Laufen im Grenzbereich: Der ultimative Kampf gegen das DNF

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Das DNF ist für viele Trailrunner das gefürchtete Damoklesschwert über dem Kopf. Autorin Sabine Heiland allerdings fasziniert der Kampf gegen den Cut Off.

Jedes Jahr im Frühling beobachte ich das wachsende Interesse an den Barkley Marathons – bei mir selbst und bei anderen Läufern. Selbst jene, die sich (wie ich) nicht einmal vorstellen könnten, eine einzige Runde beim Barkley zu beenden, werden davon angezogen. Ich frage mich, woran das liegt. Der Barkley bietet weder spektakuläre Landschaften noch aufregende Live-Übertragungen. Von Zeit zu Zeit kommen ein paar kryptische Tweets aus Frozen Head State Park, geschrieben von einem Barkley Enthusiasten. Die wenigen Bilder, die man zu Gesicht bekommt, zeigen Läufer zwischen kahlen Bäumen und Dornenhecken, häufig im Nebel oder Regen.

Was macht das Faszinosum dieses Rennens aus?

Mich fasziniert an diesem Rennen vor allem, dass es für alle Teilnehmer ein fortwährender Ritt auf der Klinge ist: zwischen gerade noch durchkommen und DNF, zwischen Weitermachen und Aufgeben. Im Nacken sitzt allen eine Cutoff-Zeit, die sich so großzügig anhört, als ob es hier um einen „Spaziergang im Park“ ginge. Sechzig Stunden für hundert Meilen. Wenn man es nicht besser wüsste…

© UTMB

Schaffe ich das überhaupt?

Wenn ich mir beim Barkley den fortwährenden Kampf der LäuferInnen gegen die Cutoff-Zeiten und das DNF anschaue, fühle ich mich manchmal an die Anfänge meiner eigenen Laufkarriere zurückversetzt.

Wie die meisten von uns fing ich zunächst „klein“ an: Ein 5 km-Rennen, ein 10 km-Rennen, dann der Halbmarathon. Bis dahin war alles überschaubar. Doch dann kam der Marathon und mit ihm die Frage: Schaffe ich das überhaupt? Die gleichen Fragen stellten sich beim ersten Bergmarathon und noch intensiver beim ersten Ultramarathon.

Aber irgendwann waren meine persönlichen Grenzen des „immer weiter“ und „immer höher“ erreicht. Eine gewisse Routine stellte sich ein. Die existenziellen Fragen wurden weniger. Dafür kam eine neue Frage: Um was laufe ich hier eigentlich? Was ist das Ziel des Rennens? Dass ich noch ein paar Minuten schneller laufe als im letzten Jahr? Das motiviert mich jetzt eigentlich nicht so sehr. Außerdem war bei mir irgendwann auch der Alterspeak der Leistungsfähigkeit erreicht. Und um Podestplätze bin ich noch nie gelaufen.

Wie wäre es also mit einem richtig anspruchsvollen Rennen? Ein Rennen, bei dem ich nicht ganz sicher sein kann, ob ich es überhaupt schaffe. Bei dem ich mich richtig anstrengen muss, dem Cutoff davonzulaufen.

Ich habe dann tatsächlich Erfahrungen mit dem Cutoff gemacht. Beim ersten Mal war ich ziemlich planlos und habe versucht, dem imaginären Besenwagen davonzulaufen. Es hat nicht funktioniert – er hat mich mitten im Rennen eingeholt – DNF.

Beim zweiten Mal war ich besser vorbereitet und auf den Kampf mit dem Cutoff eingestellt. Knapp, aber erfolgreich, bin ich ihm entkommen. Es war ein episches Battle.

Was ich dabei gelernt habe: Es gibt kaum etwas Existenzielleres als den Kampf gegen den Cutoff, gegen das DNF. Der Kampf darum, überhaupt ins Ziel zu kommen, ist so grundlegend, dass er einen ganz eigenen Reiz hat. Es geht nicht um Platz 233 versus Platz 234, nicht um eine Zeit von 10:37 vs. 10:38 – es geht um ALLES. Go big or go busted!

© UTMB

Finde Deinen eigenen Barkley

Sollten wir jetzt alle versuchen, uns für den Barkley Marathons anzumelden? Oder sollten wir, um die Reisekosten niedrig zu halten, unser Glück beim europäischen Barkley-Schwesterrennen, dem Chartreuse Terminorum, versuchen?

Ich glaube, wer an diesem existenziellen Kampf gegen den Cutoff interessiert ist, kann es viel einfacher haben. Die International Trail Running Association (ITRA) hat für fast jedes Rennen den sogenannten ITRA Finisher-Level berechnet. Dieses Finisher-Level gibt eine Schätzung des minimalen Leistungsindex an, der erforderlich ist, um ein Rennen innerhalb der maximal erlaubten Zeit zu beenden.

Wenn man nur langsam genug ist, wird man für seinen ITRA Performance Index immer ein Rennen finden, dessen Finsher Level knapp darüber ist. Das knapp über den eigenen Fähigkeiten liegt. Und bei dem sich wieder die entscheidende Frage stellt: Schaffe ich es überhaupt?

Mag einen der Barkley noch so sehr faszinieren – es geht nicht darum, einem Rennen hinterherzujagen, dessen Anforderungen weit über den eigenen Fähigkeiten liegen. Finde Dein Rennen, Deinen Barkley und stell dich der Herausforderung. Der Kampf gegen den DNF mag hart sein. Es mag demütigend sein, vor Dir selbst und anderen zuzugeben: Ich habe die Cutoff-Zeit nicht geschafft. Wenn Du aber den Ritt auf der Klinge Deiner eigenen Fähigkeiten wagst, dann hast Du die Möglichkeit, eine tiefe Zufriedenheit daraus zu schöpfen.

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