Beliana Hilbert – vom Kettenrauchen in Kiel zum Berglaufen in Bayern

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Am Berg fühlt Beliana Hilbert sich zu Hause. Das war nicht immer so. Wie aus einem jungen Mädchen, dessen Hausberg für viele Jahre der nicht vorhandene Deich der Ostseeküste war, eines der hoffnungsvollsten deutschen Ultratrail-Talente wird, erzählt uns die ambitionierte Trailläuferin während eines Laufes auf ihren Hausberg.

Der Ort Inzell ist mir bekannt. Ich war schon einmal hier, um einen bekannten deutschen Läufer zu porträtieren. Mit Florian Neuschwander lief ich seine vertraute Pimmelrunde. Die kleine Gemeinde im Chiemgau, eigentlich eher für das Landesleistungszentrum für Eisschnelllauf bekannt, ist mittlerweile zum Sammelbecken der schnellsten deutschen Trailrunner geworden. Florian Neuschwander erwähnte ich schon. Hannes Namberger stammt zwar aus dem benachbarten Ruhpolding, baut in Inzell aber derzeit ein Haus für seine junge Familie. Rosanna Buchauer wohnt mittlerweile bei Innsbruck, ist aber hier aufgewachsen und beheimatet. Ich bin heute mit Beliana Hilbert verabredet. Die schnelle Läuferin ist mit Alex Westenberger, Zweiter beim ZUT 2024, liiert. Ihr merkt, in Inzell wird schnell den Berg hochgelaufen. Aber vor allem wieder hinunter. Doch dazu später mehr.

 

Beli und die Idylle ihrer Wahl-Heimat Chiemgau

Zigarettenpause am Hochgern

Auf einer einspurigen Straße fahre ich mitten durch saftige Wiesen. Links kaut mich eine Kuh an, rechts hoppelt ein Pferd über das Grün. Es ist die reinste Idylle. Auf einem kleinen Hügel stehen drei Häuser. Ein Kuhstall und zwei Wohnhäuser. Hier wohnt Beliana Hilbert. Als ich vorfahre, wartet sie schon auf mich. Laufbereit angezogen im Team Schamel-Dress. Dass Beliana mal auf einem ur-bayerischen Bauernhof lebt und von einer ur-bayerischen Meerrettichmarke für das Berge-hoch-laufen gesponsort wird, hätte sie sich noch vor wenigen Jahren in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Damals lebte die gelernte Friedhofsgärtnerin so weit weg von den Alpen, wie es in Deutschland gerade noch möglich ist. Ihr Geburtsort Kiel ist Luftlinie näher an Oslo als an Inzell.

2016 war sie das erste Mal im Urlaub in den Bergen. Damals, noch mit der Familie ihres Ex-Freundes, weilt sie in Marquartstein. „Mein erster Berg war der Hochgern. Ich dachte, ich komm niemals oben an. Drei Zigarettenpausen habe ich gemacht und jede einzelne davon bereut. Aus Spaß meinte ich zu meiner Begleitung: Irgendwann lauf ich hier. Da haben alle gelacht.“ Mit kräftigen Schritten läuft Beliana neben mir her den Berg hoch, während sie mir diese Anekdote erzählt. Unser heutiges Ziel ist der Zwiesel. 1782 Meter hoch thront der Berg über Inzell. Zigarettenpausen macht Beli schon lange nicht mehr. „Ich glaube, viele meiner alten Bekanntschaften aus Kiel würden nicht glauben, dass ich jetzt diese Distanzen in den Bergen laufe und sogar Rennen gewinne. Ich war früher eher so die Partymaus,“ berichtet mir die junge Läuferin.

Wir verlassen den waldigen Trail. An der Kohleralm erfassen uns die herbstlichen Sonnenstrahlen. Das Früher scheint für Beli in diesen Momenten ganz weit weg. „Ich hatte keine einfache Kindheit. Ich war in meiner Jugend viel krank, was mit dementsprechenden Klinikaufenthalten verbunden war. Ich habe danach nie so richtig meinen Platz gefunden in dieser Welt. Dieses Gefühl nicht hierher zu gehören beziehungsweise nicht richtig zu sein, war stets präsent.“

Es klingt widersprüchlich: Aber es sind tatsächlich die weit entfernten Berge, die der Kielerin einen sicheren Hafen und einen neuen Ankerpunkt versprechen. „In den Bergen hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl angekommen zu sein. Das ist ein Gefühl, was schwer in Wort zu fassen ist, manchmal steh ich allein zum Sonnenuntergang oben am Berg und mir kommen die Tränen, einfach weil ich so glücklich bin und gar nicht glauben kann, wie unfassbar schön es hier ist. Ein Gefühl, welches ich selbst in Anwesenheit von Freunden so früher nie hatte.“ Ihr könnt es euch denken. Es dauert nicht lange, bis Beli beschließt in die Berge zu ziehen. Dem besagten ersten Bergurlaub folgt noch ein zweiter in Eschenlohe und schon beim dritten Bergbesuch in Inzell sucht sie sich eine Wohnung, um dauerhaft zu bleiben.

Kiel - Inzell - Adamello

Zu Beginn wandert sie die Berge noch hinauf. „Aber bergab bin ich immer schon gelaufen.“ Es dauert nicht lang, bis sich Beliana zu ihrem ersten Trailrun anmeldet. Beim Mountainman Großarltal im Salzburger Land steht sie im August 2021 am Start ihres ersten Laufwettkampfs überhaupt. Ob sie die 30 Kilometer und 1600 Meter beenden wird, weiß sie nicht. Schließlich ist dies ihr längster Lauf bis dato. Aber sie überrascht sich selbst, wird fünfte Frau. Nicht viel später verabredet sie sich mit Alex Westenberger, einem der besten deutschen Trailrunner, zum Laufen. „Natürlich war Alex viel zu schnell für mich“, erinnert sie sich. Das tut weiteren Lauf-Dates aber keinen Abbruch. Der Berchtesgadener und die Kielerin werden ein Paar. Und nicht nur das. Die beiden werden ein echtes Team. Alex übernimmt ab sofort das Training von Beli, worauf diese einen gehörigen Leistungssprung macht und Beli supportet Alex bei all seinen Rennen (später auch umgekehrt).

Alex hat 2022 ein perfektes Jahr. Erst gewinnt er den UTFS, dann den Innsbruck Alpine, den GGUT und zum Saisonabschluss die 100 Meilen beim schweren Adamello Ultratrail. Supporterin Beli hat an diesem Erfolg einen gehörigen Anteil. Besonders der über 26 Stunden andauernde Support-Ultra beim Adamello bleibt Beli in Erinnerung: „Ich bin sehr gut im Supporten. Wahrscheinlich sogar besser als im Laufen. Das liegt wohl daran, dass es mir sehr viel Spaß macht.“ Wenn Beli oder Alex laufen, supportet der jeweils andere. Die beiden überlassen dabei nichts dem Zufall. Jedes Rad greift ins andere. Für Beli ist nach dem Support-Abenteuer beim wilden Adamello Ultratrail klar, dass sie das Rennen auch bald laufen muss. Vielleicht nicht die 100 Meilen, aber zumindest die 100 Kilometer.

Beli auf ihrem Hausberg, dem Zwiesel

Gesagt, getan. Beli ist inzwischen, auch mit Hilfe von Alex, eine sehr ambitionierte und starke Trailläuferin geworden. Beim Mountainman Reit im Winkl holt sie 2022 ihren ersten Sieg. Dieses Jahr ging es dann richtig los. Beim UTFS wird sie Zweite. Im August gewinnt sie die 75 schweren Kilometer beim Karnischen Ungetüm. Ende September dann das Saisonhighlight: Mit dem Adamello Ultratrail wartet der erste 100er auf die junge Läuferin. Doch die Vorzeichen sind nicht ideal. Beli stellt sich leicht verkühlt an den Start, sie fühlt sich nicht gut, es ist ein einziger Kampf. Nach 30 Kilometern will sie  aussteigen. Zu dem Zeitpunkt liegt sie in Führung. Zusammen mit ihrer Freundin Heidi – ebenfalls ein Nordlicht (Heidi Annemarie Schwartz kommt aus der Nähe von Hannover), das den Weg in die Berge gefunden hat. Als Heidi Notiz nimmt von den Ausstiegsplänen ihrer befreundeten Konkurrentin, geschieht etwas Wunderbares: „Heidi hat sich umgedreht und mich in den Arm genommen. Sie hat mir gut zugeredet, mir eine Salztablette gegeben und mir das Vertrauen gegeben, dass es wieder besser wird“, berichtet Beli. Ausgerechnet ihre ärgste Rivalin um den Sieg wird zur entscheidenden Helferin. Gestärkt von diesem freundschaftlichen Akt rappelt Beli sich wieder auf. In einem der folgenden technischen Abschnitte übernimmt sie sogar erneut die alleinige Führung. Ihr Durchhaltewille wird belohnt: Beli gewinnt den Adamello Ultratrail! Mit Streckenrekord! Heidi wird Zweite. Ermöglicht wird dieser Doppel-Triumph der beiden norddeutschen Trailläuferinnen durch Alex, der die beiden während ihrer 14-stündigen Reise supportet. Ein echtes Trailrunning-Märchen.

Downhill und Fußball

Beli und ich sind inzwischen auf dem Gipfel des Zwiesel angekommen. Es ist einer dieser traumhaften Herbsttage. Nördlich des Gipfels drückt sich eine Nebelwand gegen die Voralpen. Südlich des Gipfels lacht die Sonne vom Kehlsteinhaus über Watzmann und Wilder Kaiser bis in unsere Gesichter. Ich unterbreche den Gipfelgenuss nur ungern, um ein Porträtfoto der Wahl-Inzellerin zu machen. Beli ist niemand, der gern im Rampenlicht steht. Zwar hat sie inzwischen sogar einen Sponsor, allerdings spürt sie beim Team Schamel keinerlei Druck Dinge zu tun, die ihrem zurückhaltenden Naturell widersprechen würden.

Weniger zurückhaltend ist Belianas Downhill Performance. Im technischen Abstieg vom Zwiesel muss ich zusehen, dass ich dranbleibe, so wieselflink und geschickt springt die Kielerin von Stein zu Stein. Beli ist ein echtes Downhill-Talent. Ich weihe sie in meine These ein, dass sich meine guten Downhillfähigkeiten aus meiner fast 20-jährigen Fußballvergangenheit speisen: Kleine, schnelle Schritte, kurze Bodenkontakzeit, Koordination – es scheint Überschneidungen zu geben zwischen dem größten und dem vermeintlich kleinsten Sport dieses Planeten.

Beli am Zwiesel Gipfelkreuz

Beli steigt sofort ein: „Ich habe auch lange und ambitioniert Fußball gespielt.“ Besonders die frühen Jahre zusammen mit den Jungs hat sie in guter Erinnerung: „Ich war eine sehr ehrgeizige Fußballerin. Ich hatte eine ziemlich große Klappe damals und war sogar Mannschaftskapitänin.“ Beli ist talentiert und bekommt sogar Angebote von größeren Vereinen. In so jungen Jahren kann sie sich aber nicht vorstellen ihr vertrautes Umfeld zu verlassen. Später in den reinen Mädchenmannschaften verebbt die Fußball-Leidenschaft, Rauchen und Party erzeugen nun mehr Anziehungskraft. Was sie aber aus ihrer Fußballer-Zeit mitgenommen hat, ist der sportliche Ehrgeiz: „Ich hatte schon immer dieses Wettkampfgen in mir. Diesen Ehrgeiz. Mit 6 Jahren habe ich jeden Tag den Ball gegen die Wand gekickt.“

Die schöne Sucht

Wenn man Beli nach ihren zukünftigen Wettkampfplänen fragt, bekommt man eine zweigeteilte Antwort. Natürlich sind es die landschaftlich reizvollen und technisch anfordernden Rennen, die sie reizen. Aber auch gewisse Rennen in Chamonix schließt sie nicht aus. Sich mit den besten Trailrunnerinnen der Welt zu messen, ist für sie durchaus ein entscheidender Faktor bei der Wettkampfauswahl. Im Moment erholt sie sich erst mal von ihrem ersten Hunderter, der doch eine nachhaltigere Müdigkeit hinterlassen hat. Schon bald aber will sie einsteigen in das strukturierte Wintertraining. Im nächsten Jahr warten schließlich weitere Langdistanzen: „Die langen Kanten haben es mir angetan. Mir gefällt es, dass es bei diesen Rennen meist nur darum geht überhaupt ins Ziel zu kommen. Während ich mich bei den kürzeren Distanzen immer selbst unter Druck gesetzt habe, spüre ich bei den langen Kanten kaum Druck und habe weniger mentale Probleme.“

" Wenn ich am Berg unterwegs bin, finde ich meinen inneren Frieden. "

Beliana Hilbert hat ihre Passion gefunden. Mit der Sicherheit der Berge im Rücken hat die junge Athletin noch einiges vor im Trailrunningsport. Da ist einerseits die Berg-Beli, die Gipfel besteigt, um innere Ruhe zu finden, aber da ist auch die Wettkampf-Beli, die sich Gedanken über Bahn-Intervalle und Eins-Einser-Stocktechnik macht. Beides hätte sich die an der Ostseeküste aufgewachsene Trailrunnerin bis vor wenigen Jahren kaum vorstellen können.

„Ich war eine echte Kettenraucherin. Inzwischen kann ich mir das überhaupt nicht mehr vorstellen. Mein Leben hat sich um 180° gewendet.“ Ob sie die eine Sucht gegen eine andere ausgetauscht hat, will ich von ihr am Gipfel des Zwiesel wissen? Eine blöde Frage, angesichts der Sonne, die Beli ins zufriedene Gesicht scheint. Ich stelle sie trotzdem. Ihre Antwort lässt keine Fragen offen: „Ja, vielleicht“, antwortet Beli, „aber eine viel schönere. Eine, die mich glücklich macht. Wenn ich am Berg unterwegs bin, finde ich meinen inneren Frieden. Ich meine, schau dich doch mal um. Es ist einfach so unfassbar schön hier.“

"Schau dich doch mal um. Es ist einfach so unfassbar schön hier."

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