Anaerobe Schwelle: Warum Bergintervalle sinnvoll sind

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Unser Autor Markus Brennauer postulierte in einem unserer letzten Artikel die These, dass sich mit Bergintervallen eine Verbesserung der anaerobe Schwelle nur schwer erreichen lässt und sie deswegen von Trailrunnern zu häufig ausgeführt werden. Matthias Hahn (Chiemgau Endurance) ist überzeugt, Bergintervalle an der anaeroben Schwelle sind für Trailrunner absolut interessant. Die wichtigen Stichworte in diesem Zusammenhang: Laufökonomie und Spezifität.

Als Trailrunner sollte man sich zunächst fragen: Welche Anforderungen stellen die geplanten Wettkämpfe in energetischer, muskulärer und technischer Hinsicht?
Ein exzellenter Mittelstreckenläufer wie Florian Bremm absolviert seine Wettkämpfe – die meist unter 15 Minuten dauern – überwiegend im überschwelligem Bereich. Beim Trailrunning sieht das ganz anders aus:
Schon kurze Wettkämpfe dauern auf dem Trail meist um die zwei Stunden und beinhalten Anstiege von bis zu einer Stunde Dauer. Dabei verbringen Athlet:innen viel Zeit im Bereich der individuellen anaeroben Schwelle (IANS). Mit zunehmender Wettkampfdistanz sinkt die Intensität entsprechend ab. Bei Ultratrails wird dann die Leistungsfähigkeit im Bereich der maximalen Fettoxidation (also dem Punkt, an dem der Körper absolut gesehen am meisten Fett verstoffwechselt) entscheidend – sowie die zunehmende muskuläre Ermüdung.

Die Schwellenleistung ist für Trailrunner also keineswegs unwichtig, aber vermutlich weniger leistungsbestimmend als etwa bei Mittelstrecklern.

© Odlo

Exkurs: Was ist die individuelle anaerobe Schwelle?

Die individuelle anaerobe Schwelle (IANS) bezeichnet die höchste Belastungsintensität, bei der der Körper noch ein Gleichgewicht zwischen Laktatbildung und -abbau aufrechterhalten kann (MLSS = Maximal Lactate Steady State). Eine höhere Intensität kann nicht über längere Zeit durchgehalten werden. Die IANS lässt sich anhand objektiver Werte wie Pace auf ebener Strecke oder Watt am Rad sowie über subjektive Marker wie Puls oder Belastungsempfinden (etwa 7 auf einer Skala von 1 bis 10) bestimmen.

Leistungsbestimmende Faktoren

Als leistungsbestimmende Faktoren werden allgemein drei Parameter genannt (ausführlich besprochen im Trailfunk Coaches Corner; Anm. Redaktion):

  • VOmax (maximale Sauerstoffaufnahme): gilt als Bruttokriterium der Ausdauerleistungsfähigkeit
  • IANS (individuelle anaerobe Schwelle)
  • Laufökonomie (Energieverbrauch bei einer bestimmten Geschwindigkeit)

Spitzenstraßenläufer weisen alle ähnliche Werte der absoluten Höhe der VOmax auf und verfügen über eine ähnliche IANS (bezogen auf den Prozentsatz der VOmax). Langläufer, Radfahrer oder Ruderer haben tatsächlich wesentlich höhere absolute Werte.  Sehr entscheidend für den Erfolg beim Laufen ist vor allem die Laufökonomie. Spitzen-Athleten brauchen einfach wesentlich weniger Energie als andere Läufer und können die hohen Geschwindigkeiten dadurch lange halten (vgl. Venturini, Giallauria, 2022). Wichtig in diesem Zusammenhang: Laufökonomie ist nicht gleich Laufökonomie. Wer im flachen ökonomisch läuft, tut dies nicht automatisch auch bergauf.

" Wer im flachen ökonomisch läuft, tut dies nicht automatisch auch bergauf. "

Warum Bergintervalle an der anaeroben Schwelle für Trailrunner sinnvoll sind

Die Laufökonomie lässt sich verbessern – durch neue Schuhtechnologie (Karbonplatte, reaktiver Schaum), Krafttraining, Umfang und vor allem: durch das Laufen in der Zielgeschwindigkeit.

Viele kennen das Phänomen: Wer immer dieselbe Runde im gleichen Tempo läuft, ökonomisiert genau diese Pace. Muss plötzlich schneller oder langsamer gelaufen werden, fühlt es sich unrund und anstrengend an – selbst bei langsameren Geschwindigkeiten. Die vertraute Pace wurde ökonomisiert, Abweichungen davon sind unökonomisch.

Neben den Trainingsprinzipien der Individualisierung und der progressiven Belastungssteigerung gilt auch das Prinzip der Spezifität. Spezifität im Training lässt sich herstellen über das angesprochene Energiesystem, die beteiligten Muskelgruppen oder die Bewegungsmuster (vgl. Donath, Faude 2020).

Die praktische Umsetzung

Ja, Intervalle an der IANS sind am Berg schwerer zu steuern. Aber: Wir sind keine Roboter. Ein paar Schläge über oder unter dem Zielpulsbereich ändern den Trainingsreiz nicht grundlegend. Die Belastung kann durch Laktatmessung überprüft werden – auch hier wird jedoch ein Zielbereich vorgegeben, keine exakte Zahl (die aufgrund technischer Ungenauigkeiten ohnehin kaum punktgenau getroffen werden kann).

Und auch wenn die präzise Steuerung am Berg schwieriger ist, gibt es zwei Trainingsreize, die nur durch Bergintervalle – und nicht durch flache – spezifisch gesetzt werden können:

  1. Spezifität: Die für das Trailrunning relevanten Muskelgruppen werden gezielt aktiviert, es entsteht der nötige muskuläre Reiz. Körperhaltung und Belastungsstruktur entsprechen der Realität im Gelände.
  2. Verbesserung der Laufökonomie: Intervalle an der IANS verbessern auch die Laufökonomie an der IANS – und zwar spezifisch für das Bergauflaufen.

© Odlo

Trainingsempfehlung

Lauft also unbedingt Intervalle an der IANS – bergauf!
Am besten wird die Intensität über den Puls gesteuert (wichtig: nicht zu schnell starten – vor allem beim ersten Intervall dem Puls Zeit geben, sich einzupegeln). Fortgeschrittene Athlet:innen können alternativ über das Belastungsempfinden steuern.

Der Klassiker:
4–5 × 8 Minuten direkt an der Schwellenherzfrequenz, mit jeweils 4 Minuten Pause.

Periodisierung im Trainingsjahr

Aber ja – Intervalle sollten nicht ausschließlich am Berg stattfinden. Ein sinnvoller Grundsatz:
Je näher der Wettkampf, desto spezifischer das Training. Im Früh- und Spätwinter bieten sich flache Intervalle im Schwellenbereich zur Entwicklung des Grundspeeds an. Im Frühjahr geht’s dann – im wahrsten Sinne – wieder bergauf.

Matthias Hahn ist Ausdauertrainer für Trailrunning, Rennrad und Mountainbike. Als DSV Skilehrer und staatlich geprüfter Bergführer kennt er sich in alpinen Regionen aus. Unter dem Namen Chiemgau Endurance bietet der begeisterte Rennradfahrer und Trailrunner Coaching für Ausdauerathleten und Bergsteiger an.

  1. Donath, L., Faude, O. (2020). Den Trainingsreiz richtig setzen. Physiopraxis 6/20.

  2. Venturini, E., Giallauria, F. (2022). Factors Influencing Running Performance During a Marathon: Breaking the 2-h Barrier. Front Cardiovasc Med. März 2022.

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