Jim Walmsley: „Champions knacken den Code eines Rennens“

Was braucht es, um die umkämpftesten Rennen der Welt zu gewinnen? Wir haben Jim Walmsley für ein Gespräch in Chamonix getroffen, in dem er offen über Zukunftspläne, aber auch frühere Lebenskrisen spricht.

Alles Laufbar: Was gewinnt ein Rennen wie Western States 100 oder den UTMB? Körperliche Fitness oder Erfahrung?

Jim Walmsley: Ich selbst würde nicht behaupten, dass ich der beste Läufer bin. Würde man sich nur die nackten Zahlen anschauen, sind ziemlich viele Leute sehr nah an mir dran. Warum ich trotzdem gewinne? Vielleicht weil ich diese Rennen mental entschlüsselt habe. Das verschafft mir einen Vorteil. Es lässt mich mehr an einen Sieg glauben. Ich denke, dass Champions unbestreitbar etwas herausfinden. Sie knacken den Code eines Rennens. Auch wenn sie von der Fitness nicht so viel besser sind, per se.

Gibt es etwas Bestimmtes über Western States, von dem du sagen würdest, dass du es entschlüsselt hast?

Ich komme aus Phoenix. Die Stadt liegt in einer Wüste, in der es fast 50 Grad Celsius hat. Ich laufe gut in der Hitze. Wenn es wirklich heiß ist und alle leiden, ist das für mich normal, und für die meisten anderen die Hölle.

Ich erinnere mich an ein Interview von dir mit Dylan Bowman, in dem du sagst, dass du als Kind einfach nach draußen gegangen bist und teilweise bis zum Hitzekollaps gespielt hast. Als wäre das ganz normal gewesen.

Ich dachte, auch der Rest der Welt sei so heiß, als ich klein war.

Ein gut gelaunter Jim Walmsley während unseres Interviews.

Beim Western States war es ein Kampf zwischen dir, Hayden Hawks, Dan Jones und Rod Farvard. Gegen wen würdest du gerne beim UTMB antreten?

Der Grund, warum ich zum UTMB komme, ist die starke Konkurrenz. Ich würde gerne gegen Kilian Jornet und Francois D’Haene laufen.

Beide sind dieses Jahr nicht dabei.

Stimmt, dieses Jahr nicht. Ich weiß nicht, wie es mit Kilian nächstes Jahr aussieht, aber ich glaube, Francois hat vor, nächstes Jahr zu laufen.

Stimmt es, dass du nächstes Jahr an den Berg- und Trailrunning-Weltmeisterschaften teilnehmen möchtest?

Vielleicht.

Du hast dich noch nicht entschieden?

Ich müsste noch herausfinden, wie ich in die US-Mannschaft reinkomme. Beim letzten Mal habe ich mich beworben und einen Platz bekommen, musste dann aber wegen einer Verletzung zurücktreten. Das Team musste dann mit einer Person weniger antreten. Ich fühle mich also ein bisschen schuldig.

Wenn mir als amerikanischer Verband ein Jim Walmsley signalisieren würde, dass er interessiert ist, würde ich ihm sicherlich eine Chance geben, auch wenn er im letzten Jahr vielleicht verletzt war. Ich weiß nicht, wie es in den USA funktioniert, aber in Deutschland gab es eine Menge Diskussionen über die deutsche Auswahl für die Meisterschaften. Der Vorwurf an den Verband war, dass das Auswahlverfahren der Athleten und Athletinnen teilweise intransparent abgelaufen ist. Geht es im amerikanischen Nominierungsverfahren auch um Politik?

Nein. Ich glaube, es gibt sechs Slots. Man bewirbt sich bei einer Jury. Es wird aber auch ein oder zwei Qualifikationsrennen geben. Wenn du gewinnst, bist du dabei.

Stehen diese Rennen schon fest?

Nein, ich glaube noch nicht.

Jim Walmsley im Grand Canyon, einem seiner US-Trainingsreviere in Arizona. Foto: Hoka

Das macht die Planung für nächste Saison schwierig.

Ja, auf jeden Fall. Im Moment habe ich einen Startplatz für den UTMB 2025 sicher, dank Western States. Das liegt also auf dem Tisch. Allerdings müsste ich mir den Weg dahin noch überlegen. Die WM und der UTMB liegen einen Monat auseinander. Es wäre eine Möglichkeit, beides zu versuchen.

Jemand wie du könnte es auf jeden Fall probieren.

Ja. Vier Wochen Pause sind schön, weil man in vier Wochen nicht allzu viel tun muss. So war es bei meinem Start in Nizza letztes Jahr vier Wochen nach dem UTMB auch. Das hat am Ende funktioniert. Das Rennen lief wirklich gut, aber das Leben dazwischen war herausfordernd. Ein Familienmitglied ist gestorben und ich bin mit dem Fahrrad gestürzt. Na ja und geheiratet habe ich auch. Eine Hochzeit, die sich in eine ganze Woche andauernde Party verwandelte. Letzteres war allerdings super.

" Ich war ernsthaft depressiv zu dieser Zeit. Das war wirklich der Tiefpunkt meines bisherigen Lebens. "

Jim Walmsley

Ein kleiner Themenwechsel. Gibt es ein bestimmtes Buch, das du oft empfiehlst oder sogar verschenkst?

Nein, ich bin kein großer Leser, wenn dann mag ich Hörbücher. Ich habe mich etwas von Hörbüchern entfernt, wahrscheinlich seit COVID. Vorher bin ich im Umkreis von zwei Stunden überall hingefahren, um bestimmte Trails zu laufen. In der Zeit konnte ich Hörbücher hören. Heute, auch dank COVID, laufe ich nur noch von zu Hause aus. Wenn ich in Flagstaff oder besonders in Arêches bin, laufe ich einfach von der Haustür los. Seitdem habe nicht wieder mit Hörbüchern angefangen. Ich höre auch nichts, wenn ich laufe. Leider ist es aktuell also etwas eingeschlafen, aber ich werde irgendwann wieder einsteigen.

Vielleicht schreibst du eines Tages ja dein eigenes Buch. Gibt es einen bestimmten Misserfolg, von dem du sagen würdest, dass er dich zu dem Läufer gemacht hat, der du heute bist? Sozusagen eine Art „Lieblingsmisserfolg“?

Ja, damals als ich aus dem Militär geflogen bin und herausfinden musste, wie es in meinem Leben weitergeht. Ich musste zurück zu meinen Eltern ziehen. Zumindest für 3 Monate. Später suchte ich mir einen Job in einem Fahrradladen. Ich war ernsthaft depressiv zu dieser Zeit. Das war wirklich der Tiefpunkt meines bisherigen Lebens. Rückblickend hat mir diese Zeit aber eine enorme Freiheit verschafft. Auch durch den bedingungslosen Support meiner Eltern, die einfach gesagt haben: Uns ist egal, was du tust, Hauptsache es macht dich wieder glücklich. Am Ende habe ich es auch ihnen zu verdanken, dass ich nicht dem hinterhergejagt bin, von dem ich dachte, die Gesellschaft erwartet es von mir, sondern den Dingen, die ich wirklich wollte. Das war zu diesem Zeitpunkt eben Trailrunning in Flagstaff. Je mehr ich in den Sport investiert habe, umso mehr hat er mir auch zurückgegeben. Es war und ist einfach unglaublich.

Hat es sich damals wie ein Scheitern angefühlt als du aus dem Militär geflogen bist?

Ja, ich fühlte mich wie ein Versager.

Jim Walmsley bei seinem Zieleinlauf beim UTMB 2023. Foto: UTMB

Manchmal, wenn man so etwas aus heutiger Sicht betrachtet, versucht man ja, einen roten Faden zu spinnen. Es wirkt dann fast so, als wäre es das persönliche Schicksal gewesen eine schwierige Phase zu durchleben. Dabei vergisst man, dass die Zeit damals wirklich wehtat.

Ich erinnere mich gut. Ich meine, ich bin mir bewusst, dass ich wirklich selbstmordgefährdet war. Es war kein guter Zeitpunkt in meinem Leben.

Ich bin froh, dass du so offen damit umgehst. Ich weiß, dass es viele Läuferinnen und Läufer gibt, die an dunklen Orten unterwegs sind, und ich denke, dass sie sich mit den Dingen, die du sagst, identifizieren können.

Das mag sein. Es war halt eine Zeit in meinem Leben. Ich leugne sie nicht. Es ist, was es ist. Aber ich halte mich im Allgemeinen nicht zu sehr damit auf. Die Phase hat mich zu besseren Zeiten gebracht und zu Dingen, die ich jetzt gerne mache. Ich bin einfach froh, dass es so gekommen ist.

Es gibt viele Trailrunner, die jetzt in unseren Sport kommen, vielleicht sogar von Ihnen inspiriert. Gibt es einen allgemeinen Tipp, den du diesen jungen Menschen geben kannst?

Ich sehe viele junge, ehrgeizige und schnelle Leute, die einen ähnlichen Weg einschlagen und einen ähnlichen Hintergrund haben wie ich. Es ist einfach so, dass Geschwindigkeit gefährlich sein kann, weil sie einen in Sackgassen führt, als würde man durch ein Labyrinth hetzen. Mein Tipp? Lerne den Prozess. Habe Geduld, um den Sport zu lernen. Und ja, diesen letzten Tipp vergesse ich immer wieder, dabei ist das der einfachste: Biege bei Meile 93 beim Western States links ab. Das ist ein guter Tipp.

Als ich den Western States gelaufen bin und dort ankam, dachte ich tatsächlich an dich und ich nahm die richtige Abzweigung. Du hast mir in diesem Fall sehr geholfen. Danke für das Interview.

Gerne, kein Problem.

Wenn du selbst depressiv bist, wenn du Suizid-Gedanken hast, dann kontaktiere bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123.

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