Wem gehört der Trailrunningsport?

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In Kanada wurde ein etabliertes und geliebtes Trail-Event verdrängt. Die vermeintlichen Gentrifizierer: Ironman und UTMB. Droht dem Trailrunningsport die Übernahme von oben?

Ich bin Unioner! Zugegeben, in den letzten Jahren oder mehr noch im letzten Jahrzehnt pflegte die Zuneigung zum Fußballclub aus meiner Ost-Berliner Heimat immer mehr ein Schattendasein, während eine andere große Passion, nämlich das Laufen in den Bergen, das Rampenlicht übernommen hatte. Letztens aber hörte ich den Podcast Rasenball. Die Eisernen spielten in dieser sehr empfehlenswerten Produktion des MDR auch eine Rolle. Nämlich die des Gegenparts zum Hauptakteur: dem Fußballclub Rasenballsport Leipzig, kurz RB Leipzig. Ein Club, der seine gesamte Existenz ausschließlich dem Marketing-Kalkül eines großen Getränkeherstellers zu verdanken hat. Für viele Fußballfans ein Affront. Union Berlin und vor allem seine Fans werden im Podcast Rasenball als das genaue Gegenteil dieses Modells dargestellt. Tradition, Historie und Mitbestimmung der Fans und Mitglieder (Union Berlin zählt 64.466 Mitglieder, während Pokalsieger Leipzig nur 940 Mitglieder hat) werden an der Alten Försterei der von den Fans erbauten Heimat des Clubs, groß geschrieben. Nun soll es hier nicht um Fußball gehen.

Und dennoch musste ich an der einen oder anderen Stelle des Podcasts Parallelen feststellen zu Entwicklungen, wie sie in den letzten Monaten in der Trailrunning-Szene stattfanden. Ausführlich wird beschrieben, wie damals im Jahr 2005 der Club Austria Salzburg von Dietrich Mateschitz und seiner Marke Red Bull aufgekauft, ja nicht nur das der ganz Club und seine gut 80-jährige Geschichte innerhalb eines Sommers eliminiert wurde: Aus der Austria wurde Red Bull Salzburg, die violett-weißen Vereinsfarben wurden mit rot-blau ersetzt, der rote Bulle hielt in das Wappen Einzug und auch sonst galt die Maxime: „Keine Kompromisse. Das ist ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv.“ Natürlich gab es laute Proteste seitens der Anhänger, verloren sie doch ein Stück Identität. Und das nur, weil jemand mit viel Geld und wenig Geduld meinte, er bräuchte jetzt kurzerhand einen österreichischen Erstligaclub, um seinen Konzern zu promoten. Red Bull soll hier nur als Symbol fungieren, auch im besagten Podcast wird anhand dieser irren Geschichte ein noch größerer Konflikt exemplarisch dargelegt: Am Ende des Podcasts wird die große Frage gestellt, die diesen Konflikt ganz kurz und prägnant umreißt: Wem gehört der Fußball?

Wem gehört der Trailrunningsport?

Nun ist mir natürlich bewusst, dass die Details und die Voraussetzungen im Trailrunningsport ganz andere sind als im Fußball. Es gibt keine Clubs, die aufgekauft werden könnten von Konzernen. Es gibt keine Fankultur, wie man sie aus dem Fußball kennt. Aber dennoch gibt es Menschen, die diesen Sport betreiben und verfolgen. Profis wie Amateure. Wenn da nun ein Event-Konzern daher kommt und ein Rennen genau an der Stelle aus dem Nichts stampft, wo sich vorher eine etablierte und von der Szene geliebte Veranstaltungen befand, die nun weichen muss, und wenn dagegen ein lautstarker Protest aus der breiten Trailrunning-Gemeinde erwächst, dann kulminiert dies letztendlich in genau dieser Frage: Wem gehört der Trailrunning-Sport?

Während der Fußball uns in der Entwicklung um Jahrzehnte voraus ist und der Konflikt ‚Kapital und Kommerz versus Kurve‘ offen ausgelebt wird, sind wir von diesen Dimensionen im Trailrunning glücklicherweise noch weit entfernt. Und doch scheint da eine Sensibilität zu wachsen für Probleme, die genau in diese Kerbe schlagen: Ein Sport, der sich verändert, der umgestaltet wird und das, wenn man so will, immer mehr von oben. Von Konstrukten (ich spreche hier bewusst nicht von Personen), dessen vordergründiges Bestreben es ist, den Acker Trailrunning zu bestellen, um mit dem Verkauf des Korns Aktionäre glücklich zu machen und nicht den (Sport-)hungrigen Pöbel. Und nein, es geht hier ausdrücklich nicht darum, einfach nur ein paar Euro zu verdienen.

Verfolgt man die Debatte auf Social Media, hat man den Eindruck, dass viele Trailrunner und Trailrunnerinnen darin ein Problem erkennen. Interessanterweise war der Widerhall gegen das Vorgehen des UTMB im Falle Whistler besonders in den USA, in denen die Freiheit von Kapital und Konzernen normalerweise besonders laut lobpreist wird, besonders groß. In Europa war die Stimmung weitaus ausgeglichener. Zwar vernahmen wir auch in Deutschland eine sehr breite Unterstützung der Community für Gary Robbins und Co. Gleichzeitig war aber vor allem die mediale Rezeption von anderslautenden Stimmen geprägt. Die Initiative von Zach Miller und Kilian Jornet, die sich in einer Mail an weitere Elite Athlet:innen wandten, wurde dabei nicht immer positiv kommentiert. Man deutete den Brief als Boykott, der die Chance des Dialogs verhindere. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Vorgehen der beiden Elite-Athleten für den Autor dieser Zeilen die interessanteste Frage in dieser Sache: Mit welchen Mitteln und auf welche Art und Weise versuchen die beteiligten Parteien ihren Interessen Gehör zu verschaffen?

Auch der Autor finishte 2021 den UTMB © Adrian Niski

Eine geleakte Mail und ein Gespräch

Beim Spiel Hertha BSC gegen den HSV unterbrachen die Fans mithilfe von Tennisbällen das Spiel für eine ganze halbe Stunde, um gegen den Investoren-Deal der DFL zu protestieren. In den Wochen davor legten Bauern zeitweise den Straßenverkehr der Bundesrepublik Deutschland lahm. Auch Zugführer streikten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wenn auch alles andere als unumstritten, so ist der Boykott oder die gezielte Störung von Abläufen in vielen Bereichen doch ein gängiges Mittel, um Interessen Nachdruck zu verleihen. Nun war die Mail von Kilian und Zach im Vergleich zu diesen Beispielen noch vergleichsweise abwägend formuliert, begann sie doch mit einer Lobpreisung der Verdienste des UTMB und endete erst mit dem Vorschlag, sich als Elite Läufer:innen zusammenzutun und dieses Jahr gemeinsam ein anderes Rennen anzusteuern. Letzteres bezeichneten viele Medien als Boykott-Aufruf und streng genommen lässt sich auch schwer Gegenteiliges behaupten (tatsächlich war die UTMB Group in ihrem offiziellen Statement selbst stark darum bemüht, das Wort Boykott aus dem Diskurs zu nehmen), wenn auch der gemäßigte Ton und die Differenziertheit, die in den Worten der beiden Top-Trailrunner mitschwang, mit dem verkürzten Wort Boykott nur unzureichend umrissen ist.

Auf deutlich dünnerem Eis kam dann aber folgende Argumentation daher: Kilian und Zach hätten dem UTMB ja ihre ganze Bekanntheit und ihren Erfolg zu verdanken und wären aufgrund dessen schon aus moralischen Gesichtspunkten zur Loyalität verpflichtet. Nun ist das mit der Moral so eine Sache. Aber lassen wir das mal außen vor und betrachten das Ausgangsargument: Ein klassisches Henne-Ei-Problem: Ist es das Event, das dem Athleten die Bühne bietet und ihm damit zur Bekanntheit verhilft oder verhält es sich vielleicht doch eher umgekehrt? Ich tendiere ganz klar zu Letzterem. Es sind die Geschichten der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, der Sieger und Siegerinnen, die ein Event erst mit Leben füllen. Dass Kilian Jornet ohne den UTMB ein unerkanntes Schattendasein am Rande der Aufmerksamkeit führen würde, ist ohnehin schon ein sehr gewagtes Argument. Tatsächlich verhält es sich aber wohl genau andersherum: Der UTMB profitiert ungemein, wenn sich Szene-Ikonen wie Miller und Co. in Chamonix an die Startlinie stellen. Und genau aus diesem Grund ist die Tatsache, dass Kilian und Zach mit ihrer Abwesenheit beim größten Event dieses Sports drohen, ganz profan betrachtet ein ziemlich effektives und zielorientiertes Vorgehen. Der UTMB zumindest sah sofort die Notwendigkeit, sich mit den beiden zusammenzusetzen und somit führte der Boykottaufruf zu genau dem, was manche durch ihn vereitelt sahen: einen Dialog. Auch wenn das Resultat dieses Gespräches nur eine sehr blumige, inhaltlich aber der Wortfülle nicht gerecht werdende Pressemitteilung seitens der UTMB Group war, so werden die Organisatoren in Chamonix nicht umhinkommen, sich mit den genannten Vorwürfen auseinanderzusetzen. Genauso wie mit den unzähligen Kommentaren unter ihren Social-Media-Beiträgen, die mal mehr mal weniger differenziert die Unzufriedenheit der Community ausdrückten.

" Der UTMB profitiert ungemein, wenn sich Szene-Ikonen wie Miller und Co. in Chamonix an die Startlinie stellen. "

Im Rasenball Podcast wird die vermeintlich einfache, in ihrem Kern aber sehr komplizierte Frage: ‚Wem gehört der Fußball?‘ zum Abschluss wie folgt beantwortet: „Wahrscheinlich gehört der Fußball keinem und jeder Versuch, ihn in Besitz zu nehmen, ist ein Fehler.“ Für Trailrunning, ein Sport, der irgendwo zwischen Berglauf und Backyard Ultra, zwischen FKT und Festival-Flair immer ein ungescriptetes, unkonventionelles und von der Basis getragenes Dasein pflegte, sollte dies umso mehr gelten, könnte man meinen.

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