Dies ist der zweite Artikel von TrailrunningHD-Autorin Sabine Heiland zur UTMB-Kontroverse. Es empfiehlt sich den Beitrag UTMB Boykott – drei Missverständnisse ebenfalls zu lesen.
Dies ist der zweite Artikel von TrailrunningHD-Autorin Sabine Heiland zur UTMB-Kontroverse. Es empfiehlt sich den Beitrag UTMB Boykott – drei Missverständnisse ebenfalls zu lesen.
In diesem Artikel wird die Frage, ob die E-Mail von Kilian und Zach nun als Boykottaufruf zu interpretieren ist oder nicht, zwar geklärt, viel mehr aber soll sich dieser Beitrag der Frage widmen, wie man im Umgang mit einem Big Player wie dem UTMB vielleicht hätte zielorientierter vorgehen können. Nach dem geleakten Boykott-Aufruf der beiden Szene-Stars rief der UTMB am 23. Januar 2024 eine Videokonferenz ein, an der neben Vertretern von UTMB/Ironman auch Zach Miller, Kilian Jornet und Repräsentanten der Pro Trail Runners Association (PTRA) teilnahmen.
Am 24. Januar gab es in eindrucksvoller Synchronität gleich vier Posts aller an dieser Konferenz Beteiligten.
Während der UTMB im Wesentlichen den Ablauf und grob den Inhalt der Videokonferenz wiedergab und abschließend darauf hinwies, dass die Ironman Group lediglich eine Minderheitsbeteiligung am UTMB hält, machten Kilian Jornet und Zach Miller in ihren Instagram Posts nochmal ihren Standpunkt klar: Dass der UTMB unzweifelhaft viel für den Sport getan habe, es allerdings in den letzten Jahren zu Fehlentwicklungen gekommen sei, denen man begegnen müsse. Vieles davon sei laut UTMB auf Fehlinformationen und Missverständnisse zurückzuführen.
— Kilian Jornet
Interessant ist, dass beide – Kilian und Zach – das Wort Boykott oder vergleichbare Formulierungen nicht in den Mund nehmen. Kilian schreibt in seinem Post: „Als Sportler in einer privilegierten Position wäre es einfacher gewesen, zu schweigen, aber angesichts der Bedenken der Community war es notwendig, sich zu äußern. […] Es geht nicht darum, Zwietracht zu säen, sondern einen konstruktiven Dialog zu fördern, um die Integrität und die Werte unseres Sports zu bewahren.“ Und auch Zach umschreibt die Situation, anstatt sie konkret zu benennen: „In der E-Mail wurden die Läuferinnen und Läufer gefragt, ob sie daran interessiert wären, bei einer anderen Veranstaltung als dem UTMB gegeneinander anzutreten, da Kilian und ich der Meinung sind, dass die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Spitzensportlers bei einer Veranstaltung eines seiner besten Mittel ist, um seine Gefühle auszudrücken und sich für Veränderungen einzusetzen.“
Und dann gab es noch eine vierte Wortmeldung am 24. Januar, die von der PTRA. Diese war eigentlich gar keine Partei im Konflikt von Kilian und Zach mit dem UTMB. Allerdings hatte sie Martin Cox beim Leaken mal schnell zur Partei gemacht, indem er schrieb: „Ich spreche speziell von Zach Miller und Kilian Jornet sowie dem Vorstand eines in der Schweiz ansässigen Vereins, der sich Pro Trail Runners Association nennt und dessen Ziele, wenn sie auch unklar bleiben, eigennützig zu sein scheinen.“ Und daher heißt es im offiziellen Statement der PTRA: „Zunächst einmal möchten wir klarstellen, dass die PTRA nie involviert war und auch nichts von der E-Mail wusste, bevor sie öffentlich wurde: Es war eine legitime Initiative von Zach Miller und Kilian Jornet. Wir mussten die Position der PTRA klarstellen, weil sie in dem Instagram-Post eines Dritten erwähnt wurde, was zu einer großen Verwirrung führte.“
Weiter heißt es im offiziellen Positionspapier der PTRA: „Kilian Jornet und Zach Miller erläuterten ihre Beweggründe für ihre E-Mail und betonten, dass es ihnen nicht darum ging, einen Boykott zu organisieren – ein Wort, das nur von einigen Medien verwendet wurde – sondern vor allem darum, einem gemeinsamen Gefühl der Frustration und Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, das von vielen Eliteläufern über die Arbeitsweise des UTMB auf vielen Ebenen geteilt wird: von den Elitesportlern, den Organisatoren der Rennen, den lokalen Gemeinden und allen Teilnehmern des Trailrunning-Sports.“
Es soll also kein Boykott-Aufruf gewesen sein?
Es ging darum, andere Sportler davon zu überzeugen, gemeinsam an einem anderen Event als dem UTMB teilzunehmen, um – wie Zach es ausdrückt – „seine Gefühle auszudrücken und sich für Veränderungen einzusetzen“. Warum nennt man das Kind dann nicht beim Namen?
Es ist sicher gut, verbal abzurüsten, wenn zwei Konfliktparteien miteinander reden wollen. Aber wenn die Kommunikation nicht in Beliebigkeit abgleiten soll, dann sollte man sagen, was ist. Egal, wie man es dreht und wendet: Es ging hier um einen Boykott.
Doch auch der UTMB redet in seinem Post nicht immer Tacheles. Hier will man den Eindruck erwecken, weiterhin autark zu sein, indem man darauf verweist, dass die Ironman Group lediglich eine Minderheitsbeteiligung am UTMB hält. Faktisch ist das richtig – die Ironman Group ist mit 45% am UTMB beteiligt. Aber dass auch eine Organisation mit Minderheitsbeteiligung sich in die Strategie des Mutterunternehmens einmischt, dass sich das Geschäftsgebaren von UTMB und Ironman seit der Teilübernahme immer mehr gleicht, das ist wohl nicht von der Hand zu weisen.
Sagen, was ist: Das würde ich mir aber auch von den Medien wünschen, die über Laufsport berichten. Worauf sich die einschlägigen Magazine in diesem Fall beschränkt haben, war die Position der beiden Parteien ganz oder teilweise ungefiltert und unhinterfragt wiederzugeben. Eine kritische Auseinandersetzung oder ein klarer Kommentar war nicht zu finden. Matt Walsh von „Trailmix“ schreibt daher meines Erachtens zurecht: „Es wird mehr PR als Journalismus betrieben“.
Jim Walmsley und Kilian Jornet laufen beim UTMB 2022 durch den Lichtbogen in die Nacht hinein © UTMB
Auch wenn Kilian und Zach immer wieder betonen, dass die E-mail und das Gespräch mit dem UTMB nur die ersten Schritte waren, so fragt man sich: War’s das jetzt? Hat diese ganze Aufregung und die Schlammschlachten in den sozialen Medien jetzt als einziges greifbares Ergebnis gezeitigt, dass der UTMB die Regeln für die Qualifikation von Eliteathleten transparenter und besser verständlich formuliert?
Das wäre dann doch enttäuschend.
Meiner Meinung nach war diese Aktion ein Fehlschlag – und es wäre gut, diese als solchen zu benennen, damit man auch etwas daraus lernen kann. Denn einiges ist hier schiefgelaufen:
Mehrheiten müssen organisiert werden: Es mag in der heutigen Zeit, wo viele eher auf Statements in den sozialen Medien setzen als auf Diskussion, etwas in Vergessenheit geraten sein: Selbst mit der besten Idee muss man Mehrheiten organisieren. Dafür ist eine „Rundmail“ sicher nicht das richtige Medium. Viel besser wäre es gewesen, hier 30 individuelle Gespräche mit den 30 AdressatInnen der E-mail zu führen. Vielleicht hätten sich Kilian und Zach in Sachen persönlicher Überzeugungsarbeit mal ein Beispiel am früheren amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson nehmen müssen: Das von ihm immer wieder durchexerzierte „Johnson Treatment“ war legendär. Er konnte selbst einen zerstrittenen Hühnerhaufen am Ende zu einer Entscheidung führen, die in seinem Sinne lag.
Kräfte bündeln: Kilian Jornet selbst hat zusammen mit anderen Läufern Ende 2022 die PTRA aus der Taufe gehoben. Nach Aussagen der PTRA war diese an der E-mail Aktion von Kilian und Zach nicht nur unbeteiligt, sie wussten überhaupt nichts davon. Es ist unverständlich, warum man hier nicht gemeinsam ein Zeichen zu setzen versucht hat. Wer mit einem solchen Player wie dem UTMB verhandeln will, der sollte alle Kräfte bündeln – nur so hat man die Chance, etwas durchzusetzen.
Den Worten Taten folgen lassen: Miteinander reden ist sicher gut. Und sicher gibt es den einen oder anderen Punkt, bei dem die Akteure aufseiten des UTMB sich überzeugen lassen. Doch es geht hier nicht nur um Win-win-Situationen. Es gibt auch Punkte, wo die Sportler und der UTMB als Veranstalter naturgemäß diametral unterschiedliche Interessen verfolgen. Hier ist es wichtig, auch mal Krallen und Zähne zu zeigen – und konsequent zu sein, selbst wenn es einem selbst für eine gewisse Zeit Nachteile bringt.
Strategie statt Schnellschuss: Als der UTMB ankündigte, dass man 2024 den Ultra Trail Whistler by UTMB ausrichten wird – und Gary Robbins vermutete, dass der UTMB und Whistler ihn ausgebootet hatten, kündigte dieser sofort an: 2024 wird Coast Mountain Trail eine Konkurrenzveranstaltung zu Whistler by UTMB ins Leben rufen. Viele LäuferInnen haben daraufhin ihren Support angekündigt und mitgeteilt, dass sie an dieser Veranstaltung teilnehmen werden. Doch jetzt musste Garry Robbins einen Rückzug machen: Anfang Februar postete er, dass sich verschiedene Schwierigkeiten und Verzögerungen mit den Genehmigungsprozessen ergeben haben, sodass die Timeline für eine Austragung 2024 unrealistisch geworden ist. Es wird also – zumindest 2024 – keine Konkurrenzveranstaltung in Chilliwack, BC geben. Es wäre besser gewesen, er hätte zunächst mal in Ruhe überprüft, ob er so kurzfristig ein Rennen aus dem Boden stampfen kann – und eine langfristige Strategie entwickelt. Das Gleiche hätte ich mir auch für die Aktion von Kilian Jornet und Zach Miller gewünscht.
Wer jetzt die Hoffnung hatte, dass alle aus dieser Sache gelernt haben und jetzt mehr Professionalität einkehren würde, wurde in den letzten Wochen gleich mehrfach enttäuscht.
Wenige Tage nach der besagten Videokonferenz hat Camille Herron, Mitglied der PTRA, auf Twitter einige Slides der Präsentation geteilt. Anscheinend, ohne dies vorher abzusprechen bzw. ohne sich die Genehmigung hierzu einzuholen. Die Folge: Wenige Tage später waren die entsprechenden Tweets wieder gelöscht.
Und auch der UTMB hat es geschafft, schon wenige Wochen nach der Ankündigung von mehr Transparenz ins nächste Fettnäpfchen zu treten: Anfang März stellten sie eine Liste ins Netz mit den qualifizierten EliteläuferInnen, die 2024 beim UTMB/CCC/OCC und TDS starten werden. Ganz oben auf der Liste: Jim Walmsley. Natürlich erinnerte man sich sofort an seinen Kommentar „Welches Rennen laufen wir dann nächstes Jahr?“ – und es hagelte erste Kritiken. Kurz darauf war Jim Walmsley wieder von der Liste verschwunden. Hier scheint also der UTMB vorschnell gehandelt zu haben …
Es bleibt also offen, wie viel sich tatsächlich ändern wird. Wie heißt es doch in „Der gute Mensch von Sezuan“ von Berthold Brecht: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit TrailrunningHD, wo er ebenfalls veröffentlich wurde.