Mittelgebirge oder Alpen? Egal. Raus aus der Schublade!

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Ich war im Kurzurlaub. Der kleine Mann aus dem Mittelgebirge in den großen Bergen. Ich habe keine großen Bergabenteuer erlebt. Ich wollte mich nur mal reinfühlen. Und es fühlte sich schön an. Hier ist mein Bericht über die Wiederentdeckung einer verloren geglaubten Liebe zum Laufen in den Bergen.

Ihr kennt mich. Ich bin der mit der Liebe zum Mittelgebirge. Trailläufer. Auf ne Art. Ich fühle mich wohl mit diesem Label. Meistens.

Mit den Schubladen ist das so eine Sache. Wir alle haben Schubladen. Oft ärgere ich mich, wenn andere mich einsortieren. Das ist der Nerd. Der kriminelle Tätowierte. Der Sportsüchtige. Nun, für die meisten Lesenden bin ich der Mittelgebirgsläufer. Diese Schublade habe ich nicht nur selbst geöffnet. Ich habe die Kommode sogar selbst gebaut, ansprechend gestrichen und mir meine Schublade richtig gehend ausgeschmückt. Mit den schönsten Schmuckstücken des Vordertaunus. Und ich fühle mich wohl in dieser Schublade. Doch das Ding mit Schubladen ist: Wir schieben sie zu und sehen nicht unmittelbar, was sich in den anderen Schubladen befindet. Das ist nicht schlimm. Ich fühle mich wohl mit dem, was ich tue. Mit dem, was ich finde. Aber ich trage auch Scheuklappen. Scheuklappen sorgen automatisch dafür, dass ich sehen will, was ich nicht sehen kann. Dass ich spüren will, was ich nicht spüren kann. Und dass ich erleben will, was ich nicht erleben kann.

Die Berge im Blick. Unser Autor Daniel in Garmisch-Partenkirchen

Also sitze ich da. In meiner Schublade. Mit meiner Neugierde. Neugier ist ein großartiges Gefühl. Sie lockt uns aus unseren Verstecken und zeigt uns, wie straff unsere Scheuklappen sitzen. Neugier ist jedoch ein furchtbares Gefühl, wenn ich sie nicht stillen kann. Wenn ich meine Schublade verschließe und konsequent verrammele. Ohne sie vorher zu verlassen. Also packte ich meine Schublade unter den Arm, auch ein paar Laufschuhe fanden ihren Weg hinein, und machte mich auf die Reise.

Wir landeten in Garmisch. Wahrscheinlich eine der eindrucksvollsten Regionen Deutschlands. Der Anziehungskraft der Berge war nicht zu entkommen. Ein Spaßgetränk an der Tanke? Auf dem Weg im Alpenblick versackt. Ein Plausch im Café? Die Aufmerksamkeit blieb beim Bergpanorama. Abends noch ein wenig Lesen? Wer kann dem Alpenglühen schon entrinnen.

Meine Neugierde glühte nun ebenso wie eine Bergkette im Sonnenuntergang. Ich schob meine Schublade einen kleinen Spalt auf. Nur ein wenig. Ich wollte wissen, was sich in den anderen Schubladen befindet. Vielleicht sogar meine Kommode etwas ausbauen. Was ist denn auch eine Kommode mit nur einer Schublade? Also schnupperte ich etwas Bergluft. Ich tapste unsicher, aber gut gelaunt über malerische Pfade. Erkundete – unterstützt von frei zugänglichen Kartenmaterial – Wege, die eigentlich nicht erkundet werden wollten. Ich scheiterte. Und versuchte es erneut. Und spürte, wie ein nahezu kindlicher Erkundungsdrang in mir erwachte.

" Die Berge, das ist mir bewusst, werden wohl nie meine Komfortzone werden. Doch unter dem Antrieb meiner Sehnsucht möchte ich es mir dort ein wenig komfortabler machen. "

Daniel Arnold

Kinder finden schnell Kontakt. Ich eigentlich nicht, aber im Schatten der Berge ist offenbar alles anders. Ich genoss es mir von Freunden und Freundinnen Berggeschichten erzählen zu lassen. Ich war nahezu überfordert von den Empfehlungen an erlebnisreichen Bergtouren. Leider war mein Zeitkontingent nicht annähernd so groß wie mein Erkundungsdrang. Was aber noch größer war, war meine Freude. Mir kam das Privileg zu teil, dass ich aufgenommen wurde in eine Gemeinschaft aus Menschen, die diesen Sport lieben und leben. Und teilen. Gute Gemeinschaft – das ist sicher ein grundlegender Pfeiler unseres Sports. Im Schatten der Berge sind wir jedoch so klein, wir rücken automatisch nochmal ein Stückchen näher zusammen.

Unser Autor läuft über Steine und Wurzeln

Trailrunning ist Offenheit. Eine Offenheit für unbekanntes Terrain. Gegenüber anderen Menschen. Gegenüber dem Verlassen der eigenen Komfortzone. Komfortzonen sind individuell. Meine Komfortzone bleibt der Taunus. Ich weiß, was mich erwartet und erfreue mich dennoch an jeder unbekannten Wurzel, über die ich häufiger stolpere als ich mir eingestehen mag. Die Berge, das ist mir bewusst, werden wohl nie meine Komfortzone werden. Doch unter dem Antrieb meiner Sehnsucht möchte ich es mir dort ein wenig komfortabler machen. Wer eine eigene Kommode bauen will, muss schreinern lernen. Ich glaube das hier war mein Praktikum.

Nun war mein Aufenthalt zu kurz, um mich in einen selbstbewussten Bergläufer zu transformieren. Auch das Label Mittelgebirgsläufer trage ich weiterhin mit Stolz. Und dennoch möchte es nicht missen mal ein wenig in andere Schubladen geluschert zu haben. Versteht mich nicht falsch, ich finde meine eigene Schublade immer noch schön. Aber ich glaube sie hat weitere Fassetten bekommen. Der kleine Mittelgebirgsläufer mit der kleinen Sehnsucht. Ich bin mir sicher, diese Sehnsucht wird von nun an ab und an erwachen. Und dann schlüpfe ich aus meiner Schublade, steige in den Zug und fahre dahin, wo die großen Berge stehen. Und dann fahre ich wieder heim. Eine weitere, kleine Liebe wurde entfacht. Aber das ist okay, denn Liebe habe ich viel zu geben. Für den kleinen Berg und für den großen. Für die Alpen und für den Taunus. Und für meine Kommode mit Platz für viele Schubladen. Ich bin bereit fürs erste Lehrjahr.

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