Pro und Contra: Last Soul Ultra – Werbung für den Sport oder am Sport vorbei?

Christian: Ich finde den Last Soul Ultra super

Diese Frage habe ich mir tatsächlich das ein oder andere Mal gestellt, als mir dem Last Soul Ultra-Content in die Timeline gespült wurde. Ganz ehrlich? Mein erster Impuls: eine nase rümpfende Ablehnung. Mir schien, das ursprünglich bodenständige und unprätentiöse Backyard-Ultra-Konzept wurde zu einer Bühne der Selbstinszenierung des Who is Who aus der deutschen Fitness- und Laufinfluencer-Szene umgeformt. Aber ich kenne mich. Deshalb weiß ich auch, dass mein erster Impuls nicht immer der richtige ist. Deshalb habe ich noch etwas länger über die Frage nachgedacht und bin zu einer völlig anderen Antwort gelangt.

Ich finde den Last Soul Ultra super. Da ist mit Kim Gottwald jemand, der eine Idee für einen Lauf hat und etwas auf die Beine stellt. Ein Event, das Menschen dazu bringt, sich mit Sport auseinanderzusetzen. Das zigtausende Menschen erreicht und im Livestream ein vielfach größeres Publikum vor dem Bildschirm versammelt als die Golden Trail World Series, UTMB und Trail-WM zusammen. So sieht wirksame Werbung für den Laufsport aus. Wenn ich das als 16-Jähriger gesehen hätte, wäre ich sofort Ultraläufer geworden. Das hatte etwas Geheimnisvolles, Gefährliches und Cooles an sich. Anders als sagen wir der lokale 10-km-Volkslauf, der vom Traditions-Sportverein ausgerichtet wird und ungefähr so viele jüngere Menschen anzieht wie eine Oldies-Party im Seniorenheim. Wie viele Leute werden sich infolge des Last Soul Ultras gefragt haben: Wie viele Runden würde ich wohl schaffen? Und wie viele davon werden in den folgenden Tagen ihre ersten Kilometer ihres Lebens gelaufen sein, auf denen möglicherweise die Basis für eine lange Leidenschaft zum Laufsport gelegt wurde?

Der ein oder andere alteingesessene Läufer wird nun die Welt nicht mehr verstehen. Wie kann das sein? Was machen die da? Aber die können doch nicht einfach unseren Sport hernehmen und ihr ganz eigenes Ding machen? Doch, dürfen sie. Unser Sport braucht keine Gatekeeper, die sagen, wer mitmachen darf und wer nicht.

Muss man das gut finden? Nein. Muss man sich das geben? Nein. Aber sollte man seine eigene Toleranzfähigkeit auf den Prüfstand stellen und sich nicht sofort zu einem Urteil hinreißen lassen? Ja. Dann würde man vielleicht zu einer neutralen Position kommen, die in etwa so lauten könnte: Der Last Soul Ultra ist zwar kein Rennen, das mich persönlich reizen würde, aber ich erkenne an, dass eine jüngere und vernetztere Generation den Sport neu interpretiert und ihn auf ihre Weise auslebt.

Eine reine Dauerwerbesendung oder ein reines Theater für die Follower war es übrigens auch nicht. Sportlich gesehen muss ebenso anerkannt werden, dass da nicht nur Social Media-Reichweite, sondern auch eine beeindruckende mit den Füßen gelaufene Reichweite in Form von Kilometern erzielt wurde. Die letzten beiden „Seelen“, die sich am Ende einen Zweikampf lieferten, haben jeweils knapp 450 Laufkilometer hinter sich gebracht. Das ist durchaus beachtlich, auch wenn, das muss zur Einordnung gesagt werden, der aktuelle Weltrekord bei wahnsinnigen 798 km liegt.

Lasst es mich nochmal auf den Punkt bringen: Sicher, der Last Soul Ultra eckt an und stellt Sichergeglaubtes in Frage. Auch bei mir. Aber er erweitert das gemeinsame Dach, unter dem wir uns als Laufcommunity versammeln. Er bringt frischen Wind. Wie kann man das bitte nicht super finden?

Kim Gottwald beim Last Soul Ultra

Benni: Wir erleben eine Big Brotherisierung des Sports

Ehrlich gesagt habe ich zunächst überhaupt nichts mitbekommen vom Last Soul Ultra. Allein das ist schon erstaunlich, wenn man sich die Reichweiten ansieht, die dieses Event erzeugt hat, und die mediale Rezeption bis weit hinein in den Mainstream. Nun gut – wahrscheinlich ist das einfach meinem anachronistischen Medienverhalten geschuldet. Also habe ich mich im Nachhinein damit beschäftigt: YouTube-Videos geschaut, Reels gescrollt und Artikel gelesen – mit so wahnsinnig geistreichen Überschriften wie: „Deutscher fasziniert bei Ultra-Marathon – was wir alle davon fürs Büro lernen können“.

Dass ich mich während dieser Recherche geistig massiv unterfordert fühlte – geschenkt. Dass ich nicht besonders viel Sympathie empfunden habe für die meist auffällig glatt rasierten und unübersehbar brustmuskelaufgepumpten Protagonisten dieses Formats – geschenkt. Dass ein liebenswert schrulliges und unkommerzielles Laufformat wie der Backyard Ultra für ein testosteron­geschwängertes „Wer hat die dicksten Eier“-Event gekapert wurde – ebenfalls geschenkt!

Was mich wirklich besorgt am Erfolg des Last Soul Ultra, ist etwas anderes: Es ist nicht weniger als der Verlust der Identität des Wortes Sport. Nun kann man fragen: Ist das etwa kein Sport, was dort stattfand? Ist es etwa nicht beeindruckend, wenn Kim Gottwald 450 Kilometer läuft? Natürlich handelt es sich dabei um Sport, und natürlich verdient Kim Gottwalds Leistung Respekt. Was mich stört, sind die Rahmenbedingungen, unter denen dieses Event stattfand. Eingeladen zu diesem privat organisierten Event von Gottwald und dem Ex-Fußballer Schürrle wurden fast ausschließlich reichweitenstarke Influencer.

Nicht jedes Event ist offen für alle. Beim UTMB muss man sich qualifizieren, beim Western States gibt es Golden Tickets, die nur wenigen vorbehalten sind. Aber: In diesen Fällen ist es die sportliche Leistung, die den Athleten die Tore öffnet – nicht ihre Reichweite auf medialen Plattformen.Was ist ein Sport wert, der nicht für alle zugänglich ist? Bei dem nicht Zeiten oder Platzierungen, sondern Follower unter den Teilnehmerfotos auf der Event-Website stehen?

Für mich ist der Last Soul Ultra im Prinzip nur die zugespitzte Pervertierung einer Entwicklung, die schon länger zu beobachten ist: Der Fokus auf den Sport selbst geht verloren. Es ist nicht mehr der sportliche Wettstreit, der im Mittelpunkt steht, sondern die Individuen, die ihn austragen – und die die volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir erleben eine Big-Brotherisierung des Sports.

Klar kann man sagen – wie du, Christian, es oben schon getan hast – „Egal, Hauptsache, wir können noch mehr Menschen für diesen ach so schönen Sport Laufen begeistern.“ Dieses Argument habe ich allerdings noch nie nachvollziehen können. Als ob der Laufsport so eine Art glücksbringender Segen für jeden einzelnen Menschen dieser Welt wäre – und wir Läufer die Missionare, die mit Weihwasser ins Volk spritzen. Als wäre es völlig egal, warum man läuft – Hauptsache, man tut es.

Manche mögen den sportlichen Wettstreit, manche bewegen sich einfach gern in der Natur. Völlig egal – diese Menschen identifizieren sich mit dem Laufen, dem Sport an sich. Und vielleicht noch mit Hannes Namberger, weil er denselben Sport macht wie sie selbst – nur viel schneller.
Manche identifizieren sich mit Kim Gottwald, weil er ein cooler Dude aus dem Internet ist. Vielleicht laufen sie dann auch mal eine Runde oder zwei. Macht sie das sofort zu leidenschaftlichen Läufer:innen?

Schimpf mich Gatekeeper, weil ich das Warum in den Vordergrund stelle. Aber das Warum bedingt am Ende das Wie. Und das ist mir wichtig. Weil mir der Sport selbst am Herzen liegt.

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