GTNS-Auftakt: Hochstaufen Run oder vielleicht eher Skyrun?

Zwei Streckenrekorde, ein nationales, aber gleichzeitig sehr dichtes Elitefeld bei Männern und Frauen und ein moderner Skyrun im tiefen Berchtesgadener Land – das war der Auftakt der Golden Trail National Series.

Im Berchtesgadener Land, dem süd-östlichsten Zipfel Deutschlands, ist man stolz auf die heimische Bergwelt. Niemand, der auch nur ein paar Tage zwischen Watzmann, Königssee und der mondänen Salz-Stadt Bad Reichenhall verbracht hat, könnte dies nicht nachvollziehen. Gerade für Trailrunner ist das Gebiet ein einziger großer Spielplatz. Dass man über die Berge laufen kann, und das noch in Halbschuhen, kurzer Hosen und Windjacke, ist allerdings eine Geschichte, die man dem traditionsbewussten und konservativ verorteten Berchtesgadener erst behutsam näherbringen musste. Philipp Reiter und auch Anton Palzer sind inzwischen zwei Instanzen im Trail- bzw. Radrennsport. Die beiden Ausnahmeathleten stammen aus dem Berchtesgadener Land und sind, obwohl sie durch den Sport viel in der Welt herumkamen, noch immer tief verwurzelt in ihrer geliebten Heimat. Beide mussten in ihren ungestümen Jugendzeiten aber auch viel Kritik in eben jener Heimat einstecken, wenn sie den Watzmann-Grat oder die Watzmannostwand in Laufschuhen und Rekordzeit absolvierten.

Lange Zeit gab es mit Ausnahme der 4-Trails, die 2015 einmalig in der Region gastierten, kein Trailrunning-Rennen im Berchtesgadener Land. Vor zwei Jahren wurde dieser Missstand endlich aus der Welt geräumt. Das Team um den schon angesprochenen Philipp Reiter und Szene-Ikone Steve Auch schafften ein neues Eventkonzept, welches Tradition und Trailrunning-Spektakel in Perfektion vereinen sollte. Ein Straßenlauf, welcher unter dem Namen des Rupertusthermenlaufs schon seit 2007 existierte, wird ergänzt durch einen Trailrun über den Hochstaufen. Garniert wird das Ganze mit einem Filmfestival und einer Abschlussparty mit bayrischem Live-Reggae und fertig ist der Alpenstadt City und Trail in Bad Reichenhall.

Hochstaufen (Sky)Run © Philipp Reiter

18,7 Kilometer und 1350 Höhenmeter sind die nackten Daten des Hochstaufen Runs. Bis hierhin deutet noch nichts darauf hin, dass sich hinter dem Namen City und Trail ein waschechtes Skyrace verbirgt. Mit dem Start im Zentrum von Bad Reichenhall, dem steilen Kraxel-Anstieg über den „Stoananen Jaga“ zum Hochstaufen-Gipfel, dem technischen Grat-Abschnitt sowie dem trailigen Downhill ist dieses Rennen vielleicht das anspruchvollste Trailrennen in Deutschland. Die Veranstalter tun gut daran, auch in diesem Event abzubilden, was das Berglaufen im Berchtesgadener Land so besonders macht. Unbändige Schönheit, aber auch forderndes und abschüssiges Gelände. Durch die jeweils drei Kilometer langen Flachpassagen am Anfang und Ende des Rennens ist beim Hochstaufenrun am Ende aber der komplette Trailläufer gefragt.

Das trifft sich gut. Den komplettesten Trailläufer und die kompletteste Trailläuferin sucht nämlich auch die Golden Trail National Series, dessen Auftakt dieses Rennen über den Hochstaufen war. Mit seinen knapp 20 Kilometern ist es das mit Abstand kürzeste und wohl auch rassigste Rennen der Serie. Vor allem in der Tiefe war der Lauf dementsprechend hochkarätig besetzt. Neben den vielen Läufern und Läuferinnen des Team Salomon, die an diesem Wochenende ihr Season Kick Off-Teamevent in Bad Reichenhall veranstalteten, waren auch starke Athleten und Athletinnen anderer Marken am Start. Ebenso aber auch, und das erfreut besonders, neue junge Gesichter, die noch keinem Markenteam angehören, sich aber dennoch weit vorne in der Ergebnisliste platzierten.

City & Trail 19 km (Herren)
PlatzNameZeit
1Marc Dürr1:49:39
2Hans-Peter Innerhofer+02:31
3Lukas Gasser+02:58
4Dominik Hohenleitner+05:58
5Christoph Lauterbach+06:00
6Dominik Matt+06:38
7Johannes Nussbaumer+06:50
8Raphael Rakut+07:24
9Patrick Ramoser+08:41
10Jan Peterzelt+08:55

Am Hochstaufenhaus, nur wenige Meter unter dem Gipfel warten wir auf die ersten Läufer und Läuferinnen. Die Bedingungen sind perfekt. Nach viel Regen am Vortag lacht die Sonne zwischen wenigen Wolken hervor. Die Temperaturen aber sind mäßig. Der „Stoanane Jaga“, den wir soeben selbst passierten, ist ein extrem steiler Steig, auf welchem man sich mehr auf allen vieren als laufend fortbewegt. Ein Weg ist nur teilweise erkennbar, sodass sich einen Vorteil verschafft, wer mit guten Orientierungsfähigkeiten bzw. Ortskenntnis ausgestattet ist. Als erster kommt uns Marc Dürr über die Felsen entgegen gekrabbelt. Der Allgäuer, letztes Jahr noch auf Platz zwei, ist vor wenigen Wochen erst von den Tourenskiern gestiegen, scheint die kurze Vorbereitungszeit aber optimal genutzt zu haben. Im letzten Jahr wurde er noch Zweiter hinter dem Österreicher Hans-Peter Innerhofer, dieses Jahr weiß er genau, wo er einen Unterschied machen kann: Am Berg! „Im Flachen und zu Beginn des Berges konnte ich ein Glück dran bleiben. Umso länger der Berg wurde, umso mehr konnte ich mich absetzen“, erzählt uns der schmale Läufer mit Schnauzbart im Zielinterview. Mit viel Geschick und Können drückt er sich die Felsen hoch an uns vorbei und findet sogar noch die Puste, um sich bei uns für die Anfeuerungsrufe zu bedanken.

Lukas Gasser (Scarpa) und Vorjahressieger Hans Peter Innerhofer (Salomon) folgen knappe zwei Minuten später gemeinsam. Nachdem der höchste Punkt am Hochstaufenhaus überschritten ist, zeigt der Südtiroler gleich, wo seine Stärken liegen, nämlich im technischen Downhill. HP Innerhofer muss etwas abreißen lassen, was ihn aber nicht beunruhigte, wie er später berichtete: „Ich habe Lukas laufen lassen im schwierigen Gelände, wohl wissend das mein Gelände nur etwas weiter unten kommen wird. Im Technischen fehlte mir am Anfang der Saison noch etwas das Vertrauen.“ Gesagt getan, im Ziel läuft der Pinzgauer nur wenige Sekunden vor seinem Südtiroler Konkurrenten als Zweiter ein. Marc Dürr gewinnt in neuer Streckenrekordzeit und sichert sich somit die erste Führung im Gesamtranking der Golden Trail National Series. Der 30-jährige Dominik Hohenleitner beweist seine dieses Jahr extrem starke Form und läuft nach Siegen beim Gapa- und Chiemgau Trail auf Platz vier. Kurz vor Routinier und Brooks Athlet Christoph Lauterbach. Es ist insgesamt extrem eng. Die Top Ten trennen nur 10 Minuten. Hinter den schon erwähnten Namen platzieren sich mit Dominik Matt und Johannes Nussbaumer zwei österreichische Talente, mit Patrick Ramoser ein Italiener sowie mit Raphael Rakut und Jan Peterzelt zwei sehr vielversprechende Nachwuchs-Athleten aus Deutschland.

City & Trail 19 km (Damen)
PlatzNameZeit
1Elise Poncet02:06:26
2Anna Plattner+02:41
3Silvia Schwaiger+03:46
4Sarah Kistner+10:30
5Isabell Speer+12:01
6Karin Hahn+16:50
7Nadja Faessler+18:03
8Caroline Ulrich+19:03
9Josephine Meissner+19:23
10Lisa Wimmer+19:53

Zurück zum Gipfel. Die mit Philipp Reiter liierte Elise Poncet erreicht als Erste das Hochstaufenhaus. „Eigentlich ist der Uphill nicht meine große Stärke. Aber ich mag das Technische und konnte mich dort von den Konkurrentinnen absetzen“, erzählt uns die Französin im Zielinterview. Sie verteidigt die Führung bis ins Ziel und feiert ihre Streckenrekordzeit in ihrer neuen Zweit-Heimat. Die Österreicherin und ehemalige Mountainbikerin Anna Plattner ist ebenfalls vertraut mit alpinem Gelände und erreicht sowohl den höchsten Punkt als auch das Ziel auf Platz zwei. Die in Tirol lebende Slowakin Sylvia Schwaiger bringt viel Speed mit und beweist, dass sie auch auf den kurzen Distanzen mit den deutlich jüngeren Konkurrentinnen mithalten kann.

Knapp am Podium vorbei schrammt unsere Sarah Kistner (zum Podcast Interview), zeigt sich im Ziel aber sehr zufrieden mit diesem Ergebnis: „Ich habe es mir sehr gut eingeteilt und hab mich vom hohen Anfangstempo nicht verleiten lassen. Selbst das Technische bergauf hat mir sehr viel Spaß bereitet, bergab nicht unbedingt meine Stärke, konnte ich meinen Platz halten. Ich habe mir heute die Top Ten vorgenommen. Dass es nun in diesem superstarken Feld zu Platz vier reichte, macht mich sehr happy.“ Wir sind gespannt, wie sich Sarah bei den nächsten deutlich laufbareren Rennen der Serie schlagen wird. Die junge Isabell Speer vom Team Salomon, die Chiemgauerin Karin Hahn und die drei starken Schweizerinnen Nadja Faessler, Caroline Ullrich und Josephine Meissner sowie Lisa Wimmer aus München komplettieren die Top Ten. Auch bei den Damen erfreut die Dichte und das sehr hohe Niveau.

Sieger und Siegerin Marc Dürr und Elise Poncet

Die Golden Trail National Series stellt schon beim Auftaktrennen unter Beweis, dass sie auch in ihrem dritten Jahr die perfekte Bühne für alle schnellen Nachwuchsathleten und -athletinnen aus dem DACH Raum ist. Mit wem wir auch sprechen an diesem Wochenende, alle zeigen sich erstaunt und erfreut über diesen sportlich hochkarätigen Wettstreit. Wer hier in die Top Ten laufen will, muss diesen Sport mindestens semi-professionell bestreiten. Und das ist dann wohl doch eine neue Dimension, in der dieser Sport nun auch auf nationaler Ebene durchdringt. Dass man den Hochstaufen vom Zentrum der Alpenstadt Bad Reichenhall in unter zwei Stunden überrennen kann, ist wohl auch für die bergerfahrenen und bergverliebten Berchtesgadener eine immer noch schier unvorstellbare Geschichte.
Das Event City und Trail, welches nur unter Einbindung zahlreicher lokaler Helfer und Helferinnen, unter anderem auch der mit 35 Mann vertretenen Bergwacht funktionierte, zeigt einmal mehr, dass der Trailrunningsport mehr ist als die Extravaganz einiger verrückter Halbschuhträger. Professionell umgesetzt von szenekundigen Personen wie Philipp Reiter und Steve Auch aber vor allem unter Einbeziehung der ortsansässigen Bevölkerung und Organisationen wie Tourismus, Bergwacht und dem Verein TSV Bad Reichenhall wird dieses Event hoffentlich ein Vorbild sein für weitere Formate dieser Art. In der Heimat der Siegerin Elise Poncet würde man es Skyrunning nennen, hier sagt man Hochstaufenrun. Unter welchem Namen auch immer, klar ist, dieser Sport braucht mehr dieser kurzen, spektakulären und hochkarätig besetzten Rennen in den deutschen Alpen.

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