Akzeptanz und Adaption: Über den Mozart 100 (und das Wattwandern)

Kein Bock zu lesen? Lass dir diesen Artikel einfach vorlesen. Jetzt Mitglied werden und Vorlesefunktion freischalten.

Ultralaufen ist an sich schon nicht leicht. Ultralaufen bei Dauerregen, Wind und Kälte, ist doppelt schwierig. Christian von Alles Laufbar hat am Mozart 100 by UTMB teilgenommen und berichtet, was er vor Ort erlebt hat und wie er mit den herausfordernden Verhältnissen umgegangen ist.

Tipp: In Folge #74 des Vom Laufen-Podcasts spricht Christian ausführlich über den Mozart 100.

„Das waren definitiv die schwierigsten Wetterbedingungen, die ich je bei einem Rennen erlebt habe.“ Das schreibt der US-amerikanische Profiläufer Dylan Bowman auf seinem Instagram-Profil, nachdem er als Vierter über die Ziellinie in Salzburg gelaufen ist. Man muss wissen: Dylan Bowman ist in seiner Karriere bereits Wettkämpfe wie den Hardrock 100 oder den Grand Raid de La Reunion gelaufen. Rennen, die den Ruf genießen, schwierig, hart, tough zu sein. Der Mozart 100 by UTMB (105 km/5400 hm) hingegen gilt als eine vergleichbar laufbare Strecke. Für Neulinge auf der Ultradistanz wird er gar als gut-machbarer Einstiegs-100er gehandelt. Viele flache Passagen, reichlich Asphaltabschnitte und keine Gipfel über 1500 Meter Höhe versprechen theoretisch schnelle Zeiten. Zumindest dann, wenn die äußeren Bedingungen halbwegs mitspielen.

Der Start des Mozart 100 by UTMB in der Salzburger Innenstadt. Foto: UTMB

Das Tief Radha wird diese Ausgabe des Rennens allerdings zu einer außergewöhnlichen Edition machen. Katastrophenalarm in Teilen Süddeutschlands. Deiche brechen, Keller überfluten, Straßen sind unbefahrbar. In den Nachrichten wird empfohlen, die eigenen vier Wände nur in dringenden Fällen zu verlassen. Ein gutes Wochenende um einen Ultra-Trail zu laufen? „Trailrunning ist ein Freiluftsport. Ihr kennt das. Ihr seid darauf vorbereitet“, sagt Josef Mayerhofer, Gründer des Mozart 100, am Donnerstagabend beim Welcome Dinner in einem traditionellen Salzburger Restaurant unweit des Startbereichs. Es ist das Thema Nummer 1, das Wetter. Mayerhofer erzählt außerdem nicht ohne Stolz, dass der Mozart Marathon an diesem Wochenende mehr Startende habe, als der vor einigen Wochen stattgefundene Salzburg (Straßen-)Marathon. Er wünscht allen Anwesenden viel Glück und guten Appetit. Die Tischgespräche über das Wetter können weitergehen.

„Um 9 Uhr morgens sollen es auf dem ersten Gipfel nur 2 Grad sein. Plus Regen und Wind“, sagt jemand der französischen Topläuferin Maryline Nakache. Nakache lässt sich erkennbar nicht aus der Ruhe bringen. Sie hat nicht nur ihre Tante und ihren Onkel als Support auf der Strecke dabei, sie hat das schlechte Wetter des letztjährigen TDS (mach einer sagt: der von der Streckenbeschaffenheit deutlich anspruchsvollere UTMB) noch in Erinnerung. Den TDS konnte sie 2023 mit einer halben Stunde Vorsprung sensationell gewinnen. Den berühmt-berüchtigten Etappenlauf Marathon des Sables (MDS) konnte sie ebenfalls letztes Jahr für sich entscheiden. Schwierige Bedingungen scheinen der Französin also zu liegen. Sie liebäugelt mit einer Zeit um die 13 Stunden, sagt sie, während sie an einem Glas Rotwein nippt.

Unser Autor Christian überquert eine rutschige Holzbrücke. Foto: Sportograf

Núria Gil, die sich auf Distanzen zwischen 30 und 50 km spezialisiert hat. 2022 ist Gil zweitplatzierte beim wahrscheinlich auf dieser Distanz umkämpftesten Rennen der Welt, dem OCC, geworden. Ob sie bei den erwartbar schlechten Bodenverhältnissen Stöcke nutzen wird, frage ich sie. „Stöcke? Nein, ich laufe nie mit Stöcken.“ Niemand am Tisch versucht sie vom Gegenteil zu überzeugen. Núria Gil weiß, was sie kann. Und sie weiß, was sie nicht mag: Stöcke.

Am Vorabend treffen wir Marian und Shari Wilken aus Garmisch-Partenkirchen. Marian ist kürzlich eine Marathon-Bestzeit gelaufen. Beim K65 im Rahmen des Innsbruck Alpine Trail Festivals (IATF) Anfang Mai konnte er die Geschwindigkeit auf die Trails transferieren und auf Platz 7 laufen. Seine Ehefrau Shari wird ihn dieses Wochenende supporten. Sie ist beim eben erwähnten IATF Dritte auf der 110km-Strecke geworden. Wir essen Pizza und fachsimpeln über die eben vom Veranstalter verkündete Streckenänderung. „Hauptsache es bleiben über 100 Kilometer“, sage ich. Marian Wilken studiert die Karte, zoomt rein, zoomt dann wieder raus. Marian ist ein akribischer Typ, der gerne einen Plan hat und weiß, was ihn erwartet. Nur bei der Schuhwahl für den morgigen Tag ist er sich noch unschlüssig: Der Adidas Terrex Agravic Ultra oder doch lieber der Hoka Speedgoat? Mehr Tempo oder mehr Stabilität? Als unsere Pizza verschlungen ist, beschließen wir auf ein weiteres Getränk und den Nachtisch zu verzichten und früh ins Bett zu gehen. Um halb 4 müssen wir aufstehen, denn um 5 Uhr ist Start.

" Es herrscht kollektives Überpacen, ein Pulsbereich-missachtender Gruppenzwang. Positionskämpfe um Platz 171 oder 172 bei Kilometer 2 von 105. Also alles wie immer. "

Christian Bruneß

Ich erkenne Markus Brennauer an seiner gelben Hose. Diese Hose scheint seine Wettkampfhose zu sein. Ist sie so etwas wie ein Glücksbringer für den erfolgreichen Straßen- und Trailrunner und Alles Laufbar-Autor aus Penzberg? Ich vergesse, die Frage zu stellen, denn wir werden aufgerufen uns aus dem trockenen Festzelt in den Startbereich zu begeben. Es regnet seit Stunden. Oder seit Tagen? Jedenfalls regnet es in Strömen und die Wetterprognose für den Tag lautet: Mehr davon. Ohne laute Musik oder „Wo sind eure Hände?“-Animationen stehen wir im Startblock. Ich höre die Regentropfen im Takt auf meine Kapuze prasseln. „Irgendwie trostlos“, denke ich. Und dann geht es schon los. Links und rechts von mir drängen Läuferinnen und Läufer vorbei. Es herrscht kollektives Überpacen, ein Pulsbereich-missachtender Gruppenzwang. Positionskämpfe um Platz 171 oder 172 bei Kilometer 2 von 105. Also alles wie immer.

Christian auf einem halbwegs festen Untergrund. Foto: Sportograf

Im Laufe der Zeit wird klar, dass dieser Lauf ein besonderer Lauf werden wird. Es geht heute um zwei Dinge: 1. Akzeptanz der Verhältnisse. 2. Anpassung an die Verhältnisse. Sobald wir befestigte Wege verlassen und die Trails, oder das, was von ihnen übrig ist, sehen, ist an zügiges Laufen für die meisten nicht mehr zu denken. Es geht ums Vorwärtskommen ohne Rücksicht auf das Sauber- oder Trockenbleiben von Schuhen oder Kleidung. Nasser als nass geht nicht. Als kleiner Junge bin ich mit meinen Eltern in den Sommerferien zwischen den Nordseeinseln Föhr und Amrum wattgewandert. Ist der diesjährige Mozart 100 nicht eine nostalgische Reise in ebenjene Kindheitserinnerungen? Es ist die Fähigkeit zum Galgenhumor, der Ultra-Trails wie diesen zu einem wunderbaren Erlebnis werden lassen.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Foto: Sportograf

Die Frage ist nicht ob, sondern wann man fällt

Ich friere, sobald der Wind auf den Erhöhungen der Strecke auffrischt. Ich kann meine Finger nicht mehr spüren. Ich sehe Läuferinnen und Läufer rutschen, im Matsch landen. Einem sage ich: „Das war der bisher spektakulärste Sturz des Tages“. Wir lachen. Auch ich verliere immer wieder den Halt, lande auf dem Hosenboden, spüre das kalte Wasser mein Bein hinterlaufen. Es ist nicht die Frage ob, sondern wann man hinfällt. Das soll Marian Wilken Shari zwischendurch gesagt haben. Er hat Recht. Vermutlich ist niemand heute nicht gefallen. Ich bewege mich im vorderen Mittelfeld der längsten Distanz des Tages. Vor mir sind tausende Trailrunner über diese Wege gelaufen, was die Bodenverhältnisse zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen hat. Man stelle sich den Bereich vor der Bühne beim legendären Matsch-Festival Woodstock nach dem Ende des letzten Konzerts vor. Nasse Erde ist das eine, von unzähligen Füssen geknetete und weich-getrampelte Erde ist das andere. Nichts hält mehr. Der beste Grip der Welt würde an diesen Verhältnissen scheitern.

Christian und Juliane Bruneß glücklich im Ziel. Foto: Sportograf

Viele steigen aus. Von allen auf der langen Strecke Gestarteten kommen nur etwas über 60 % ins Ziel. Eine niedrige Quote. Ich schaffe es vor Einbruch der Dunkelheit ins Ziel nach Salzburg. Etwas unterkühlt, verschmutzt, aber glücklich. Und die anderen? Marian Wilken wird Zehnter. Er hat schon längst heiß geduscht und sich umgezogen, als ich ihn im Zielbereich erblicke. Die Französin Maryline Nakache wird Dritte, in 12:52 Stunden, schneller als ihre eigene Prognose von 13 Stunden. Und die flinke Spanierin Núria Gil gewinnt die Marathon-Distanz (ohne Stöcke). Markus Brennauer muss, trotz vermeintlicher gelber Glücksbringerhose, nach starkem Beginn, den widrigen Verhältnissen Tribut zollen und steigt nach 74 Kilometern aus. „Das waren definitiv die schwierigsten Wetterbedingungen, die ich je bei einem Rennen erlebt habe“, hat Dylan Bowman gesagt. Ich gebe ich ihm Recht. Genau deswegen werden alle, die dabei waren, diesen Lauf (oder: Wattwanderung im Salzburger Land) so schnell nicht vergessen.

Zwischenzeiten: Wie gestalte ich das Training zwischen den Wettkämpfen?

Trailrunning für Beginner: 7 Tipps für den Einstieg