Ein DNF ist immer eine Option

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Einfach aufhören oder weitermachen um jeden Preis? Warum wir über den Schmerz laufen können, es aber manchmal nicht sollten. Über das interne Für und Wider eines DNFs.

Wir alle kennen diese Situation. Irgendetwas schmerzt und wir müssen eine Entscheidung treffen. Laufen wir darüber oder nicht. Handelt es sich um ein handelsübliches Symptom aus dem Trailrunningkatalog oder müssen wir es ein wenig ernster nehmen? Und allein der Fokus auf diese Fragestellung lässt das Problem, lässt den Schmerz erschreckend real werden.

Es ist schon ein bisschen ironisch. Erst kürzlich las ich im “Das Z-Letter“ vom Alles Laufbar-Autor Chris Zehetleitner den Artikel “I’ll run over it”. Drüber laufen. Was so harmlos klingt, hat doch oft eine wirklich erstaunliche Tiefe. Nur wenige Tage, nachdem ich den Beitrag las, warf ich einen Blick in die Tiefe.

Foto: UTMB

Ganz frisch sind die Erinnerungen an meinen letzten inneren Diskurs. Ich startete auf den T71 Ultratrail im beschaulichen Schotten. Dass der T71 erstaunlicherweise 74km lang ist – Nebensache. Trailrunning ist der falsche Ort für Spitzfindigkeiten und das Herausstellen meines Erstaunens würde mich wohl zweifelsfrei als Straßenläufer outen. Nach einem etwas zu flotten Start – die Strecke ist mir bekannt und ich hatte hier im Vorjahr ein hartes, aber schönes Finish – habe ich mich gut geerdet und lief ebenso routiniert wie allein – abgehängt vom späteren Sieger und einem doch erfreulichen Vorsprung auf den Drittplatzierten – Kilometer um Kilometer auf schönen, aber durchaus anspruchsvollen Trails.

Doch das Problem kam schleichend wie ein geübter Einbrecher. In Stille und weit außerhalb meiner Aufmerksamkeit. Auf Trails, die ich auf einem kurzen Lauf als besonders flowig beschreiben würde, spürte ich das Stechen an den Außenkanten meiner Füße. Insbesondere der rechte Fuß meldete sich plötzlich eindrucksvoll intensiv. Und auch ein Flow kam nach bereits 40 Kilometern – die meisten davon komplett allein gestellt – nicht mehr auf. Die schönsten Trails entfalten ihre Magie nicht mehr, wenn Einsamkeit die Resilienz herabsetzt und der Schmerz den magischen Abwehrschirm durchbricht. Der Einbrecher hat meine Alarmierung überwunden ohne dass ich es mitbekam und hatte nun Zugang zu einem meiner wertvollsten Schätze. Die Freude am Laufen.

Foto: UTMB

Ist der Zauber erst einmal gebrochen, beginnt die Podiumsdiskussion, deren alleiniger Zuschauer ich selbst bin. Mir wird eine gute Show geboten. Auf dem Podest meiner Seele diskutierten mein Herz und mein Verstand. Impulsiv und mit teils fragwürdigen Argumenten. Diskussionsgrundlage war der Tatbestand eines nahezu perfekten Einbruchs mit der Folge, dass ich keinen Schritt mehr schmerzfrei laufen konnte. Schadenssumme: steigend.

Nun bin ich nicht das erste Mal in dieser Lage. Ich habe bereits Rennen abgebrochen. Sowohl aus nachvollziehbaren gesundheitlichen Gründen, aber auch durch schiere Frustrationen nach erbärmlichen Zusatzkilometern, als der Wald mich fernab ausgeschilderte Routen verschluckte. Unabhängig vom Grund, der Weg zur Entscheidungsfindung ist immer erbarmungslos und legt die innersten Beweggründe offen.

Nachdem die Tür zum Inneren geöffnet wurde, werden die Argumente abgewogen. Der Schmerz? Noch aushaltbar. Die Stimmung? Miserabel. Gibt es Gründe, weiter zu laufen? Eine großartige Platzierung. Gibt es Gründe aufzuhören? Wo soll ich da bloß anfangen.

" Ich wäre gerne von Grund auf davon überzeugt sagen zu können, dass die Gesundheit immer über allem steht. Und so sehr ich mir auch wünsche, das voller Überzeugung sagen zu können, auch meine körperliche Unversehrtheit bleibt letztlich ein Pfund, das zwar wahnsinnig schwer wiegt, aber dennoch sorgsam abgewogen wird. "

Daniel Arnold

So fülle ich die Waagschalen ein ums andere Mal. Eine der wichtigsten Fragen vergesse ich im ersten Schritt jedoch nur allzu oft. Was wird mich das Finish kosten? Also was – konkret – sind die Konsequenzen, die mich am Ende erwarten? Und damit einhergehend die Frage, wird es das wert sein?

Keine leichte Entscheidung

Ich wäre gerne von Grund auf davon überzeugt sagen zu können, dass die Gesundheit immer über allem steht. Und so sehr ich mir auch wünsche, das voller Überzeugung sagen zu können, auch meine körperliche Unversehrtheit bleibt letztlich ein Pfund, das zwar wahnsinnig schwer wiegt, aber dennoch sorgsam abgewogen wird. Ein Vorbereitungsrennen in der kleinhessischen Einsamkeit gibt dort sehr wenig Gegengewicht. Und doch fällt die Entscheidung, sich aus einem Rennen freiwillig zurückzuziehen, nie leicht. Im Gegenteil. Wenn ich mir eine Startnummer anhefte, ist dies für mich immer verbunden mit einem Commitment. Ich investiere alles, was ich investieren kann, um möglichst nah an das zu kommen, was ich erreichen will. Ein DNF ist dabei nie Teil eines Plans und wirklich denkbar weit weg von dem, was ich erreichen will. Und doch komme ich beim Blick auf die Arme meiner Waage ins Schwanken. Ich möchte nicht nur Rennen erfolgreich beenden, sondern nach Möglichkeit immer meinen Lieblingssport ausüben können. Das wäre nicht möglich, wenn ich dem Gesundheitsargument nicht ein wenig Zusatzgewicht verleihen würde. So wurde bei diesem Ultramarathon die Entscheidung getroffen. Ganz plötzlich. Ganz situativ. Ich habe den Einbrecher ertappt und wir kamen ins Gespräch.

“Möchtest du dieses Rennen unbedingt finishen?”
– Ich möchte dieses Rennen finishen.

“Bist du bereit, dafür eine Laufpause in Kauf zu nehmen?”
– Nein.

“Was machst du jetzt?”
– Aufhören.

Daniel Arnnold mit Medaille (also kein DNF). Foto: privat/SachsenTrail

Ein bedauerlich kurzer Dialog mit bedauerlicher Konsequenz, abgespult im Bruchteil einer Sekunde, und schon saß ich mit abgemeldet im Shuttle zurück zum Startort. The ride of shame. Und ein bisschen the ride of truth, denn sobald die Entscheidung final und unumkehrbar ist, betrachten wir den Horizont der Konsequenzen in vollem Umfang.

Sicher hat dieser Dialog für mich auch schon einen anderen Verlauf genommen. Rennen, die im Begriff sind ein absoluter Höhepunkt seiner läuferischen Vita zu werden, wiegen so schwer, dass man fast schon fürchtet, sich zu verheben. Ein Start (und Finish) beim legendären Western States Endurance Run wird sicher nahezu jede Waage aus dem Gleichgewicht bringen. Und dennoch werden wir auch im Verlaufe eines solchen Rennens abwiegen.

Nun, an meinem Horizont steht die Sonne, das liegt in der Natur der Sache, immer ein bisschen ungünstig und die Stimmung liegt schwerer als alle vorherigen Argumente. War es die richtige Entscheidung? Für mich lautet die Antwort immer “ja!” – mit gewissenhaft gesetztem Ausrufezeichen. Denn in Extremsituationen können wir praktisch keine falschen Entscheidungen treffen. Wir treffen sie nie leichtfertig und werden – es geht ja gar nicht anders – immer mit den Konsequenzen leben können und dürfen. Und im größten Zweifel packen wir all die Selbstzweifel mit in unseren Laufrucksack und sobald wir das nächste Mal in der bedauerlichen Situation sind, unsere Waagschalen füllen zu müssen, wiegen wir auch diese mit – auf welcher Seite auch immer.

Pro und Contra: Machen uns Gier und Geltungssucht zu besseren Läufern?

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