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Update vom 30.5.2024: Es gibt neue Entwicklungen in dem Fall, die sich in der Zeit nach der Veröffentlichung unseres Artikels ereignet haben. Wie sich herausstellt, hat nicht nur Sporthunger eine Laboranalyse der „Awesome Sauce“ in Auftrag gegeben. Eine Crowdfunding-Kampagne hat 2.805,00 $ eingesammelt, um die Nährwerte der „Awesome Sauce“ und anderen Produkten von Spring Energy untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse werden in diesen Tagen erwartet. Auch der populäre US-amerikanische Trainer Jason Koop hat Gels im Labor untersuchen lassen. Die Ergebnisse hat er vollumfänglich mit den Originaldokumenten veröffentlicht. Er kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, wie die Analyse von Sporthunger: Die „Awesome Sauce“ enthält nur 18 g anstatt 45 g Kohlenhydrate. Koop hat zudem zwei weitere Gels von Spring Energy, die Sorten „Canaberry“ und „Hill Aid“, analysieren lassen. Auch hier stellt sich heraus, dass die von Spring Energy angegebenen Werte nicht stimmen. „Canaberry“ enthält nicht 17 g, sondern nur 10 g Kohlenhydrate. „Hill Aid“ verspricht 20 g, liefert aber nur 10 g Kohlenhydrate. Auch andere Medien wie das „Canadian Running Magazine“ oder „The Direct“ haben die Kontroverse mittlerweile aufgegriffen. Der Hersteller hat reagiert: Die „Awesome Sauce“ wurde mittlerweile aus dem Onlineshop von Spring Energy entfernt.
Ein Energy-Gel, das wie zimtiger Apfelkuchen schmeckt, auf rein natürlichen Inhaltsstoffen basiert, überdurchschnittlich viel Kohlenhydrate und Kalorien bietet und dazu noch maximale Verträglichkeit verspricht? Was in den Ohren eines Trailrunners klingt wie das kulinarische Paradies auf Erden, ist das Verkaufsversprechen von Spring Energys „Awesome Sauce“. „Awesome“ heißt so viel wie großartig oder eindrucksvoll. Das 2022 auf den Markt gekommene Gel genießt Kultstatus. Es ist der absolute Bestseller der Marke.
Um die „Awesome Sauce“ gab es zuletzt eine Kontroverse. Es geht um nichts Geringeres als den Vorwurf des Etikettenschwindels. Die „Awesome Sauce“ sei gar nicht so „awesome“, wie sie vorgibt zu sein. Die angegebenen Nährwerte wären nicht zutreffend, heißt es. Was zunächst als unseriöses Internetgerücht aussah, entpuppt sich nun als wahr. Eine unabhängige Laboruntersuchung, deren Ergebnis der Redaktion vorliegt, beweist: Spring Energy hat bei den Nährwertangaben der „Awesome Sauce“ falsche Angaben gemacht. Es handelt sich nicht um kleine Abweichungen, die produktionstechnisch erklärbar wären. Nein, es handelt sich um völlig falsche Zahlen, die einen ins Staunen versetzen. Die Bedeutung dieses spektakulären Vorgangs kann in Anlehnung an vorangegangene Skandale „Springgate“ getauft werden.
Hat Spring Energy seine Kunden wissentlich getäuscht? Handelt es sich um ein großes Versehen? Oder ist das Beschönigen von Nährwertangaben im Lebensmittelbereich gar an der Tagesordnung?
Die Nährwertangaben der "Awesome Sauce" im Original auf Englisch.
Unsere Recherche beginnt mit einem Gel in der Hand. Die hellgrüne Verpackung der „Awesome Sauce“ listet die Inhaltsstoffe auf: Basmati-Reis, Apfelsaft, Apfelmus, Süßkartoffeln, Ahornsirup, Zitronensaft, Meersalz, Zimt und Vanille. Das wars. Vorbei die Zeit, in der man sich nach Geschmacksverstärkern schmeckende, klebrige Zuckermasse runter (und nicht selten auch wieder hoch) würgen musste. Mit der „Awesome Sauce“ in der Laufweste wird die Verpflegung während des Laufs zu einem echten Leckerbissen, auf das man sich mitunter sogar freuen kann. Das geradezu Spektakuläre sind jedoch die angebenden Nährwerte eines Gels. 180 Kalorien (kcal) und 45 g Kohlenhydrate bei nur 54 g Gewicht. Alles schön und gut, könnte man meinen. Aber auch zu schön und zu gut, um wahr zu sein?
Diese gelgewordene Kalorienbombe aus rein natürlichen Zutaten hat ihren Preis. 4,30 Euro kostet das Gel im Einzelhandel (der Preis in den USA liegt bei 5 US-Dollar pro Gel). Ein hoher Preis, der die „Awesome Sauce“ als absolutes Premium-Produkt platziert. Wer einen langen Ultra-Trail von 20 Stunden Dauer plant und 90 g Kohlenhydrate zu sich nehmen möchte, braucht zwei „Awesome Sauce“ pro Stunde. Beim Kauf von 40 Gels landet man bei einem Investment von 172 Euro, was die Startgebühr nicht selten übertreffen dürfte. Offenbar sind jedoch genug Menschen bereit, diesen Preis zu zahlen. Beim einzigen Händler, der die „Awesome Sauce“ in Deutschland vertreibt, Sporthunger.de, ist sie regelmäßig ausverkauft.
Ein mutmaßlich entscheidendes Kaufargument: 45 g Kohlenhydrate bei 54 g Gewicht. Zum Vergleich: Das Premiumprodukt „Black Line“ des Herstellers PowerBar bietet 30 g Kohlenhydrate bei 50 g Gewicht. Branchenprimus Maurten bietet 25 g Kohlenhydrate auf 40 g Gewicht. Die „Awesome Sauce“ schneidet im Vergleich also sehr gut ab, zumindest wenn man Wert auf möglichst viele Kohlenhydrate legt. Gerade bei Sportnahrung sind diese Angaben von entscheidender Bedeutung. Spring Energy, 2014 von Rafal Nazarewicz und Adam Goleniewski gegründet, weiß das und vermarktet das Produkt dementsprechend. In der Produktbeschreibung heißt es: „Mit einem beeindruckenden Kohlenhydratgehalt von 45 g stellt dieses Gel eine umfangreiche und leicht verfügbare Energiequelle zur Unterstützung optimaler Leistung bei intensiven Trainingseinheiten oder Wettkämpfen dar.“
Die Gründer von Spring Energy, Rafal Nazarewicz und Adam Goleniewski. Foto: Spring Energy
Es ist dieser „beeindruckende Kohlenhydratgehalt“, der im April eine Diskussion auf der Plattform reddit ausgelöst hat. Die Plattform reddit gilt zwar nicht gerade als Heimstätte der sachlichen Debattenkultur. Es wäre jedoch zu einfach, die dort aufgeworfenen Kritikpunkte pauschal als unseriös zu brandmarken. Wir haben uns die Diskussion vollständig durchgelesen, nachdem wir auf das Thema aufmerksam wurden. Der Initiator ist der User „sriirachamayo“, der nach eigenen Angaben in einem Chemielabor arbeitet. Er nutzt die Produkte von Spring Energy selbst. Nur bei den Werten der „Awesome Sauce“ wurde er skeptisch und hat den Verpackungsinhalt kurzerhand einem, sagen wir mal, unkonventionellen Versuch unterzogen. Würde sein Versuch die Nährwertangaben von Spring Energy bestätigen? Oder würde sich sein Verdacht erhärten?
Sein Experiment erfüllt sicher nicht wissenschaftliche Standards. Er entzieht dem Gel kurzerhand sämtliche Flüssigkeit – in einem handelsüblichen Küchenmixer. Die übrig gebliebene Masse legt er auf die Waage. Siehe da, das trockene Überbleibsel des Gels wiegt lediglich 16 g. Seinem Verständnis nach müssten sich in dieser Masse allerdings die 45 g Kohlenhydrate befinden. Eine Rechnung, die nicht aufgeht. Er schreibt, dass selbst wenn die von ihm gewogenen 16 g reine Kohlenhydrate wären, würde das in Summe nur ca. 60 kcal ergeben. Nicht 180 kcal. Sein brisanter Befund: Die „Awesome Sauce“ liefert nur ein Drittel der Kohlenhydrate und Kalorien, die sie vorgibt, zu liefern.
Der findige User sieht sich bestätigt und teilt seine Ergebnisse auf reddit. Immer mehr Menschen äußern ihre Skepsis, versuchen die Zusammensetzung der „Awesome Sauce“ nachzukreieren, scheitern jedoch deutlich. Die Debatte wird am 30. April vom amerikanischen Laufpodcast „Singletrack“ aufgegriffen und verlässt damit den vermeintlich unseriösen reddit-Kosmos. Spätestens jetzt ist das Thema in der Lauf- und Trailszene angekommen. Auch wir starten zu diesem Zeitpunkt mit der Arbeit an diesem Artikel.
Der US-Ultratrailläufer Sage Canaday wirbt für seinen Sponsor Spring Energy. Foto: Instagram
„Ist es nicht seltsam, dass selbst Marken, die nicht behaupten, ausschließlich natürliche Inhaltsstoffe zu verwenden, sondern jedes Hightech-Tool zur Optimierung der Ernährung nutzen (z.B. Maurten, SiS), immer noch keine Gels mit dieser Zusammensetzung und diesem Kaloriengehalt haben?“, fragt der Initiator der Diskussion. Wie ist das möglich? Er kontaktiert Spring Energy mit der Bitte um eine Stellungnahme. Spring Energy antwortet, gibt sich aber wortkarg. Man stehe zwar zu den Angaben, würde diese aber erneut prüfen. Das Ergebnis der Überprüfung hat Spring Energy bis heute nicht öffentlich gemacht. Alle schriftliche Anfragen von Alles Laufbar an die Marke bleiben bis heute unbeantwortet.
Wir haben frühzeitig den Kontakt zu Sporthunger.de gesucht, dem einzigen Händler, der Spring Energy in Deutschland verkauft. Ja, die Debatte würde wahrgenommen. Eine von Sporthunger in Auftrag gegebene Laboranalyse soll Klarheit schaffen. Bis dahin wolle man sich nicht an Spekulationen beteiligen. Am 15. Mai liegt das Ergebnis der Analyse vor. In einem Telefonat am Mittag teilen uns die Inhaber von Sporthunger Jonas Jacquet und Florian Dohrn die Kernaussage des Befunds mit. Es sind keine 45 g Kohlenhydrate pro Packung. Es sind auch keine 30 g. Noch nicht einmal 20 g. Es sind 16 g. Exakt die Zahl, die der reddit-User in seinem Küchenmixer-Versuch herausgefunden hat. Dass das Ergebnis so dramatisch schlecht ausfallen würde, macht die beiden Gründer von Sporthunger sprachlos. Wie damit umgehen? Wir vereinbaren, dass man die Geschehnisse in Ruhe analysieren müsse und dass dieser Artikel erst nach einem Statement von Sporthunger.de veröffentlicht werden wird. Das Statement kommt am 17. Mai in Form einer Videobotschaft. In dem Video zeigen sich die beiden Gründer geschockt und enttäuscht von den Ergebnissen.
Natürlich und lecker: Ein Produktfoto der "Awesome Sauce". Foto: Spring Energy
Noch vor dem Bekanntwerden der Laboruntersuchungen telefonieren wir mit Stephanie Wetzel, Projektkoordinatorin „Lebensmittelklarheit“ bei der Verbraucherzentrale Bundesverband (VzBv). Wir fragen nach, ob es üblich ist, dass Hersteller die Nährwertangaben ihrer Produkte mitunter ungenau angeben, sie sogar beschönigen? Oder anders gesagt: Die zugelassenen Toleranzbereiche ausreizen? „Nein“, sagt die Expertin. „Angaben auf Lebensmitteln müssen stimmen“. Da gebe es kein Wenn und Aber. Sicher, bei Lebensmitteln mit natürlichen Inhaltsstoffen sei es komplexer. Da könne es durchaus zu von Charge zu Charge zu Abweichungen kommen.
Peter Loosen, Geschäftsführer und Leiter des Brüsseler Büros vom Lebensmittelverband Deutschland, pflichtet ihr bei. Er schreibt uns: „Toleranzen muss es geben, weil es immer Schwankungen gibt, sowohl produktionsbedingte als auch solche bei den eingesetzten Rohstoffen – und natürlich sind die Schwankungen bei ‚natürlichen Zutaten‘ eher größer.“ Wir erinnern uns: Spring Energy nutzt ausschließlich natürliche Zutaten. Loosen verweist auf gesetzliche Vorgaben. Wir haben uns daraufhin durch das geltende EU-Recht gekämpft. Fündig wurden wir in der Verordnung Nr. 1169/2011 der Europäischen Kommission. Dort steht folgendes:
„Toleranzen bei der Angabe von Nährstoffen auf Etiketten sind wichtig, da Lebensmittel aufgrund natürlicher Schwankungen und Veränderungen bei der Herstellung und Lagerung nicht immer exakt den angegebenen Nährwert enthalten können. Jedoch sollten die Nährstoffgehalte des Lebensmittels möglichst wenig von den auf dem Etikett angegebenen Werten abweichen, so dass Verbraucherinnen und Verbraucher dadurch nicht irregeführt werden können.“
Weiter heißt es, dass „die angegebenen Werte den Durchschnittswerten für viele Portionen der Lebensmittel entsprechen und weder an der Ober- noch an der Untergrenze eines bestimmten Toleranzbereichs etabliert werden.“ Das lässt viel Interpretationsspielraum. Sicher ist: Wenn die tatsächlichen Nährstoffgehalte zu weit von den Werten auf der Verpackung abweichen, findet eine Irreführung des Verbrauchers statt. Eine Täuschung. Und dann wird es kniffelig. Hat Spring Energy wirklich daran geglaubt, dass ihre Zahlen stimmen? Immerhin haben sämtliche Kontrollinstanzen, in den USA ist dafür vornehmlich die Food and Drug Administration (FDA) zuständig, die dargelegten Werte für plausibel gehalten, sonst wäre das Produkt in der Form nicht für den Markt zugelassen worden.
Was ist mit konkreten Zahlen? In Tabelle 1 der Verordnung steht, dass Lebensmittel bei der Angabe von Kohlenhydraten pro 100 g mit plus/minus 8 g abweichen dürfen, wobei die Messunsicherheit bereits berücksichtigt wurde. Das würde für die „Awesome Sauce“ von Spring bedeuten: Alles unter 37 g Kohlenhydrate wäre bereits problematisch. Nun sind es, wie bereits erwähnt, lediglich 16 g. Das sind nur 35 % der angegebenen Menge. Um bei unserem vorher angeführten Beispiel zu bleiben: Plant ein Trailrunner in einem Wettkampf zwei Gels pro Stunde zu sich zu nehmen, um auf 90 g Kohlenhydrate zu kommen, wird er tatsächlich nur 32 g pro Stunde bekommen. Deutlich zu wenig, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Manch Trailrunner dürfte damit nachträglich eine Erklärung für den ein oder anderen Einbruch während eines vergangenen Wettkampfs geliefert bekommen. Die gute Nachricht: An der Fitness hat es nicht gelegen.
Es handelt sich um Abweichungen, die sich nicht mit Messfehlern oder Fehlkalkulationen erklären lassen. Wie es zu diesem eklatanten Fehler mit dem Spring Energy mutmaßlich viel Geld verdient hat, gekommen ist, können uns nur die Inhaber von Spring Energy selbst erklären. Doch es herrscht Stillschweigen. Wie man hört, berät eine Marketingagentur Spring Energy in der Kommunikation in dieser Frage. Fest steht: Der Moment, in dem man Schadensbegrenzung durch umfassende Transparenz und Offenheit hätte herstellen können, dürfte verstrichen sein. Ob es die „Awesome Sauce“ noch länger geben wird?
Sporthunger.de hat das Produkt frühzeitig aus dem Sortiment genommen und alles dafür getan, um ihre Kundinnen und Kunden bestmöglich zu informieren. Andere internationale Händler dürften folgen. Vielleicht wird Spring Energy die Rezeptur ändern. Vielleicht wird es irgendwann nach unten korrigierte Nährwertangaben geben. Was auch passiert, die „Awesome Sauce“ mag zwar „awesome“ schmecken, in allen anderen Bereichen ist sie aber maximal Durchschnitt. So bleibt am Ende ein Produkt, das den Namen „Awesome Sauce“ nicht verdient hat. Stattdessen würde „Average Sauce“ deutlich besser passen.