„Ich muss oft unpopuläre Entscheidungen treffen“ – Martin Hafenmair im Interview

Wie entsteht eine Wettkampfsstrecke? Wie schafft man die schwierige Balance zwischen läuferischem Anspruch und Sicherheit? Wir haben mit dem Streckenchef des Veranstalters Plan B, Martin Hafenmair, gesprochen, der für die Streckenplanung des Transalpine Runs und andere Plan B-Events verantwortlich ist.

Christian von Alles Laufbar: Martin, der diesjährige Transalpine Run steht bevor. Mal eine recht allgemeine Frage zum Einstieg: Wie entsteht eigentlich so eine Rennstrecke?

Martin Hafenmair: Ich habe vor sieben Jahren übernommen. Als ich anfing, habe ich den Mund ziemlich vollgenommen und habe gesagt, es wird jedes Jahr neue Strecken geben, ohne mir eigentlich über die Konsequenzen im Klaren zu sein. Ich bin als Bergführer ziemlich viel unterwegs und kenne sehr viele Ecken. Tatsächlich entstehen die meisten Ideen im Winter, wenn ich auf Skitour bin. Da suche ich mir immer ziemlich einsame Gebiete aus und da kommen dann die Ideen, wie man was verknüpfen kann. Letztlich habe ich oft wilde Ideen und dann kommt der große Hammer, weil wir brauchen natürlich für unsere Läufe immer Etappenorte. Dann gehe ich mit Heini (Anm.d.Red.: Heini Albrecht, Chef der PLAN B Event Company) in den Austausch, ob das möglich ist. Ich bin da in der Regel ziemlich hartnäckig, weil ich eine Vision habe.

Wie lautet die?

Meine Vision ist, den Läufern, egal ob es Wiederholungstäter sind oder neue, eine Abwechslung zu garantieren und sie nicht nur irgendwie über die Alpen zu bringen. Es soll tatsächlich alpin sein. Nur weil man irgendwo oben drüber läuft, ist es noch nicht alpin. Da habe ich einen gewissen Anspruch an manche Streckenabschnitte. Das alles zusammenzusetzen ist ein ziemlich langwieriger Prozess. Wir arbeiten immer so eineinhalb, zwei Jahre im Voraus.

Das heißt, du kennst jeden Meter der Strecke schon persönlich, oder wie muss man sich das vorstellen?

Ja, den Anspruch habe ich an mich. Wenn mich ein Läufer fragt oder kritisiert, dann muss ich jeden Meter der Strecke kennen. Ich laufe jede Etappe zwei oder dreimal ab, bis die tatsächlich steht. Das Schlimme ist, wenn ich unterwegs bin, dann sehe ich ja wieder neue Optionen. Ich bringe mich so manchmal selber in Schwierigkeiten. Ich könnte mir Zeit sparen. Aber ich mache das gern und es ist tatsächlich eine Passion von mir.

Wie schaffst du es, die unterschiedlichen Leistungsniveaus und Erwartungen der Teilnehmenden zusammenzubringen?

Am Anfang war das für mich schwierig, weil ich mich mit den klassischen Läufern nicht so identifizieren konnte. Ich bin zwar selbst Läufer, aber für mich stand immer das Erlebnis im Vordergrund, nicht die Leistung. Ich suche den Austausch mit den Leuten. Ich bin immer greifbar. Mich kann jeder anrufen, mich kann jeder kontaktieren. Ich glaube, das macht mich ziemlich glaubwürdig. Wenn ich den Schwächeren dann sage, dass am nächsten Tag eine hammerharte Etappe auf sie wartet, sie das aber garantiert schaffen … dann wird schon Vertrauen aufgebaut und ich kann die Leute schon zu Leistungen animieren, die sie sonst vielleicht nicht gebracht hätten. Was vorne für Zeiten gelaufen werden, das finde ich unglaublich. Aber die Leute sind cooler geworden, irgendwie.

Martin Hafenmair versprüht gute Laune im Startbereich. Foto: Privat

Wie meinst du das?

Die kümmern sich tatsächlich oder sorgen sich auch während des Rennens. Wenn das Wetter zum Beispiel schlecht wird und die ersten oben ankommen und sich mir gegenüber äußern, dass sie sich fragen, wie die Langsameren das heute schaffen sollen. Ich finde, das spricht für die Community.

Da lastet schon etwas Druck auf deinen Schultern, oder?

Ja, aber ich mache das ja nicht, um Selbstbestätigung zu kriegen. Ich bin eine Art Dienstleister für Plan B und die Athleten. Klar, am Ende des Tages trage ich die Verantwortung für alles. Wenn irgendwas passiert, dann bleibt nur einer übrig, auf den man zugreift und das bin ich. Dessen bin ich mir schon bewusst und deswegen treffe ich oft unpopuläre Entscheidungen. Aber wenn ich solche Entscheidungen treffe, dann mache ich das immer für alle und speziell auch für die Schwächeren.

Ist es nicht eigentlich verwunderlich, dass bei einem so langen Event über ein solches Terrain nicht mehr Unfälle passieren?

Ja, da bin ich völlig bei dir. Es sind ja schon Massen, die wir da über die Alpen bewegen. Und eigentlich muss man sich schon damit auseinandersetzen, dass da mal was passiert. Jeder von uns, der läuft, ist auch schon gestolpert und denkt sich: „Wow, das ist jetzt noch mal gut gegangen.“ Wir haben bis jetzt Glück gehabt. Es kann trotz des besten Sicherheitskonzeptes immer etwas passieren, ohne dass das direkt etwas mit unserer Streckenführung zu tun hat.

Und wenn etwas passiert, wird von Trailrunning als gefährlicher Extremsport berichtet…

Wenn sich auf dem gleichen Weg am Tag vier Wanderer verletzen, dann ist das manchmal nicht mal eine Randnotiz in den Medien. Aber sobald du eine Veranstaltung machst, bist du gleich vorne mit dabei. Deswegen wollen wir das natürlich ausschließen, indem wir wirklich ein einzigartiges Sicherheits- und Rettungskonzept haben.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wir haben zum einen das Streckenteam, das die Strecke absichert und markiert. Dann gibt es zusätzliche Absicherungen. Ich war jetzt zum Beispiel letzte Woche unterwegs auf ein paar Streckenabschnitten für dieses Jahr. Da muss noch ein bisschen nachgearbeitet werden. Dafür schicke ich dann Leute von mir hin. Das machen wir alles selber. Da wird der Weg gerichtet oder Schneefelder werden freigegraben. Es werden einen Tag vor dem Rennen Fixseile angebracht, an Passagen, wo ich das für notwendig halte. Mir ist bewusst, dass wir Leute am Start haben, die noch nie in so einem Terrain unterwegs waren. Zusätzlich steht an diesen Stellen Personal. Wir haben parallel ein Medical Team mit ungefähr 40 Personen dabei, die die Läufer nicht nur im Start -und Zielbereich versorgen können, sondern die uns auch auf der Strecke unterstützen. Die werden täglich gebrieft und an den Stellen eingesetzt, die ich für kritisch halte.

Inwiefern ist die Bergwacht involviert?

Beim Transalpine Run nur dann, wenn wir einen Notfall haben. Das ist beim Zugspitz Ultra Trail zum Beispiel anders, wo ja die Bereitschaften, die rund um die Zugspitze sind, uns unterstützen. Aber beim Transalpine Run managen wir alles selber. Es sei denn, wir brauchen einen Hubschrauber oder eine technische Rettung aus dem Gelände.

Wie oft musste in deinen sieben Jahren als Streckenchef des Transalpine Runs der Helikopter kommen?

Das kann ich dir ziemlich genau sagen. Dreimal.

Das ist echt selten, oder?

Ja, ist es wirklich. Wobei ich sagen muss, das ist auch Schicksal. Ich möchte jetzt nicht behaupten, das liegt allein an unserem mega Sicherheitskonzept. Ich hoffe, es liegt auch daran. Aber ich frage mich als Bergführer oft: Habe ich jetzt halt wirklich alles richtig gemacht oder habe ich bloß wieder mal Glück gehabt? Du hast natürlich das Gefühl oder du bist dir sicher, du hast alles richtig gemacht, aber du kriegst keine direkte Rückmeldung vom Berg, der dir sagt: „Es war alles gut.“

Martin Hafenmair inmitten von Teilnehmenden auf der Strecke. Foto: Privat

Du hast das Wort „Schicksal“ benutzt. Bist du als Bergmensch auch so ein bisschen abergläubisch manchmal?

Nein, ich bin schon absoluter Realist.

Es gibt keine Rituale, bevor eine Etappe losgeht? Du schickst kein Stoßgebet Richtung Berge?

Nein, das gibt’s nicht. Aber wenn ich am Start bin, dann gibt es immer eine herzliche Umarmung mit Heini. Das machen wir seit sieben Jahren vor jeder Etappe. Das ist schon eine Art Ritual.

Das Wetter spielt im Trailrunning allgemein schon eine große Rolle. Bei einem Etappenlauf über eine ganze Woche ist die Wahrscheinlichkeit auf schlechtes Wetter zu stoßen, ja deutlich höher, oder?

Ja, sehr. Ein Beispiel vom letzten Jahr: Die Etappe von Klosters nach Scuol. Da war der Wetterbericht schon labil, aber es hieß, das Gewitter kommt am Mittag. Da habe ich gedacht: „Okay, wir starten einfach in der Früh um 5 Uhr. Dann bringe ich zumindest alle über den ersten Pass.“ Und dann habe ich morgens um drei auf dem Balkon vom Hotel gestanden und habe das Wetterleuchten bereits am Himmel gesehen. Ich bin dann auf den Berg raufgelaufen und habe mir das von oben angeschaut. Ich habe von oben Heini angerufen und habe gesagt: „Wir laufen heute keinen Meter auf dieser Strecke. Das ist einfach zu heiß.“ Es werden schon klare Entscheidungen getroffen, die Plan B einen Haufen Arbeit bereiten, auch einen Haufen Geld kosten, weil du kannst natürlich nicht plötzlich zu den Teilnehmern sagen: „Jetzt kauft euch bitte ein Zugticket!“

Gibt es denn immer einen Plan B?

Wir sind an dem Tag tatsächlich eine alternative Route gelaufen, die am Nachmittag gestartet ist, sodass man überhaupt etwas laufen konnte. Für viele Etappen gibt es Alternativrouten, die aber natürlich nur dann gelaufen werden, wenn das Wetter es zulässt. Wir sprechen nicht von Regen oder Schneefall, aber sobald es gewittert, schicke ich keinen Athleten irgendwo raus. Nicht unter meiner Verantwortung. Wie willst du das steuern? Das Feld zieht sich so weit auseinander. Wenn da jetzt 50 Leute starten würden und die sind alle gleich schnell, dann kann ich das takten. Aber bei so einem riesen Tross, wo die Leistungsdichte so weit auseinander ist. Das geht einfach nicht.

Martin Hafenmair. Foto: Privat

Wo bekommst du denn so grundsätzlich die Wetterinfos her? Also wenn ich hier meine Wetter-Apps öffne, dann steht in jeder etwas anderes.

Da gebe ich dir völlig recht. Mit Wetter-Apps arbeite ich nur dann, wenn das Wetter gut ist. Da sind sich dann plötzlich alle einig. (lacht) Ich arbeite viel mit GeoSphere Austria. Wenn wir in die Schweiz gehen, dann mit MeteoSwiss. Da habe ich Kontakte, die ich anrufe und eine direkte Einschätzung bekomme. Das sind zum Teil sehr lange Telefonate. Ich habe zudem als Bergführer auch eine gewisse meteorologische Ausbildung genießen dürfen. Das hilft mir schon. Ich kann es oft nicht belegen, aber es gibt Lebenssituationen, in denen das Bauchgefühl gar kein schlechter Ratgeber ist.

Würdest du sagen, liegst damit meistens richtig im Nachhinein?

In der Regel liege ich schon richtig, aber im Zusammenspiel mit den genannten Wetterstationen. Das sind die Profis. Letztlich bewegen wir uns in der Natur und so müssen wir auch agieren. Uta (Anm.d.Red.: Uta Albrecht, Chef der PLAN B Event Company) schlägt immer die Hände über den Kopf zusammen, wenn ich auf sie zugehe. Dann weiß sie genau, dass ich ihr sagen will, dass wir morgen zwei Stunden früher starten. Und das ist natürlich ein logistischer Wahnsinn.

Gehen wir weg vom konkreten Wetter, sondern sprechen mal über das Gesamtklima. Meinst du, dass der menschengemachte Klimawandel mittel- und langfristig Einfluss auf die Planungen von Rennstrecken haben wird?

Ein klares Ja. Das hast vielleicht mitgekriegt, dass wir dieses Jahr beim Transalpine Run erstmalig Etappen mit ausgewiesener Helmpflicht haben. Es ist wirklich erschreckend, wie die Berge in Bewegung sind und wie labil alles wird. Wir haben jetzt von sieben Etappen vier, wo die Leute auf Abschnitten einen Helm brauchen, weil das Gestein so lose ist. Das liegt am kaum noch vorhandenen Permafrost in den Höhenlagen. Das hat garantiert mit der Klimaveränderung zu tun und wird uns sicherlich langfristig beschäftigen und uns auch in gewissen Momenten massiv einschränken.

Mal etwas ganz anderes. Was sagst du den Teilnehmenden, die sich darüber ärgern, dass es doch wieder etwas mehr Höhenmeter wurden als ursprünglich auf dem Tagesplan standen? Man munkelt, das kommt schon mal vor.

Ja, die Kritik höre ich immer wieder. Ich habe mich lange mit diesem Thema auseinandergesetzt, weil ich ja nicht anders laufe als sie. Ich verwende die gleichen Uhren, die gleichen Geräte sind im Einsatz. Ich habe sogar mit einem Kartografen gesprochen. Es handelt sich meistens um Strecken mit vielen Steilaufstiegen. Da kommen die GPX-Geräte nicht mehr mit. Am Ende des Tages ist es so: Ich verstehe die Leute zwar, aber man muss sich ein bisschen freimachen von diesem ganzen digitalen Wahnsinn, wenn man da draußen unterwegs ist. Wenn einer wirklich am Limit ist, dann verstehe ich das. Aber ich würde mir manchmal auch wünschen, dass die Leute nicht immer nur auf ihre Uhren schauen, sondern auch mal ins Gelände, weil das ist wunderschön.

Danke für das Gespräch.

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