UTMB-Boykott – drei Missverständnisse

Kein Bock zu lesen? Lass dir diesen Artikel einfach vorlesen. Jetzt Mitglied werden und Vorlesefunktion freischalten.
Eine geleakte Mail und ein Boykott. Autorin Sabine Heiland räumt mit drei Vorwürfen auf, die sich gegen die beiden Trail-Ikonen und Boykott-Aufrufer Zach Miller und Kilian Jornet richtete.

Die Entwicklungen um den UTMB im Jahr 2023 entfachten nicht nur in den sozialen Medien lautstarke Proteste. Auch aktive und ehemalige Eliteathleten und Athletinnen meldeten sich zu Wort. So schrieb Ellie Greenwood, frühere Streckenrekordhalterin beim Western States, Siegerin beim CCC 2012 und beim Comrades 2014: „Trail- und Ultraläufer: Unser Sport steht am Scheideweg und es ist an der Zeit zu entscheiden, wie unser Sport und unsere Community aussehen sollen. […] Geld regiert die Welt, und ich werde dem UTMB weder einen Cent noch meine Zeit schenken.“ Und einige aktive Läufer machten sich Gedanken, beim UTMB 2024 nicht anzutreten. So schrieb Jim Walmsley auf seinem Strava-Account: „Welches Rennen laufen wir dann nächstes Jahr?“. Und John Kelly, dreifacher Barkley Finisher, schrieb: „Ich möchte den UTMB erleben, aber ich werde nie ein UTMB-Rennen laufen. Nein, das wird den UTMB nicht interessieren. Aber wenn nur genügend viele beim UTMB nicht antreten, interessiert es sie vielleicht doch.“ Am 20. Dezember schrieb dann Zach Miller, der Zweite beim UTMB 2023, auf seinem Instagram-Account, dass der UTMB zwar für den Trailrunning Sport viel getan habe, dass seit der teilweisen Übernahme durch den Ironman sich aber vieles zum Negativen gewendet habe. Und er stellte sich und seinen Followern die Frage, ob man denn als Eliteathlet unbedingt den UTMB laufen müsste – oder ob nicht auch ein anderes Rennen an dessen Stelle treten könnte, wenn es nur ein hoch kompetitives, prestigeträchtiges Rennen wäre. 

" Welches Rennen laufen wir denn nächstes Jahr? "

Jim Walmsley

Dies wiederum setzte etwas in Gang, von dem die meisten von uns zunächst mal gar nichts mitbekommen haben. Bis Martin Cox, Läufer und Coach, am 9. Januar auf seinem Instagram-Account eine E-Mail veröffentlichte, die Kilian Jornet und Zach Miller an einige Elite-AthletInnen geschrieben hatten, darunter auch an einen Athleten von Cox: „Wir schreiben euch, um zu erfahren, ob ihr daran interessiert seid, euch dieses Jahr bei einem anderen Rennen als dem UTMB zu messen. […] Deshalb würden wir gerne Eure Meinung hören. Wir haben bereits ein potenzielles Rennen ins Auge gefasst, an dem wir anstelle des UTMB teilnehmen könnten, aber bevor wir darauf eingehen, lasst uns bitte wissen, was Ihr denkt. Habt Ihr die gleichen oder ähnliche Bedenken? Seid Ihr daran interessiert, an einem alternativen Rennen teilzunehmen?“. Aber Cox beließ es nicht dabei, den Text der E-Mail zu veröffentlichen, er bezichtigte in einer sehr derben Wortwahl Jornet und Miller als „scheinheilig“, da sie sich gegen ein Rennen wenden würden, was sie selbst groß gemacht habe. 

Damit war die Katze aus dem Sack – wenn auch sicher auf eine andere Weise, als sich das Zach Miller und Kilian Jornet gedacht hatten. Und damit begannen die Diskussionen bei vielen einschlägigen Medien und Plattformen, ob die Initiative von Jornet und Miller denn positiv oder negativ zu werten sei. Viele professionelle Akteure – Trainer und Sportjournalisten – tendierten eher zur Meinung von Cox, wenn auch in moderaterem Ton und in der Sache differenzierter. 

Kilian im Ziel des UTMB bei seinem Sieg 2022 © UTMB

Drei Missverständnisse

Auf welcher Seite man auch immer in diesem Streit stehen mag – meiner Meinung nach ist es mehr als fragwürdig, wenn ein Trainer eine E-Mail „durchsticht“, deren Adressat nicht mal er selbst war. Wie man auf der Basis eines solchen Fehltritts moralische Vorwürfe an die beiden Absender richten kann, bleibt mir ein Rätsel. 

Was mir in der allgemeinen Diskussion dieser E-Mail aufgefallen ist: Als Gegenargument zu einem Boykott wurden immer wieder drei Argumente vorgebracht: Zum einen, dass ein Boykott nichts bewirke, da ja immer noch genügend andere Läufer den UTMB laufen würden. Zum zweiten, dass ein Boykott spalten würde und vor allem für junge, aufstrebende AthletInnen eine übergroße Härte darstelle. Und zum dritten, dass der UTMB Kilian und Zach groß gemacht habe und sie jetzt sprichwörtlich die Hand beißen würden, die sie über Jahre gefüttert hat. 

Diejenigen, die diese Argumente immer wieder vorgebracht haben, sitzen meines Erachtens drei Missverständnissen auf:

  • „Ein Boykott ist nicht das geeignete Mittel“: Wir leben in einer Welt, in der viele Akteure auf dem wirtschaftlichen Parkett uns weismachen wollen, dass sie uns eigentlich nur was Gutes tun. In Wirklichkeit steckt da aber ein eigenes Interesse dahinter, und das ist oft: unser Geld. Der UTMB hat schon immer wirtschaftlich und politisch geschickt – und manchmal skrupellos – agiert, und hat sich damit eine Vormachtstellung gesichert. Man denke nur an die Tatsache, dass die Verantwortlichen sich die Namensrechte an dem Begriff „Ultratrail“ gesichert haben und andere Veranstalter zur Änderung des Namens zwingen wollten oder gezwungen haben – zuletzt den UTMF, der sich in FUJI umbenennen musste. Man denke an den Aufbau des hermetischen Qualifikationssystems, das dazu führt, dass nicht nur die Startgelder für die Finals in Chamonix, sondern auch die Startgelder für die Qualifikationsrennen in die Tasche der UTMB World Series fließen.

    Die „Kooperation“ mit Ironman, der ökonomisch ebenfalls mit allen Wassern gewaschen ist, verschärft die Lage noch. Und wer glaubt, dass man mit den Vertretern einer solchen Marktmacht einfach nur freundlich reden muss, wenn man seine Interessen vertreten will, der agiert wirtschaftlich naiv. Ein Boykott ist durchaus ein effektiver Hebel, seine wirtschaftlichen Interessen gegenüber mächtigeren Playern zu vertreten. Das zeigt nicht nur die Geschichte des Namensgebers Kapitän Charles Cunningham Boycott. Auch in Nischenmärkten war man in den vergangenen Jahren mit Boykottaktionen durchaus erfolgreich, so beim Online-Händler für Outdoorbedarf „Backcountry“, den man dazu gezwungen hat, seine aggressiven Trademark-Praktiken aufzugeben. Und auch beim Ironman gibt es ein Vorbild für einen Boykott. Im Jahr 1985 hatten aus Protest gegen die Verweigerung von Preisgeld fast alle Top Athleten – darunter Scott Molina, Dave Scott and Mark Allen – den Ironman Hawaii boykottiert und waren stattdessen in Nizza gestartet. Seit 1986 wird beim Ironman Hawaii Preisgeld gezahlt …

  • Zach und Kilian bringen mit einem Boykott jüngere AthletInnen in die Bredouille: Dieses Argument basiert auf einer falschen Annahme. Denn die E-Mail von Zach und Kilian ging nicht einfach so an alle (semi-)professionellen AthletInnen – sie ging an die 15 gemäß UTMB-Index am besten gerankten AthletInnen. Und wenn man das Ranking bis Platz 15 durchschaut, sieht man dort ausschließlich arrivierte SportlerInnen, die schon einen ordentlichen track record vorweisen können. Es ging Kilian und Zach nicht darum, den kompletten UTMB zu boykottieren. Ziel war es vielmehr, die Top-Stars dazu zu bewegen, sich in einem anderen Rennen zu batteln und damit dem UTMB zu signalisieren: WIR sind es, die das Rennen für Zuschauer, Sponsoren und Medien interessant machen – und WIR wollen mitreden.

    Kritiker von Kilian und Zach haben mit Verweis auf jüngere AthletInnen häufig auch argumentiert, dass Zach und Kilian der Boykott ja „nichts kosten“ würde, da sie eh schon alles erreicht haben und am Ende ihrer Karriere sind. Dieser Punkt mag für Kilian gelten – aber Zach hat mit Sicherheit das Ziel, den UTMB auch zu gewinnen – im letzten Jahr war nur Jim Walmsley schneller als er. Aber auch wenn für die beiden eine Teilnahme am UTMB nicht (mehr) den Stellenwert hat wie für jüngere, aufstrebende AthletInnen: Genau das ist es, was sie prädestiniert einen Boykott zu initiieren. Denn einen Boykott durch einen unbekannten Läufer mit 625 ITRA-Punkten würde den UTMB nicht jucken – aber zwei Läufer mit einem Standing eines Kilian Jornet und eines Zach Miller können dem UTMB nicht völlig egal sein.

  • Der UTMB hat Kilian und Zach großgemacht: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Zunächst mal zu Zach Miller: Das erste, was einen zu Zach einfällt, ist nicht sein Sieg beim CCC 2015, sondern sein legendärer Zweikampf mit Hayden Hawks bei der „The North Face Endurance Challenge“ 2016 („Miller vs. Hawks“). Er ist nicht bekannt, weil er dreimal beim UTMB in die Top 10 gekommen ist – er ist bekannt, weil er einfach ein Typ ist, der wie seinerzeit Steve Prefontaine für eine kompromisslose „all out“ Taktik steht, der sich nie versteckt. Nicht der UTMB hat ihn großgemacht – Zach hat dem UTMB seinen Stempel aufgedrückt und ihm das gegeben, was eine Veranstaltung erst zu einem legendären Rennen macht: Große Siege und großes Scheitern.

    Kilian Jornet wiederum hat in seiner Laufbahn so große und vielfältige Leistungen gebracht, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass er auch dann ein Superstar im Trailrunning geworden wäre, wenn er nie beim UTMB angetreten wäre. Es gibt Rennen, die wären nie auf die Weise in den Fokus gerückt, wenn Kilian dort nicht immer wieder sein Können gezeigt hätte: Dazu gehören Zegama-Aizkorri genauso wie Sierre-Zinal, Trofeo Kima und Hardrock. Auch er ist – wie Zach Miller – einfach ein „Typ“: der sich durch eine unglaubliche Versatilität auszeichnet, Skimo, Speed-Bergsteigen und Laufen gleichermaßen beherrscht, im Sub-Marathon-Bereich genauso siegen kann wie über 100 Meilen. Als Kilian nach sechs Jahren Abwesenheit beim UTMB 2017 erneut antrat, gab das dem UTMB einen massiven Schub durch den Zweikampf zwischen ihm und Francois d’Haene. Seine Präsenz beim Rennen hat immer wieder Zuschauer angelockt. Und damit mehr Medien. Was letztlich den Veranstaltern mehr Geld in die Kasse gespült hat.

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit TrailrunningHD, wo er ebenfalls veröffentlicht wurde.

Wem gehört der Trailrunningsport?

Die UTMB-Kontroverse: Eine Chronik