Mit dem Western States 100, dem ältesten 100-Meilen-Ultratrail der Welt, fand vergangenes Wochenende eines der großen Jahreshighlights statt. Die Vorfreude auf das bei Männern und Frauen top-besetzte Rennen war riesig, und der Hype in den zwei Wochen vor dem Lauf war enorm. Fast stündlich erschienen Athleteninterviews und Sondersendungen in den einschlägigen US-amerikanischen Trailrunning-Podcasts. Konnte die 52. Austragung des Western States 100 die hohen Erwartungen erfüllen? Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Rennen?
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Amerikanischer Doppelsieg
Der Western States 100 ist und bleibt ein gutes Pflaster für die heimischen Läuferinnen und Läufer. Mit Abby Hall und Caleb Olson gewannen erneut zwei US-Amerikaner das Rennen. In der über 50-jährigen Western States-Geschichte gab es erst fünf Männer und fünf Frauen, die keine US-Staatsbürger waren, die das Rennen gewinnen konnten. Die typischen Charakteristika des Western States, zuallererst die trockene Hitze und die Beschaffenheit der Trails, sind in dieser Form nur schwer nachzubilden, wenn man nicht vor Ort ist. Die spezifische Vorbereitung dürfte den Einheimischen leichter fallen. Die kalifornischen Trails werden interessanterweise auch „California Carpet“ genannt, zu Deutsch: der kalifornische Teppich. Damit wird die gute Laufbarkeit der breiten und oft ausgebauten Schotterwege beschrieben, die sich aber mitunter so hart laufen wie Asphalt. Beim Western States, der mehr Downhill als Uphill aufweist, ist dies eine besondere Herausforderung für die Oberschenkelmuskulatur.
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Mit der Taucherbrille bei Meile 78
Der US-Amerikaner Chris Myers lag bei der berühmten Flussquerung des American River, bekannt als „Rucky Chucky River Crossing“, bei Meile 78 auf Platz Zwei, nur wenige Minuten hinter dem Führenden Caleb Olson. Sein Vorsprung auf seinen Verfolger Kilian Jornet war ebenfalls nicht komfortabel genug, um sich seiner Sache sicher zu sein. Ein grober Fehler und seine Position wäre dahin. Und dann das! Scheinbar abgesprochen reichte ihm jemand aus seiner am Fluss wartenden Crew ein Utensil, mit dem hier wirklich niemand gerechnet hatte – eine Taucherbrille samt Schnorchel! Chris Myers griff sich beides, zog es sich über den Kopf und startete unter dem Beifall und Jubel der Zuschauenden die Flussquerung. Auf die Situation angesprochen, äußerte sich niemand Geringeres als Adidas Terrex-Eliteläufer Eli Hemming, der Chris bis zum American River als Pacer begleitet hatte: „Chris wollte damit zeigen, dass er Spaß hat und das alles hier genießt.“ Toll, wie auch in der absoluten Spitze des Feldes ein gewisses Maß an Lockerheit und Humor gewahrt wird, auch wenn Chris Myers zu diesem Zeitpunkt am absoluten Limit gewesen sein dürfte.
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Das Abschneiden der Deutschen
Mit Hannes Namberger und Rosanna Buchhauer waren zwei prominente Deutsche am Start, deren Abschneiden mit Spannung erwartet wurde – galten beide doch eher als Experten für das alpine Gelände. Rosanna Buchhauer musste überraschend nach 24 Meilen aufgrund von Magenproblemen aussteigen. „Anstatt auf dem Trail zu laufen, lag ich neben dem Trail auf dem Boden“, beschrieb die Dynafit-Athletin die Situation vor dem DNF auf Instagram. Ohne Magenprobleme, aber mit Krämpfen und muskulären Beschwerden auf den letzten 60 Kilometern, kämpfte sich Hannes Namberger auf einen respektablen 11. Platz. Der ebenfalls für Dynafit laufende Ruhpoldinger berichtete im Anschluss, dass ihm die Hitze stark zu schaffen gemacht habe: „Das Tempo war nicht das Problem, es war die Hitze. Da bin ich einfach nicht für gemacht“, so Namberger auf Instagram. „Aber ich bin stolz, es geschafft zu haben.“ Mit dem 11. Platz verpasste er eine automatische Startberechtigung für das Folgejahr zwar knapp – alle Top-10-Finisher werden erneut eingeladen –, aber es ist fraglich, ob er diese überhaupt angenommen hätte.
Drei weitere Deutsche waren ebenfalls erfolgreich. Johann Obermüller aus dem bayerischen Kreuth schaffte eine sehr gute Zeit von 18:05 Stunden und wurde 15. Mann. Adrian Koch aus Garmisch-Partenkirchen finishte in 22:39 Stunden. Adrian hat sich von Position 199 bei der ersten Zeitmessung bis auf Platz 38 (Männer) vorgearbeitet, was für eine kluge Renneinteilung des erst 24-Jährigen bei seinem 100-Meilen-Debüt spricht. Einen ähnlichen Rennverlauf hat Matthias Glück aus Baden-Württemberg hingelegt. Er schaffte mit 23:47 Stunden das begehrte Sub-24-Finish, wurde 67. Mann und erhielt gerade noch so eine silberne Gürtelschnalle. Die Finisher, die länger als 24 Stunden brauchen, erhalten eine bronzene. Glückwunsch!
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Die Zeit des kontrollierten Loslaufens ist endgültig vorbei
Der am Ende Drittplatzierte Kilian Jornet, der das Rennen zuletzt im Jahr 2011 laufen und gewinnen konnte, sagte im Zielinterview, dass sich die Zeiten geändert haben. Während man früher auch als Eliteläufer locker losgelaufen sei, die ersten Stunden kontrolliert gestaltet hat, um dann in der zweiten Rennhälfte anzufangen um Platzierungen zu laufen, gilt heute: „The race starts in Olympic Valley“, also dem tatsächlichen Startort. Wer nicht von Minute 1 hellwach ist und das Tempo mitgeht, wird kaum noch Chancen haben, auf den vorderen Plätzen zu landen. Kilian kommentierte das mit einem Schmunzeln. Er habe das beobachtet, sich an Früher erinnert und nur kopfschüttelnd gedacht: „Kommt schon, Leute, lasst uns doch nicht so hetzen und die Landschaft genießen“. Beeindruckend, wie Kilian Jornet (trotzdem) auf einen starken dritten Platz gelaufen ist – rund 80 Minuten schneller als sein jüngeres Ich. Mit Sicherheit auch dank der ihn antreibenden Konkurrenz.
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Das alles dominierende Thema: Streckenrekorde
Werden die Streckenrekorde von Jim Walmsley (2019, 14:09 Stunden) und Courtney Dauwalter (2023, 15:29 Stunden) fallen? Diese Frage hat die Diskussion im Vorfeld bestimmt, natürlich auch, weil einzelne Athleten öffentlich angekündigt haben, diese angreifen und unterbieten zu wollen, allen voran David Roche. Während der (aufgrund von Netz- und Empfangsproblemen qualitativ mangelhaften) YouTube-Live-Übertragung wurde jede Zwischenzeit der führenden Männer und Frauen dann permanent im Hinblick auf den Streckenrekord eingeordnet. Wir kürzen das Thema ab: Die Rekorde sind nicht gefallen. Der Sieger Caleb Olson verpasste ihn zwar nur knapp (14:11 Stunden, zweitschnellste Zeit der Geschichte), die Siegerin Abby Hall schon deutlicher (16:37 Stunden, viertschnellste Zeit der Geschichte). Was dieses Jahr (erneut) zeigt, ist, dass Streckenrekorde für einen Lauf wie den Western States unmöglich vorausgesagt werden können. Für einen Streckenrekord muss alles passen: Die Bedingungen, die Tagesform, der Rennverlauf, einfach alles. Am Ende bestimmt der Trail, wie schnell jemand an Tag X laufen kann.