Walser Ultra Trail: Ein Tal, ein Trail, ein Tanz

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Der Walser Ultra Trail ist ein technisch anspruchsvoller und gleichzeitig wunderschöner Wettkampf im Kleinwalsertal. Christian von Alles Laubar ist ihn gelaufen. Wie ist er mit dem schwierigen Terrain klargekommen? Und was hat der Walser mit einem Walzer gemeinsam?

Tauscht man den Buchstaben S mit dem Z, dann wird aus Walser Walzer. Dass das Trailrunning, insbesondere das technisches Downhillrunning, häufig mehr an einen Tanz als an einen klassischen Laufschritt erinnert, ist offenkundig. Es braucht Rhythmus und Taktgefühl, schnelle Beinarbeit, Schritt- und Trittsicherheit und eine vorausschauende Übersicht.

Wie beim Walzer, der bekanntlich ein Paartanz ist, interagieren wir Trailrunner mit dem Gelände und springen, drehen und rutschen über das alpine Parkett. Nur das feste Schrittmuster und der 3/4 -Takt des Walzers wollen nicht so recht ins Bild passen. Im Gegenteil: Der Walser mit S erfordert maximale Variabilität und Flexibilität, so unterschiedlich, unrhythmisch und dissonant ist das Terrain in seinen Anforderungen.

Wir sind zu Gast bei der Walser Trail Challenge. Genauer: beim Walser Ultra Trail. Gelaufen sind sie hier im Kleinwalsertal schon immer. Es hieß damals nur anders. Mit leichter Ausrüstung den Berg hinaufstapfen und im lockeren Laufschritt zurück ins Tal traben? Das kennt man hier schon lange. Hier, in der österreichischen Enklave, in dem Tal, das eine Sackgasse ist und in die nur eine Straße aus Deutschland rein- und rausführt.

Das Kleinwalsertal ist stolz auf seinen Lauf

Mit dem Widderstein-Berglauf hat im Jahr 2001 alles angefangen. Schon damals wurde, untypisch für einen klassischen Berglauf, nicht nur bergauf, sondern auch bergab gelaufen. Der Namensgeber, der Widderstein, ist mit 2533 Metern der höchste Berg des malerischen Kleinwalsertals. Rund 100 Teilnehmende meldeten sich bei der Premiere. Der lokale Triathlonverein Tri-Team Kleinwalsertal stemmte die Orga. Startnummer angepinnt, Countdown und fertig.

Hier konnte Christian noch lachen. Foto: Sportograf

Heute heißt der damalige Berglauf Widderstein-Trail. Mit seinen 15 km und 980 hm bildet der Lauf den Auftakt der Walser Trail Challenge, einem zweitägigen Trailevent, das sich über die Region hinaus großer Beliebtheit erfreut. Wer mag, läuft zwei Distanzen, eine am Samstag, eine am Sonntag. Natürlich kann auch nur einer der angebotenen Läufe in Angriff genommen werden. Auch wenn die Teilnehmerzahl sich vervielfacht hat und mit adidas Terrex ein großer Name als Sponsor gewonnen wurde, die familiäre Atmosphäre ist geblieben. So wird das gesamte Event noch immer vom Triathlonverein veranstaltet. Hier im Tal ist man stolz auf seinen Lauf. Ich entscheide mich für den Walser Ultra, die längste Distanz mit 63 km und rund 4000 hm.

Sonntag, 4:15 Uhr, der Wecker klingelt. Regentropfen prasseln auf das flache Vordach unterhalb meines Hotelzimmers. Der Wetterumschwung war angekündigt. Herrschten gestern am Samstag beim Widderstein-Trail noch hochsommerliche Bedingungen, ist für heute Regenwetter vorhergesagt. Ganz ehrlich? Ich freue mich darüber. Lieber laufe ich 10 Stunden durch Regen, Matsch und Wind, als in der Hitze. Im Startbereich regnet es nicht mehr. Dem traditionellen Auftritt der örtlichen Musikkapelle steht nichts im Wege. Uffta Uffta Ufftatata. Und los.

" Ist die Vorstellung, die ich von Trailrunning habe eine unrealistische, romantisierte Sicht auf unseren Sport, der in Wahrheit nur eine Übung zugunsten der eigenen Frustrationstoleranz darstellt? "

Christian Bruneß

Kurz nach dem Start fängt es an zu donnern und zu blitzen. Der von steinigen Stufen, Wurzeln und tiefen Pfützen übersäte, leicht ansteigende Waldtrail in Richtung Ifen, dem ersten Berg des Tages, macht das Vorankommen mühsam und langsam. Ich stelle mir Fragen wie diese: Ist ein alpiner Trail nicht eine Aneinanderreihung von natürlichen Hindernissen, die einen Laufschritt erschweren oder gar unmöglich machen? Was tun wenn es einfach nicht vorangeht? Wenn das verblockte und frickelige Terrain uns mürbe macht, ja, uns geradezu aufhält? Dann macht sich Ungeduld breit. Aus Ungeduld wird Frustration. Aus Frustration wird Wut. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich im Trailrunning suche. Dinge wie Leichtigkeit, Einfachheit, Freiheit. Und das wiederum führt zur endgültigen Frage: Ist die Vorstellung, die ich von Trailrunning habe eine unrealistische, romantisierte Sicht auf unseren Sport, der in Wahrheit nur eine Übung zugunsten der eigenen Frustrationstoleranz darstellt?

Ein laufbarer Abschnitt im Tal. Foto: Sportograf

Ich erteile mir selbst einen Gedankenstopp. Ich muss raus aus dem Kopf, rauf auf den Trail und rein ins Tun. Immerhin bin ich mittendrin im dichten Gewühl eines Traillaufs, der meine volle Aufmerksamkeit abverlangt. Ich balanciere über das Gottesackerplateau. Eine Karstlandschaft mit tiefen Spalten und spitzen Kanten. Dichter Nebel sorgt für eine gespenstische Stimmung. Windböen veranlassen viele dazu, ihre Jacke anzuziehen. Irgendwann ist der lange Anstieg zum Hohen Ifen geschafft. Im Downhill rutsche ich zweimal auf dem nassen Grashang aus. Der aufgeweichte Boden verunmöglicht das Greifen des Sohlenprofils. Es folgen Seilpassagen, Gegenanstiege, Geröllfelder und Kuhweiden. Im Kleinwalsertal gibt es alles, was das alpine Gelände zu bieten hat. Und das sehr nah beieinander. Das Landschaftsbild ändert sich rasant. Abwechslung ist garantiert.

Die Vergegenwärtigung des eigenen Unvermögens

Beim zweiten Anstieg zum Grünhorn bricht einer meiner Stöcke. Ich mache mit einem Stock weiter und bin erstaunt, wie gut mir das gefällt. Irgendwann nach dem Durchlaufen des Ortes Baad hinauf in Richtung Widdersteinhütte verlässt mich meine Energie. Ultralaufen ist immer auch die Vergegenwärtigung des eigenen Unvermögens. Der nun folgende pittoreske Krumbacher Höhenweg ist wunderschön, das treibt mich an. Vieles ist laufbar. Zufällig steht Shari, eine Freundin aus Garmisch, an der Strecke und reicht mir einen ihrer Stöcke. Ihren letzten, denn den anderen hat sie schon jemand anderem geben müssen. Stockbruch? Beim Walser Ultra Trail immer möglich. Hinauf zum höchsten Punkt, der Fidererscharte, schleppe ich mich nur noch im Schneckentempo. Im anschließenden Downhill zum Start- und Zielort Hirschegg ist wieder Musik drin. Er dauert zwar lange, sehr lange, aber auf diesen letzten Kilometern steigt mein Euphorielevel nochmal an und ich laufe als würde es um Alles gehen. Endlich. Das Ziel.

Endlich im Ziel. Foto: Sportograf

Der Walser hat zum Tanz gebeten und ich bin der Aufforderung gefolgt. Im traditionellen Walzertanzen kommt nach dem letzten Ton die Verbeugung beziehungsweise ein Knicks als Geste der Ehrerweisung vor dem Gegenüber. Und so neige ich meinen verschwitzen Kopf und bekomme eine Medaille um den Hals gelegt. Meine Gedanken tänzeln umher. Ich setze mich hin und schaue mich um. Überall verschmutze Waden und lachende Gesichter. War das gerade der technisch anspruchsvollste Ultra Trail meines Lebens? Ja, wahrscheinlich schon, denke ich. Wie schön es doch war. Vergessen sind all die Strapazen. Eine tiefe Zufriedenheit entfaltet sich und macht sich in meinem Inneren breit. Ach, was liebe ich diesen Sport.

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