Ist Trailrunning ein Sport für Reiche?

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Ein Paar Schuhe, Short und Shirt – mehr braucht es nicht. Trailrunning ist ein einfacher, zugänglicher und kostengünstiger Sport. Ein Mythos? Unser Autor hat andere Erfahrungen gemacht.

Irgendwie blicken wir doch alle gerne schwärmend zurück. Die Erinnerungen an die Zeit, in der uns dieser Sport packte, sind vielleicht nicht mehr frisch, doch verhält es sich ein wenig wie mit einer Tätowierung. Die Farbe hat sich gesetzt und das geschaffene Bild ist beständiger Teil unseres Alltags. So auch der Sport. Doch oft genügt ein nachdenklicher Blick auf unseren Körperschmuck und die Erinnerung an das Gefühl des Stechens und Ratterns der Tattoonadel ist wieder geweckt. Das rhythmische Aufschlagen unserer Laufsohlen auf den Böden der Natur ist unser Rattern. Die Erinnerungen an diese ersten Schritte gehen unter die Haut und begleiten uns bestenfalls das ganze Leben.

Doch fernab aller Romantisierung habe ich mit dem Laufsport nicht angefangen, weil ich all das bereits erwartet habe. Ich ahnte nicht, was für einen Stellenwert dieser Sport in meinem Leben erhalten würde. Ich wollte mich lediglich bewegen. Und das bestenfalls, ohne mich in Unkosten zu stürzen. Welcher Sport eignet sich da besser als der Laufsport? „Du brauchst nichts außer ein Paar guter Laufschuhe und einer kurzen Hose”, ist einer der meistgehörten Sätze in meinem Umfeld. Kurze Hosen hatte ich, irgendwelche unförmigen Shorts aus der alten Fußballwelt, aber immerhin, und da mein Budget als junger Berufseinsteiger begrenzt war, reduzierte ich auch das Investment in Laufschuhe maßgeblich. Meine Füße haben es mir nicht gedankt.

Von Zugänglichkeit zur Unzulänglichkeit

Die Füße sind unser Basiswerkzeug. Netterweise im Preis des Lebens direkt inbegriffen. Alles, was zusätzlich noch hinzukommt, ist Bonus – könnte man meinen. Der Blick in die Reihen eines prall gefüllten Startblocks bei den geläufigen Trailwettkämpfen hinterlässt ein ganz und gar anderes Bild. Federleichte Laufstöcke, Laufwesten mit High End-Potenzial, Schuhe mit Carbonplatten und Verpflegung im Einkaufswert eines durchschnittlichen Wocheneinkaufs. In meiner geistigen Excel-Tabelle überschlage ich die Ausgaben und merke, die getragene Kleidung – von der Regenjacke mit der Wasserfestigkeit Sturmflut einmal ganz zu schweigen – habe ich nicht einmal eingepreist. Vielleicht liegt es an fehlenden BWL-Kenntnissen, aber mir wird fast schon ein wenig schwummrig bei dem Gedanken, welche Unsummen ich selbst in erschreckend beständiger Regelmäßigkeit in diesen Sport versenke.

Ein typisches Starterfeld mit viel High End-Equipment. Foto: UTMB

Irgendwo bin ich verloren gegangen auf dem Weg von Zugänglichkeit in Richtung Unzulänglichkeit. Wenn ich meinen Blick durch Reihen nahezu grotesk gut ausgerüsteter Sportler und Sportlerinnen schweifen lasse, erweitert sich mein Horizont und es setzt sich eine Selbsterkenntnis. Ich bin Teil einer elitären Meute. Ein privilegierter Kreis jener, die es sich leisten können den Gegenwert eines Kleinwagens in ihr Sportequipment zu stecken. Im Grunde genommen gut investiertes Geld. Doch von einer Zugänglichkeit kann nicht mehr die Rede sein.

Wer Euros zwei Mal umdrehen muss, wird sich eine Umrundung des Lieblingsbergs wohl kaum leisten können. Denn selbst wer die Lauffreude in sich trägt, die Einstiegshürde in die Welt der Trails befindet sich leider nicht auf dem öffentlichen Sportplatz, sondern trägt ein dickes Preisschild. Wer die nötigen Ressourcen mitbringt, nimmt die Hürde, als wäre es der kostenlose Kuchen im Büro: Mit einer großen Selbstverständlichkeit.

Darf man auch günstig?

Nun, so ganz stimmt es doch nicht. Es ist durchaus so, dass es auch kleine Preisschilder in unserem großen Sport gibt. Gerade die Produktwelt der bekannten Decathlon-Kette bietet Equipment speziell für kleinere Geldbeutel. Sicher drängen sich bei Sportdiscountern noch mehr als bei anderen Ausrüstern moralische Fragen auf. Oft frage ich mich, wer jetzt genau für meine eigene Ersparnis zahlt. Vermutlich ist es ein Sparstrumpf gefüttert aus Umweltschäden und fragwürdigen Arbeitsbedingungen, die meine Kompressionssocken subventionieren. Aber fernab von Ethik und Moral, so richtig inkludieren wird mich meine Discounter-Ausrüstung oft nicht. Ein Beispiel gefällig?

" Im Startblock wurde ich auf meine Laufweste und deren No-Name-Herkunft angesprochen. Eigentlich eine Lappalie. Auch ich war mit meiner läuferischen Biografie zu diesem Zeitpunkt ein No-Name. Ich fühlte mich entblößt als derjenige, der eben keine 120€ für eine Laufweste ausgeben wollte. Oder konnte. "

Daniel Arnold

Meinen ersten Ultramarathon lief ich im Sommer 2017. 80 Kilometer beim Fidelitas Nacht-Marathon (FiNaMa), einem Landschaftslauf bei Karlsruhe. Ich dachte, ich hätte mich unauffällig eingefügt zwischen den Sportlerinnen und Sportlern. Alle bereit Großes zu leisten. Doch meine Discounter-Laufweste und ich waren nicht ganz Teil dieser Welt. Wir leisteten uns nichts Großes. Im Startblock wurde ich auf meine Laufweste und deren No-Name-Herkunft angesprochen. Eigentlich eine Lappalie. Auch ich war mit meiner läuferischen Biografie zu diesem Zeitpunkt ein No-Name. Ich fühlte mich entblößt als derjenige, der eben keine 120€ für eine Laufweste ausgeben wollte. Oder konnte. Ich bin absolut sicher, dass von dem Gesprächspartner kein bewusster Wunsch ausging mich auszuschließen. Und doch fühlte ich mich entlarvt als ein Athlet mit mangelnder Kaufkraft, eine Art Anomalie, die es zu erforschen gilt.

Unser Autor Daniel Arnold beim Trail Marathon Heidelberg. Foto: Privat

Vereine statt LinkedIn-Profile?

Und so steht der Startblock dann da. Ein geschlossener Kreis mit LinkedIn-Profilen und Jobs, die man nicht in einem angemessenen Zeitrahmen erklären kann. Männer und Frauen, die etwas zu große Ausrüstungskisten in ihre etwas zu großen Autos tragen. Versteht mich nicht falsch, sie alle haben ein Recht genau dort zu stehen und ein Teil dieser Welt zu sein. Was jedoch fehlt, ist Diversität. Wo sind die Menschen mit einer großen Begeisterung, aber einem kleinen Bankkonto?

Die Ursachen sind sicher mannigfaltig. Politik und Gesellschaft schließen leider eine Vielzahl von Menschen aus unserer Welt aus. Ein unsichtbarer Stacheldraht am Zugang zu unseren liebsten Trails. Bevor wir Fahrt aufnehmen können, kommen wir bereits ins Stolpern.

Vielleicht braucht es gezielte Programme und Förderungen? Vielleicht braucht es Unterstützung von Unternehmen und Ausrüstern? Vielleicht braucht es auch Sportvereine gezielt für das Trailrunning, um jungen Menschen Zugang zu diesem Sport zu bieten? Das klassische Vereinsleben wird oft belächelt, doch kann in den Sportheimen landesweit ein großer Inklusionsbeitrag geleistet werden – in jedem Sinne.

Ich glaube an die Trailrunningcommunity. Hier ist der Zusammenhalt größer als in der Welt der Straßenläufe. Wenn jemand stürzt, reichen wir die Hand und helfen auf. Lasst uns noch Außenstehenden die Hand reichen, sodass wir bald gemeinsam laufen (und stürzen) können.

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