Trailrunning Österreich: Potenzial für großen Sport

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Profisport Trailrunning in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im zweiten Teil schauen wir nach Österreich. Die Alpenrepublik bringt prinzipiell alle Voraussetzungen mit, um den professionellen Laufsport am Berg zu beflügeln.

Das Niveau des Trailrunning Elitesports steigt von Jahr zu Jahr. Auch die Dichte nimmt zu. Besonders Nationen wie Frankreich, Spanien und die USA profitieren von einer großen Breite an Nachwuchsathleten. Im deutschsprachigen Raum werden kleinere Brötchen gebacken. Wir wollen den Profisport Trailrunning in den drei Nationen Deutschland, Österreich und Schweiz genauer beleuchten. Wie ist der Sport in den jeweiligen Ländern organisiert? Welche Förderungsstrukturen gibt es? Wer hat die größten Talente? Dafür haben wir mit Verantwortlichen und Profi-Trailrunnern geredet. 

Gastgeber-Weltmeister

Innsbruck, Juni 2023. Auf dem Elfer hoch über dem Stubaital und noch höher über Innsbruck steht Andrea Mayr ganz oben auf dem Siegerpodest und reißt ihre langen, von Muskeln und Sehnen überzogenen Arme in die Höhe. Soeben ist die 43-Jährige Weltmeisterin im Vertical geworden. Es ist schon ihre sechste Goldmedaille bei einer Berglauf-WM. Die erste allerdings bei einer kombinierten Berg- und Traillauf-WM. Innsbruck und das Stubaital waren im Sommer 2023 erstmalig Gastgeber dieses neuen Formats namens WMTRC Innsbruck/Stubai. Jeder, der dabei war, aber auch erstmalig alle Zuschauer, welche die Wettkämpfe von zu Hause mitverfolgten, werden sich erinnern: Es war ein echtes Berglauf- und Trailrunning-Fest. Großer Sport verpackt in einem hochklassigen Rahmen. Es war Andrea Mayr, die auf dem Landestheater Platz in Innsbruck die rot-weiß-rote Fahne schwenkte, während sie die einzige Goldmedaille für Österreich entgegennahm. Inoffiziell könnte man Österreich nach diesen vier Wettkampf-Tagen einen weiteren Titel zusprechen: den des Gastgeber-Weltmeisters. Schließlich war diese WM auf diesem Niveau und mit dieser Reichweite ein sehr erfreuliches Novum für diesen Nicht-Olympischen-Sport.

Vertical und Gastgeber-Weltmeister. Beide Titel dürften für Österreich in den nächsten Jahren nur schwer wiederholbar sein. Andrea Mayr wird eine Lücke hinterlassen, wenn das Ende ihrer ohnehin schon überaus langen und erfolgreichen Karriere erreicht ist. Bei der WM in Innsbruck gab es keine weitere Medaille für Österreich. Ja, selbst nah dran war keiner der Athletinnen und Athleten aus dem Alpenland. Obwohl es in Österreich sehr starke Trailrunner gibt, klafft doch eine Lücke zur internationalen Spitze.

Andrea Mayr gewinnt Vertical Gold © Roest Media

Berglauf, Verband und Referent

Der Berglauf Sport in Österreich hat eine lange Tradition und ist dementsprechend historisch in Verband und Vereinen verankert. Beim Trailrunning konnte der Aufbau von Strukturen und Organisationen nicht mit dem rasanten Wachstum des Sports mithalten. Lange Zeit wurde diese vermeintliche Nischensportart vom Verband nicht groß beachtet. Raum, den andere ausnutzen. Der Läufer und Event-Veranstalter Thomas Bosnjak gründete 2014 einen eigenen Trailrunningverband. Die Austrian Trailrunning Association (kurz ASTA) wurde allerdings von der österreichischen Trailrunning-Szene nur bedingt angenommen. Die Befugnis für offizielle Berglauf und Trailrunning Weltmeisterschaften zu nominieren, lag ohnehin weiter beim ÖLV.

Michael Geisler ist „Trailrunning-Referent“ beim ÖLV. Eine Position, die der Verband erst dieses Jahr neu schuf. Bisher gab es in der Person von Helmut Schmuck (neben Andrea Mayr eine weitere Legende des österreichischen Berglaufs) nur einen „Berglauf-Referenten.“ Sowohl Michael als auch Helmut arbeiten ab sofort ehrenamtlich Seite an Seite. Michael ist ehemaliger Dynafit-Athlet und Top-Trailrunner. Der Tiroler ist seit vielen Jahren sehr engagiert in der Szene unterwegs und kennt sich dementsprechend gut aus. Als Trailrunning Referent ist er der erste Ansprechpartner für alle Trailrunning-Athleten und Athletinnen, die im Nationalteam bei einer EM oder WM starten möchten. Michael wählt seine Worte mit viel Bedacht, als wir mit ihm sprechen. Er erzählt uns, dass dieser Nationalteampool circa 25 Athleten und Athletinnen umfasst. Seit letztem Jahr gibt es jedes Jahr im Herbst ein kostenfreies Trainingslage. Im Frühjahr findet ein weiteres Trainingslager statt. Vor zwei Wochen trafen sich all jene, die voraussichtlich bei der Off-Road Europameisterschaft Anfang Juni in Annecy starten für ein verlängertes Wochenende in Kufstein, um gemeinsam am Fuße des Wilden Kaisers zu trainieren.

" Die entsprechenden Athleten und Athletinnen wissen aber schon seit Anfang des Jahres, ob sie bei der EM starten werden. "

Trailrunning Referent Michael Geisler

„Die offizielle Nominierung durch den ÖLV findet zwar erst Mitte Mai statt. Die entsprechenden Athleten und Athletinnen wissen aber schon seit Anfang des Jahres, ob sie bei der EM starten werden“, erklärt uns Michael Geisler. Von Sichtungs- oder Nominierungsrennen im Trailrunning hält dieser nicht viel. Stattdessen stützt er sich bei der Nominierung auf die ITRA-Punkte und die Leistungen in den vergangenen Monaten und Jahren bei den verschiedensten Rennen. Eine kuriose Nominierungsvoraussetzung gibt es aber doch. Alle Athleten und Athletinnen müssen eine 10-Kilometer Bestzeit in der unmittelbaren Vorbereitung vorweisen können, die bei den Männern unter 35 Minuten und bei den Frauen unter 40 Minuten liegt. „Eine hohe Grundgeschwindigkeit ist selbst beim Ultratrail sehr wichtig“, erklärt uns der Trailrunning-Referent. „Außerdem hilft das in der Kommunikation mit dem Verband. Viele können dort mit solchen Zeiten mehr Anfangen als mit abstrakten Trail-Zeiten.“

Das österreichische Nationalteam im Trainingslager in Kufstein © Michael Geisler

Im Nationaldress laufen…

In Österreich ist man stolz, wenn man sein Land bei internationalen Wettkämpfen vertreten kann. Probleme, die Elite-Athleten von einem Start bei EM oder WM zu überzeugen, hat Michael Geisler keine, sagt er.

„Für mich ist das auf jeden Fall eine Ehre, wenn ich mein Land bei einer WM vertreten kann. Events wie die Golden Trail Series oder auch der UTMB dürfen von der Priorität her eigentlich nie über ein WM oder EM stehen“, äußert sich beispielsweise Dominik Matt. Der Tiroler hat in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht und war bei der WM über den Short-Trail bester Österreicher auf Platz 29. Auch bei der EM in Annecy wird er wieder am Start sein. Mit der Unterstützung seitens des Verbands ist er zufrieden. Auch Esther Fellhofer wird bei der EM für Österreich starten, sieht aber noch Optimierungspotenzial: „Momentan ist die Förderung seitens des Verbands nicht wirklich vorhanden und man muss sich selbst um Sponsoren, Trainer und Betreuer kümmern, was ich schade finde. Da ist meiner Meinung noch sehr viel Luft nach oben. Wenn die Förderung vom Verband schwach ist, ist es auch schwieriger, die Begeisterung der Trailläuferinnen für internationale Großevents aufrechtzuerhalten.“ Die Asics-Athletin ist die aktuell wohl stärkste Ultratrail-Athletinnen in Österreich. Besonders auf den ganz langen Kanten fühlt sie sich wohl.

Mit den Innerhofer Brüdern, Manuel und Hans Peter, hat Österreich zwei weitere Athleten, die sehr großes Potenzial besitzen. Beide haben schon bewiesen, dass sie über die kurzen Distanzen international mithalten können. National laufen sie sowieso in ihrer eigenen Liga. Der Zillertaler Andi Rieder ist auch so ein Kandidat mit viel Speed. Auf der Ultra-Distanz war Florian Grasel lange Zeit der beständigste und schillerndste österreichische Athlet. 2018 lief er beim UTMB in die Top Ten. Mit Alex Hutter gibt es auch hier einen Athleten, der das Potential hat, in seine Fußstapfen zu treten. Bei der WM lief der Stubaier auf Rang 20 beim Long Trail.

Dominik Matt, Esther Fellhofer und Johanna Hiemer im rot-weiß-roten Nationaldress © Roest Media

Ein Kompetenzzentrum im Zentrum der Alpen?

„Es wäre schön, wenn wir von dieser WM etwas Nachhaltiges hier in Innsbruck behalten könnten“, äußert sich Alexander Pittl bei der Premiere des neuen Trailrunning TV-Formats namens Uphill. Pittl veranstaltet seit 10 Jahren das IATF und war auch bei der WM OK-Chef. Im Rahmen des ersten ÖLV Trailrunning-Symposiums in Innsbruck, stellte er die Idee eines Trailrunning Competence Centers in selbiger Stadt vor. Dieses soll Elite-Trailrunner in Zukunft eine Struktur bieten: Physiotherapeuten, Ärzte und weitere Infrastruktur sowie Informations- und Wissensaustausch sollen in der Alpen-Metropole an einem Ort gebündelt werden. Schon jetzt sind viele Top-Trailrunner nicht nur aus Österreich in Innsbruck beheimatet. Ein solches Competence Center könnte jene, die bisher alles rund um ihr Training und ihren Profi-Alltag alleine organisieren mussten, entlasten. Vor allem Nachwuchsathleten würden von solch einem Angebot enorm profitieren.

Mit seiner Lage zentral in den Alpen hat Österreich die allerbesten Voraussetzungen, um dem Sport Trailrunning das zu geben, was er verdient: eine große Bühne für großen Sport. In der Vergangenheit schaute man allerdings doch eher ins benachbarte Italien oder in die Westalpen nach Frankreich, um wirklich großen und relevanten Trailrunningsport zu sehen. Die WM in Innsbruck aber setzte ein Ausrufezeichen und könnte der symbolische Beginn einer neuen Trailrunning-Ära in der Alpenrepublik sein. Neben den perfekten geografischen Voraussetzungen hat dieses Land nämlich einen weiteren Trumpf: engagierte Menschen, die gute Ideen und Visionen mitbringen. Die Umsetzung dieser Visionen dürften in der nicht immer einfachen Melange aus privatwirtschaftlichen und verbandlich organisierten Strukturen mit Sicherheit herausfordernd werden. Es könnte eine Weile dauern, aber früher oder später wird der Zeitpunkt gekommen sein: für die erste rot-weiß-rote Goldmedaille in der Post-Andrea-Mayr-Ära.

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