Geheimnis Motivation – Die Suche nach dem Flow

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Wir Läufer sind eine disziplinierte Spezies. Aber: Disziplin ist anstrengend und auf Dauer zermürbend. Motivation ist anders – sie beseelt uns und treibt uns an. Statt Energie zu verbrauchen, erzeugt sie neuen Drive. Wie entsteht Motivation? Was verhindert sie? Brauchen wir sie immer? Und welche Rolle spielt der Flow dabei? Um diese und weitere komplexe Fragen zu beantworten, haben wir mit Psychologin und Elite-Trailrunnerin Eva-Maria Sperger gesprochen.

Ich habe diesen einen Freund. Diesen Typen, der über Jahre – ja, fast Jahrzehnte – ein wahnsinniges Pensum abspult. Krafttraining um 5 Uhr morgens? Kein Problem. 170 Wochenkilometer? Na klar. Gesunde Ernährung? Selbstverständlich. Ich glaube, viele Menschen würden ihn als diszipliniert bezeichnen. Disziplin ist die Fähigkeit, Handlungen konsequent und zielgerichtet auszuführen – auch wenn man gerade keine Lust oder Motivation dazu hat, sagt ChatGPT. Ja, wahrscheinlich ist mein Freund auch ab und an mal diszipliniert. Ich glaube allerdings, dass es etwas anderes ist, das ihn Jahr für Jahr antreibt: Der Typ ist ein Motivations-Monster.

Motivation vs. Disziplin

Motivation? Mit dem Begriff können wir nicht viel anfangen. Sie ist entweder da – oder nicht. Ein gefühliger Begriff. Stattdessen feiern wir die Disziplin und heften uns Sprüche wie „Erfolg wird nicht von Lust gelenkt, sondern von Disziplin“ an den Kühlschrank. Oder: „Motivation bringt dich an den Start, Disziplin bringt dich ins Ziel.“ Oder noch besser: „Disziplin ist der Muskel, den man trainieren muss, um Ziele zu erreichen.“

Disziplin ist das, was wir beeinflussen können – das, was wir in der Hand zu haben meinen. Motivation empfinden wir als launiges Gefühl, etwas, das sich unserer Kontrolle entzieht. Aber ist das wirklich so? Können wir vielleicht doch an unserer Motivation arbeiten? Und wenn ja, ist das unter Umständen sogar viel nachhaltiger, als jeden einzelnen Tag diszipliniert zu sein? Sind die erfolgreichsten Sportler vielleicht gar nicht die diszipliniertesten Menschen, sondern eher die Motiviertesten?

Jeder kennt das Gefühl der Motivation. Und jeder liebt es. Mit Motivation ist alles einfacher: Wir können mehr trainieren, wir regenerieren besser, wir sind belastbarer. Das Problem: Motivation ist extrem volatil. Mal ist sie da, mal nicht. Man kann sich kaum auf sie verlassen.

Da ist es einerseits beruhigend, wenn Sportpsychologin und Profi-Trailrunnerin Eva-Maria Sperger sagt: „Motivation ist ein menschlicher Grundzustand. Wenn sie komplett abhanden kommt, stimmt etwas nicht.“ Andererseits natürlich auch ein harter Befund, wenn dieser Grundzustand eben gerade nicht gegeben ist. Wenig hilfreich ist auch folgendes Zitat von Kilian Jornet, der – gefragt nach seiner Motivation – antwortete: „Ich habe versucht, eine kluge Antwort zu finden, aber eigentlich verstehe ich die Frage ‚Wie bleibst du motiviert?‘ nicht so ganz.“

Eva-Maria Sperger bei der Eröffnungsfeier der WM © Tobias Oemus

Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit

Kurz gesagt: Kilian ist immer motiviert – ohne darüber nachzudenken. Eines der Geheimnisse seines Erfolges? Höchstwahrscheinlich. In der Self-Determination-Theorie würde man Kilian wohl als Paradebeispiel für intrinsische Motivation beschreiben. Die Selbstbestimmungstheorie wurde in den 1980er Jahren an der Universität Rochester von den Psychologen Edward L. Deci und Richard M. Ryan entwickelt. Wie der Name schon sagt, stellt diese Theorie das psychologische Bedürfnis nach Autonomie in den Mittelpunkt. Wir sind motiviert, etwas zu tun, wenn wir davon überzeugt sind, es aus eigenem Antrieb und selbstbestimmt zu tun.

Neben der Autonomie beschreibt die Theorie zwei weitere Grundpfeiler der Motivation: Kompetenz und soziale Verbundenheit. Kurzum: Wir sind motiviert, wenn wir uns kompetent – also fähig – fühlen, die Aufgabe zu meistern, und wenn wir im Zusammenhang mit der angestrebten Tätigkeit soziale Bestätigung und Einbindung erfahren. Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit. Motivation muss nicht immer auf alle diese drei Säulen gleichzeitig gebaut sein. Welche dieser drei Säulen am meisten trägt, ist höchst individuell, meint Eva-Maria Sperger.

Self-Determination-Theory: Die drei Säulen der Motivation.

In der Vorbereitung auf ihre Teilnahme bei der Weltmeisterschaft in den Pyrenäen beschäftigte sich Eva-Maria intensiv mit dem Thema Motivation. „Ich habe selten so mit der Motivation für ein Rennen gekämpft“, beichtet sie uns. Der Grund: In einem sich immer mehr professionalisierenden Umfeld mit jüngeren Teamkolleginnen, war sich die mehrmalige WM-Teilnehmerin unsicher, ob ihre sportlichen Fähigkeiten noch ausreichen, um die deutsche Auswahl wirklich zu verstärken. Also wandte sich die Psychologin selbst an einen Mentaltrainer. „Überraschenderweise arbeitet dieser mit mir weniger im Bereich der Kompetenz als im Bereich der sozialen Eingebundenheit.“ Zusammen haben sie Gründe herausgearbeitet, die das Gefühl der Zugehörigkeit zum Auswahlteam des DLV stärkten. „Ich bin der erfahrene Ruhepol und die sichere Bank des Teams – das waren letztendlich die Motive, die wir herausarbeiteten und die meine Motivation für die WM wieder komplett aufflammen ließen“, erzählt uns Eva-Maria.

Motivation und die Frage nach dem Warum

Warum sind wir manchmal unmotiviert? Was könnte Motivation im Sport behindern? Eva-Maria Sperger schildert uns klassische Beispiele: Übermäßiger Druck von außen wäre ein solches. Externe Zwänge untergraben die Autonomie. Auch der ständige Vergleich mit anderen trägt nicht zum Autonomiegefühl bei. Ein zu monotoner Trainingsalltag kann ebenfalls demotivieren. Manchmal hilft es, aus Routinen auszubrechen oder sich einen neuen Coach zu suchen. Fehlender Fortschritt demotiviert, indem er unser Kompetenzgefühl untergräbt. Angst kann ebenfalls Motivation behindern: Fehlt beispielsweise das Selbstvertrauen (Kompetenz) in die eigenen Fähigkeiten, fehlt auch die Motivation. Fehlende Sinnstiftung ist ein weiterer großer Motivationskiller.

Womit wir wieder bei der Frage aller Fragen wären: Warum laufe ich? Manch einer, wie Kilian, ist intrinsisch so stark motiviert, dass ihn diese Frage irritiert. Er muss sie sich nicht stellen, um zur Tat zu schreiten. Die Motivation ist so inhärent, so intrinsisch, dass eine Reflexion des Warums wie Zeitverschwendung wirkt. Das ist ohne Frage der Optimalzustand. Aber mal ehrlich: Die wenigsten von uns erreichen diesen Zustand dauerhaft oder langfristig. Die Frage nach dem Sinn lohnt sich also durchaus. Eva nennt diesen Prozess Wertearbeit. Wertearbeit geht davon aus, dass Menschen dann besonders motiviert, resilient und erfüllt sind, wenn sie ihr Handeln mit ihren inneren Werten in Einklang bringen. Man kann sich zum Beispiel fragen: Wann war ich am motiviertesten? Was waren die Momente, in denen ich mich richtig lebendig gefühlt habe?

Beispiel: Eine Athletin definiert in ihrer Wertearbeit, dass ihr Naturerleben und Gemeinschaft besonders wichtig sind. Statt sich also auf reine Leistungsziele (Platzierungen oder Zeiten) zu fokussieren, könnte sie ihr Training so gestalten, dass es Zeit in den Bergen oder das Treffen mit der Lauf-Community einbezieht.

Natürlich ist das Abgleichen des Trainingsalltags mit den eigenen Werten nicht immer linear, sondern oft ein ständiges Abwägen verschiedener Bedürfnisse. Für den Autor dieser Zeilen beispielsweise ist das Abenteuer Berg eine unheimlich große Motivationsquelle. Eine weitere große Motivationsquelle ist ohne Zweifel die Selbstwirksamkeitserfahrung (Kompetenz), die nur das erfolgreiche Absolvieren des sportlichen Wettstreits liefert. Beides steht sich manchmal unvereinbar gegenüber: Wer nur Bergabenteuer macht, wird sich ab einem gewissen Punkt sportlich nur schwer verbessern.

Motivation und Ziele sind also selten eindimensional und starr, sondern vielmehr vielschichtig und fluide – was eine ständige, wiederholte Reflexion erforderlich macht. Mal steht der unmittelbare Spaß am Berg im Fokus, mal die Steigerung der Kompetenzerfahrung durch strukturiertes Training.

Höchst motiviert auf der WM Strecke in den Pyrenäen: Ea-Maria Sperger © Tobias Oemus

Arschbacken zusammenkneifen

Die Frage nach den persönlichen Werten, nach dem persönlichen Warum, ist also wichtig – lässt uns manchmal aber auch ratlos zurück, weil wir sie nicht in konkrete Handlungen übersetzen können. „An diesem Punkt helfen uns klare Ziele“, erklärt Eva-Maria. „Ziele sind wie eine Richtschnur, an der wir uns entlang hangeln können.“ Die Motivation für ein Ziel ergibt sich für Eva aus zwei Punkten: Attraktivität und Kompetenz. Wie viel Anziehungskraft übt die Erreichung eines bestimmten Ziels auf mich aus, und wie fähig fühle ich mich, es zu erreichen? Mindestens einer der beiden Punkte sollte laut Eva-Maria in hohem Maße erfüllt sein. „Das realistische Ziel einer Top-30-Platzierung bei der WM übte zum Beispiel keine besonders hohe Attraktivität auf mich aus. Dafür war das Kompetenzbedürfnis, meine Zugehörigkeit zur DLV-Auswahl zu beweisen, außerordentlich hoch.“

Das klingt ja alles schön und gut, fragt ihr euch jetzt vielleicht – aber was, wenn ich heute wirklich absolut keine Lust habe, vor die Tür zu gehen? Schließlich ist es kalt, dunkel und es regnet. Evas Antwort darauf ist gleichermaßen kurz wie desillusionierend: „Arschbacken zusammenkneifen und machen.“ Denn: Motivation muss nicht immer der Anfangspunkt sein. Durch das Handeln entsteht Motivation. Das tägliche Infragestellen der Motivation tut uns nicht gut. Manchmal einfach zu machen und dem Plan zu folgen, schafft Selbstvertrauen – und dieses wiederum Motivation.

Eva fasst zusammen: „Im Moment muss ich mich nicht immer nach Motivation fragen. Langfristig ist es aber absolut wichtig, die Frage zuzulassen. Natürlich darf die Antwort dann aber auch sein: Nein, die Motivation zu laufen ist aktuell einfach nicht da. Manchmal bleibt nur, sich auch die Erlaubnis zu geben, loszulassen.“

Der Flow

Laut der Self-Determination-Theorie ist das höchste Maß an intrinsischer Motivation erreicht, wenn diese komplett autonom – also in höchstem Maße selbstbestimmt – ist. Wir Läufer würden diesen Zustand wohl als Flow bezeichnen: der Moment, in dem wir völlig in unserem Tun aufgehen, etwas nur aus dem Grund tun, weil wir selbst Freude und Sinn darin empfinden.

Um diesen Flow-Zustand möglichst oft zu erreichen, kann die Suche nach unserem persönlichen Warum helfen. Aber nicht immer ist dieses Höchstmaß an Motivation realistisch erreichbar. Glücklicherweise kennt die Self-Determination-Theorie noch einige weitere Zustände der Motivation, auch wenn diese nicht immer zu hundert Prozent extrinsisch und autonom sind.

Eva berichtet beispielsweise: „Die Frage ‚Warum tue ich das?‘ taucht bei mir tatsächlich in jedem Rennen auf. Dort ist sie aber fehl am Platz. In diesem Moment schiebe ich sie beiseite und renne weiter, so schnell ich kann.“ Im Sinne der Self-Determination-Theorie ist Eva zu diesem Zeitpunkt nicht im Zustand 100%iger Autonomie, also nicht im Flow. Trotzdem rennt sie weiter, weil sie ihr Verhalten durch Identifikation reguliert. Eva identifiziert sich mit der Idee, eine erfolgreiche Trailrunnerin zu sein. Die Selbstbestimmungstheorie nennt diese Motivation identifizierte Regulierung.

Self Determination Theory: verschiedene Motivationszustände gerankt nach Autonomieempfinden. Grafik: enjoyingwork.de

Mal ehrlich: Meistens sind wir Läufer weit weg vom absoluten Flow-Zustand, diesem hundertprozentig selbstbestimmten Idealzustand der Motivation. Kompetenz, Autonomie, Verbundenheit – statt aller drei Dimensionen zugleich müssen wir uns zumeist mit einer der drei Grundpfeiler als Motivationsquelle zufriedengeben. Und das ist vollkommen in Ordnung.  Aber irgendwann – vielleicht erst nach vielen Kilometern eines harten Rennens, für das wir wochenlang trainiert haben – ist er da: der Flow. Der Zustand vollkommener intrinsischer Motivation, gegen den jede Disziplin schwach erscheint. Ein Zustand, den wir alle anstreben. Die Motivation wird zur Motivationsquelle. Der Kreis schließt sich.

“Die Arbeit an meiner eigenen Motivation, hat mir für die WM mit Abstand am meisten gebracht,” sagt Eva-Maria Sperger. Wer – wie Eva – Motivation als formbaren Zustand begreift, statt als fixe Größe, öffnet die Tür zu Leistungspotentialen, die mit bloßer Disziplin unerreichbar bleiben.

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