch in den sozialen Medien. Bei manchen dieser Rennkalender kann einem schwindelig werden – fast in jedem Monat steht ein Wettkampf an, dazu gesellen sich diverse „Adventure-Runs“. Und von einer echten „Off-Season“ kann kaum noch die Rede sein. Laut einer Umfrage der ITRA starten zwei Drittel aller Trailläufer bei mehr als drei Rennen pro Jahr, 28,2 % nehmen an sieben oder mehr Wettkämpfen teil. Und sieben Prozent aller Läuferinnen und Läufer sind mehr als zwölfmal pro Jahr am Start.

Wenn ich mich an meine Straßenmarathon-Zeiten zurückerinnere, dann war das ganz anders. Da lief man jährlich einen Marathon, wenn es hoch kam zwei pro Saison – einen im Frühjahr und einen im Herbst. Dazwischen gab es vielleicht noch ein paar Vorbereitungswettkämpfe, alles klar strukturiert und nach A-, B- und C-Rennen sortiert. Diese Struktur und die Fokussierung auf wenige, bedeutende Wettkämpfe vermisse ich im Trailrunning oft.

Neulich diskutierte ich mit einem anderen Läufer über seinen mit diversen Ultratrails gespickten Jahresplan. Als ich anmerkte, dass ich ihn für überladen hielt, entgegnete er: „Aber Courtney hat das doch auch geschafft.“ Und ja, das stimmt. Courtney Dauwalter hat 2023 in weniger als zwei Monaten drei 100-Meilen-Rennen nicht nur bewältigt, sondern sie auch alle gewonnen. Ian Sharman meisterte 2013 den Grand Slam of Ultrarunning – vier klassische 100-Meilen-Rennen in 2 ½ Monaten. Und auch auf kürzeren Distanzen beweist die Trail-Elite, dass ein voller Rennkalender machbar ist – so etwa Elhousine Elazzaoui, der in der vergangenen Saison innerhalb der Golden Trail Series sechs Rennen in sechs Monaten absolvierte.

Die meisten Trailrunner laufen zwischen 4 und 6 Rennen pro Jahr. Viele sogar noch mehr.

Profis als Maßstab?

Doch sind die meisten von uns nicht Courtney, Ian oder Elhousine. Wir sind keine Vollprofis und müssen oft noch einen anspruchsvollen Job sowie familiäre Verpflichtungen stemmen. Das alles muss mit Training und Wettkämpfen unter einen Hut gebracht werden. Und selbst für die Profis ist es alles andere als einfach, ein Rennen nach dem anderen zu bestreiten – das sollte man nicht vergessen. Ich erinnere mich gut an Courtneys Gesichtsausdruck beim UTMB 2023, nur wenige Wochen nach ihren Rekordläufen beim Western States und Hardrock. Sie wirkte von Anfang an ungewohnt angestrengt und schien um Jahre gealtert.

In einer mit langen Rennen gefüllten Saison lauert eine weitere Gefahr: das Overtraining-Syndrom. Zieht man das Training zu intensiv und ohne längere Regenerationsphasen durch, drohen Symptome wie Schlaflosigkeit, Herzrasen, chronische Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit. Diese Symptome werden meist ignoriert. Und um der Abnahme der Leistungsfähigkeit zu begegnen, trainiert man nur noch mehr – bis man sich schließlich in Grund und Boden gelaufen hat. Athleten und Athletinnen wie Kyle Skaggs, Geoff Roes oder Anna Frost können von diesem Overtraining-Syndrom ein Lied singen: Für sie bedeutete es das Ende ihrer Karriere.

Elite-Läufer haben nicht nur deshalb volle Rennkalender, weil sie – wie Courtney Dauwalter mit ihrem 100-Meilen-Triple oder Ian Sharman beim Grand Slam of Ultrarunning – ein konkretes Projekt verfolgen. Gerade die Profi-Athleten sind heute in vielerlei Hinsicht Getriebene – von ihren Sponsoren, die darauf bestehen, dass ihre Athleten beim UTMB und anderen wichtigen Rennen antreten. Um sich für diese Wettkämpfe zu qualifizieren, müssen sie zuvor bestimmte Qualifikationsrennen absolvieren. Als Profi-Athlet hat man kaum die Freiheit, sich dem Druck zu entziehen. Mitunter frage ich mich, ob die vergleichsweise hohe DNF-Rate der Spitzenathleten beim UTMB nicht auch damit zusammenhängt, dass sie in den Monaten zuvor zu viele Rennen bestritten haben – und infolgedessen entweder mit körperlichen Beschwerden kämpfen oder mental erschöpft sind.

Zwischen Hype und Selbstbestimmung

Auch wir Freizeitläufer müssen bisweilen Umwege in Kauf nehmen, um an einem bestimmten Rennen teilnehmen zu können – sei es durch das Sammeln von UTMB Running Stones oder das Absolvieren von Qualifikationsläufen für die Western States-Lotterie. Dennoch stehen die meisten von uns nicht unter dem gleichen Druck wie Elite-Athleten. Was bringt uns also dazu, unsere Wettkampfkalender zu überladen?

Ein wesentlicher Faktor ist zweifellos die Flut an Bildern in den sozialen Medien, die unseren Wettkampfhunger schürt. Die Trailrunning-Community ist besonders auf Instagram stark vernetzt und teilt unablässig Eindrücke verschiedenster Rennen. Diese permanente Reizüberflutung kann dazu verleiten, einen Wettkampf in den eigenen Kalender aufzunehmen – selbst wenn man ihn zuvor gar nicht auf dem Radar hatte.

Ich erinnere mich an meine Anfänge im Trailrunning – damals gab es noch weit weniger Veranstaltungen als heute. Doch selbst damals war mein Feed voller Posts von anderen, die von ihren Abenteuern berichteten und beeindruckende Bilder teilten. Sofort fragte ich mich, ob ich diese Veranstaltungen nicht auch in meinen Rennkalender aufnehmen sollte. Die Aufnahmen von spektakulären Trails in den Alpen, den Mittelgebirgen oder auf den Kanaren weckten in mir FOMO – die Angst, etwas zu verpassen.

Gerade in meinen ersten Jahren nahm ich mir zu viele Rennen vor – schlicht, weil ich nicht „nein“ sagen konnte. Neben den Wettkämpfen kamen noch verschiedene Laufprojekte hinzu. Doch überraschenderweise war die körperliche Belastung gar nicht das Problem, wie ich es ursprünglich erwartet hatte. Stattdessen geschah etwas anderes: Mitten in einem Wettkampf war mein Kopf plötzlich leer, die Motivation verschwunden. Und das obwohl ich dieses Rennen doch so unbedingt laufen wollte.

Wettkämpfe als Highlights statt Routine

Vor allem Ultratrails sind für mich wie kleine Expeditionen. Ich fühle mich ein bisschen wie Amundsen oder Shackleton, wenn ich mich – nicht nur auf dem Trail, sondern auch zu Hause am Schreibtisch – akribisch vorbereite. Ich studiere Streckenkarten, berechne detaillierte Marschtabellen, experimentiere mit der Verpflegung. Darüber hinaus lese ich Rennberichte und schaue mir YouTube-Videos an, die mir einen Eindruck von der Strecke vermitteln. Letztlich bin ich die Strecke virtuell bereits mehrfach „abgelaufen“, bevor ich mich an die Startlinie stelle.

Diese intensive Vorbereitung hat einen entscheidenden Nebeneffekt: Je mehr Zeit ich in die Auseinandersetzung mit einem Wettkampf investiere, desto bedeutsamer wird er für mich. Mein „Warum“ kristallisiert sich immer klarer heraus: Ich will nicht einfach nur irgendeinen Wettkampf laufen, ich will gerade DIESEN Wettkampf laufen. Unbedingt. Und ich will das Finish. Come hell or high water.

Sich mit der Herausforderung auseinanderzusetzen, sich den Wettkampf sprichwörtlich zu eigen zu machen – das braucht Zeit. Das funktioniert nicht in den kurzen Intervallen zwischen zwei anderen Rennen. Die Bilder auf Instagram mögen den Wunsch entfachen, ein bestimmtes Rennen zu bestreiten – aber sie tragen nicht durch diesen Wettkampf, wenn es hart auf hart kommt. Und so stand ich damals mitten im Rennen da. Waren meine Glykogenspeicher noch so gut gefüllt, mental war ich völlig ausgebrannt.

Ich habe damals für mich beschlossen, dass Trailrunning-Wettbewerbe etwas Besonderes sein und bleiben müssen – Rennen, auf die ich mich fokussiere und die langfristig Spuren und Erinnerungen hinterlassen. Wenn man jeden Tag Kaviar isst und Champagner trinkt, wird das irgendwann auch zur Hausmannskost. In diesem Sinne plädiere ich dafür, die Wettkampfkalender auszumisten – denn manchmal bedeutet weniger tatsächlich mehr.

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