Interview: Wer ist Lotti Brinks und warum läuft sie für Deutschland?

Wer ist Lotti Brinks? Das haben sich hierzulande viele gefragt, als ihr Name in der Nominierungsliste des DLV für die kommende Trail-WM auftauchte. Wir haben mit der in den USA lebenden Trailläuferin gesprochen und eine selbstbewusste Athletin kennengelernt, die große Ziele verfolgt.

Alles Laufbar: Lotti, du wurdest vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) für die Trail-WM nominiert. Herzlichen Glückwunsch! Das ist das erste Mal Nationalmannschaft für dich. Wie hast du davon erfahren und wie waren deine ersten Reaktionen?

Lotti Brinks: Danke! Ich glaube, am 4. Juli kam die Einladung per E-Mail. Das war ein cooler Moment! Ich freue mich riesig, Deutschland zu repräsentieren und nach Spanien fahren zu dürfen. Es wurde schnell eine WhatsApp-Gruppe mit allen Team-Mitgliedern erstellt. Es ist schön, die anderen nach und nach kennenzulernen, weil ich die meisten nicht persönlich kenne.

Kam die Nominierung überraschend?

Sagen wir mal so: Ich hatte darauf gehofft. Ich habe im Dezember letzten Jahres das erste Mal Kontakt zu Hannes Namberger aufgenommen, dem Athletensprecher des DLV. Ich habe ihn gefragt, wie der Nominierungsprozess in Deutschland abläuft – in den USA ist das nämlich ganz anders. Da habe ich herausgefunden, dass es Sichtungsrennen gibt und dass die Nominierungen erst im Juli feststehen. Recht schnell habe ich mich dann mit Meike Billig vom DLV in Verbindung gesetzt, um zu klären, was ich anstelle eines Sichtungsrennens von hier aus machen kann. Ich wohne ja seit elf Jahren in Amerika. Es kam das Problem hinzu, dass ich in meinen Itra- und UTMB-Profilen als Amerikanerin geführt werde. Zusammengefasst: Es war ein riesiges Chaos.

(Anm.d.Red.: Laut den Nominierungsrichtlinien des DLV war Lotti aufgrund ihres 9. Platzes beim CCC und ihrer 758 UTMB-Punkte vornominiert und brauchte daher an keinem Sichtungslauf teilnehmen.)

Alle Fotos: Matt Larson

Ja, wir waren auch etwas verwirrt, weil neben deinem Namen bei der Itra und dem UTMB die US-Flagge zu sehen war. Aber du bist ja in Deutschland geboren, hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Wie bist du zum Laufen gekommen und wie kam es, dass du in die USA gegangen bist?

Ich habe mit 16 mit dem Laufen angefangen. Damals bin ich für den TSV 1880 Wasserburg gestartet, das liegt östlich von München. Ich war Mittelstrecklerin auf der Bahn und war relativ erfolgreich. Ich habe es zum Beispiel zu den deutschen Meisterschaften geschafft und bin dort immerhin in die Top 10 gelaufen. Dann wurde ich von ScholarBook kontaktiert, die mich fragten, ob ich Interesse an einem Studium in Amerika hätte. Das ist eine Organisation, die Sportstipendien vermitteln und den Kontakt zu Coaches an US-Unis herstellt. Ehrlich gesagt hatte ich nach dem Gymnasium keine Idee, was ich machen will und dachte mir: „Das ist eine coole Möglichkeit! Ich wollte eh ein bisschen reisen und dachte: Komm, das ist im Grunde ein bezahlter Trip nach Amerika, dann mache ich das.“

Ich bin dann beim Savannah College of Art and Design gelandet und habe dort angefangen, Produktdesign zu studieren und für das College-Team zu laufen, hauptsächlich Mittelstrecke und Cross-Country. Meine Lieblingsdistanzen waren damals zwischen fünf und zehn Kilometern – das war mein Sweet-Spot. Und dort habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Lustigerweise sagte meine Mama bei meiner Abreise: „Wenn du da drüben jemanden kennenlernst, kommst du nie wieder nach Hause.“ Und so war es dann auch. (lacht)

Wie bist du dann zum Trail- und Ultralaufen gekommen?

Mein College-Coach hat damals angefangen, Ultras zu laufen und hat mich dann so ein bisschen in diese Welt mitgenommen und mich für die ersten Wettkämpfe gecoacht.

Alle Fotos: Matt Larson

Dein Einstieg verlief ja ziemlich rasant. Du bist schnell von 50 auf 100 Kilometer und sogar auf 100 Meilen gegangen – alles innerhalb des Jahres 2021. Was hat dich von Anfang an an den langen Distanzen gereizt?

Das stimmt. Ich habe die Halbmarathon-Distanz komplett ausgelassen. Am Anfang bedeutete Ultra für mich Abenteuer und die Möglichkeit, die eigenen Grenzen zu erkunden. Das hat mich an den langen Distanzen gereizt. Ich mag es, einfach einen ganzen Tag lang unterwegs zu sein. Mein einziger Fokus ist dann der nächste Schritt. Und dann der nächste, und dann der nächste… Ich muss an nichts denken, außer ans Laufen. Das liebe ich an diesen langen Distanzen. Mein erster 50-Kilometer-Lauf, der Bandera 50K, war ein zusätzliches Abenteuer bei echt technischen Trails und miesem Wetter. Es hat gehagelt und geschneit, was für Texas ungewöhnlich ist. Ich habe es geliebt und danach direkt gesagt: „Ja, komm, ich mach‘ 100 Kilometer!“ Und ich glaube, vier Wochen danach bin ich bei meinem ersten 100-Kilometer-Rennen gestartet. Mittlerweile würde ich sagen, dass die 100 Kilometer meine Lieblingsdistanz sind.

Du hast deine beiden ersten Trailrennen ja auch gleich gewonnen.

Ja, ich habe die ersten beiden gewonnen. Vor allem beim zweiten, dem 100er, dem Rocky Raccoon, bin ich eine ziemlich schnelle Zeit gelaufen. Direkt danach wurde ich von Salomon unter Vertrag genommen und bin dann erst mal zwei Jahre lang für Salomon gestartet, bevor ich dieses Jahr zu Hoka gewechselt bin.

(Anm.d.Red.: Lotti hat den Rocky Raccoon 2021 mit 101 km und 1440 hm in 8:46 Stunden gewonnen.)

Was sind generell deine Stärken im Trailrunning? Was zeichnet dich als Läuferin aus?

Am Anfang wurde mir der Stempel gegeben, dass ich eine „schnelle“ Läuferin bin, die schnell im Flachen ist, weil es in Austin, Texas keine Berge gab. Dorthin bin ich mit meinem Mann nach dem College gezogen. Jetzt leben wir in Boise in Idaho und ich muss sagen: Seitdem bin ich ziemlich stark im Uphill geworden, wenn ich meinen Rhythmus gefunden habe. Davon abgesehen macht mir Laufen einfach brutal Spaß und ich bin glücklich, draußen zu sein und das alles machen zu dürfen. Ich bin dankbar dafür, wenn ich auf dem Trail bin. Das ist auch eine Stärke, oder? Ich meine, wenn jemand mit einem Lächeln auf dem Trail leiden kann. Lauftechnisch liegen mir steile, aber gerade noch laufbare Uphills gut. Und am Ende, wenn das Ziel näherkommt, kann ich meistens noch recht schnell laufen.

Profitierst du besonders dann noch von deiner Leichtathletikvergangenheit?

Ja, schon. Ich glaube, meine Schnelligkeit hilft mir. Ich mache jede Woche mindestens eine Tempoeinheit. Das brauche ich, das macht mir Spaß. Ich habe eine gute Balance zwischen Trailrunning und schnellem Intervalllaufen gefunden. Ich will das nicht verlieren und es hilft mir als „Confidence Builder“. Ich ziehe Selbstbewusstsein daraus, wenn ich immer noch, ich weiß nicht, 16 Minuten auf 5 Kilometer laufen kann. Wenn ich viel bergauf hike und Höhenmeter sammle, ist es schwierig abzuschätzen, wie fit ich bin. Zumindest ist das für mich so. Ich kann natürlich nicht für alle sprechen.

Alle Fotos: Matt Larson

Wo wir beim Training sind: Hast du aktuell einen Trainer oder eine Trainerin?

Ja, Tyler Green ist mein Coach. Kennst du ihn?

Tyler Green ist mal Zweiter beim Western States geworden, oder?

Ja, neben vielen anderen guten Ergebnissen, genau. Tyler ist super. Er ist auch dieses Jahr bei der WM dabei für Team USA. Ich arbeite seit Anfang letzten Jahres mit ihm zusammen. Er hat mich 2024 für den Western States gecoacht, weil er dort viel Erfahrung hat. Anschließend hat er mich auf den CCC vorbereitet und ist heute immer noch mein Coach.

Okay, kommen wir zur WM. Wie groß ist die Vorfreude? Auf einer Skala von 1 bis 10.

Zehn von zehn! Ich freue mich total drauf. Ich bin in Europa noch nicht viele Trails gelaufen. Ich bin beim UTMB und CCC gestartet, aber das war es dann auch schon mit Ultraläufen in Europa. Das will ich langsam ändern. Weil ich aus Europa komme, will ich auch mehr in Europa laufen – dass ich das jetzt im Deutschland-Trikot machen darf, umso schöner. Die WM-Strecke schaut geil aus. Ich habe ein paar Videos gesehen und freue mich voll drauf. Das wird cool.

Das heißt, du hast dich schon ein bisschen über die Strecke informiert. Schaust du dir vorab Teile der Strecke vor Ort an?

Ich würde mir die Trails gerne vorab anschauen, muss aber gucken, wie ich das organisiert kriege. Das wird viel Hin-und-her-Fliegerei, aber idealerweise wäre ich eine Woche früher dort. Jetzt fliege ich erstmal in zwei Wochen nach Frankreich und bin dann zwei Wochen im Hoka-Trainingslager. Das sind zwar nicht die Pyrenäen, aber es ist spezifisches Training mit steilen Anstiegen, mit technischen Trails und so weiter. Hier in Idaho sind die Trails generell schon eher laufbarer. Nach dem Trainingslager bin ich zwei Wochen auf Familienbesuch in Deutschland und dann geht es zurück nach Chamonix, wo ich ja den CCC laufe.

Alle Fotos: Matt Larson

Ok, du willst schon beides laufen? Den CCC und dann vier Wochen später die WM?

Ich will beides laufen und ich glaube auch, dass das passt. So einen Turnaround habe ich schon ein paar Mal gut hingekriegt, auch mit 100 Kilometern und dann drei Wochen später 50 Meilen bzw. 80 Kilometer. Ich habe mit Tyler darüber gesprochen und wir bereiten mich dementsprechend vor, dass ich beide Rennen machen kann. Ich habe dafür den Sommer etwas ruhiger gestaltet und bin seit April keine Rennen mehr gelaufen. Diese Saison ist aufgeteilt in eine Frühlingssaison und eine Spätsommersaison. Das heißt, im Februar bin ich Tarawera in Neuseeland gelaufen, im April Desert Rats in Colorado. Die liefen beide super, aber dann habe ich mir bewusst eine Pause genommen – nicht mal aus physischen Gründen, sondern besonders für den Kopf – damit ich wirklich hungrig auf die nächsten Rennen werde. Die letzten paar Monate konnte ich gut und konsistent trainieren ohne Rennunterbrechung. Jetzt bin ich super fit, super frisch und freue mich sehr auf die nächsten Rennen.

Ja, ich glaube, da bist du nicht die Einzige, die das Double CCC/WM macht. Du bist letztes Jahr beim CCC in die Top 10 gelaufen. Geht da dieses Jahr sogar noch mehr?

Logisch, es geht immer noch was! (lacht) Dieses Jahr will ich tatsächlich aufs Podium laufen. Ich erinnere mich noch gut an das letzte Jahr, wie Rosanna Buchhauer mich überholt hat. Rosanna ist die Einzige im WM-Team, die ich schon mal kennengelernt oder zumindest gesehen habe. Jedenfalls hatte ich beim CCC einen super Start, aber im mittleren Teil magentechnisch ziemliche Probleme. Zum Schluss ging alles wieder super. Im letzten Drittel habe ich einfach eine nach der anderen überholt. Meine Logik sagt: Wenn ich dieses mittlere Stück nur ein paar Prozent besser laufe, ist das Podium ein realistisches Ziel. Da waren mit Sicherheit ein, zwei Stunden Luft nach oben.

Wir drücken dir die Daumen. Letzte Frage: Im Freetrail-Podcast hast du erzählt, dass du überlegst, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Hat das Konsequenzen für deine Startberechtigung in der Nationalmannschaft? Musst du dich dann entscheiden? Oder ist es so, dass du nicht mehr ins Team USA wechseln kannst, wenn du einmal für Deutschland gestartet bist?

Ich bin Deutsche und werde auch immer Deutsche bleiben. Wenn ich eine Staatsbürgerschaft beantrage, wäre das eine doppelte. Meine Deutsche würde ich nicht aufgeben. Ich weiß auch nicht genau, was die Regeln sind, aber Maike Billig vom DLV hat mich auch gefragt, ob ich schon mal für Amerika gestartet bin. Das hätte möglicherweise zum Problem werden können. Mein Plan ist, dass ich immer deutsche Staatsbürgerin bleibe und für Deutschland starte. Die amerikanische Staatsbürgerschaft hat nichts mit dem Laufen zu tun und mehr mit meinem normalen Leben, mit meiner Arbeit und damit ich hier auch wählen kann.

(Anm.d.Red.: Wer eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, kann gemäß den aktuellen World Athletics-Regeln normalerweise auch nach einer WM-Teilnahme für ein bestimmtes Land zu einem späteren Zeitpunkt für ein anderes Land starten, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind und eine Sperrfrist von 12 Monaten eingehalten wird).

Das heißt, wir können uns theoretisch auf eine lange Nationalmannschaftskarriere von dir freuen.

Ich hoffe. Das würde mich echt freuen.

Lotti, danke für das Gespräch!

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