In der ersten Reihe starten, obwohl man niemals um den Sieg laufen wird?

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Die Startaufstellung eines Trailwettkampfs sortiert sich meistens selbstständig, unorganisiert und eigenverantwortlich. Das heißt, frei nach dem Prinzip first come, first served, darf man sich hinstellen, wo man will. Aber wo im Feld ist der individuell angebrachte Platz? Ist es ok, sich ganz vorne einzureihen, auch wenn man weiß, dass man nicht zu den Schnellsten gehört? Oder sollte man seinem Leistungslevel entsprechend von weiter hinten starten? Ein Pro und Contra.

Contra

Wer kennt es nicht? Minuten vor dem Start eines typischen Trailwettkampfs, blicke ich mich um. Bin ich hier richtig? Habe ich mich richtig eingereiht? Sehen diese Trailrunner ganz oberflächlich betrachtet ungefähr nach meinem Leistungsniveau aus? Ja, man sollte Menschen allgemein und Trailrunner im speziellen nicht nach äußeren Merkmalen bewerten. Schnelligkeit lässt sich optisch schwer einschätzen. Oft wird man ja doch eines besseren belehrt. Mindestens ebenso oft aber werden meine angestellte Vermutungen bereits wenige Minuten nach dem Startschuss bestätigt.

Während die Spitzengruppe in Richtung Horizont verschwindet, wird links und rechts laut geschnauft, gehustet, ausgespuckt. Manche Läufer (an dieser Stelle wird bewusst ausschließlich die männliche Form genutzt) versuchen alles, um das angeschlagene, gnadenlos über ihren Verhältnissen liegende Tempo noch ein paar Momente länger durchzuziehen, nur um kurze Zeit später vom Hauptfeld geschluckt zu werden. Während andere, die ebenfalls weit vorne gestartet sind, von Anfang an im gemütlichen Tempo in der Mitte des Weges laufend, sofort links und rechts überholt werden müssen. Ich frage mich: Muss das sein?

" Die eigenverantwortliche, selbstorganisierte Startaufstellung funktioniert in den seltensten Fällen. Viele suchen den für sich idealen Startplatz. Was so viel heißt, wie: So weit vorne wie möglich. "

Christian, der die Nach-vorne-Drängler kritisch sieht

Seinen wir mal ehrlich: Die eigenverantwortliche, selbstorganisierte Startaufstellung funktioniert in den seltensten Fällen. Viele suchen den für sich idealen Startplatz. Was so viel heißt, wie: So weit vorne wie möglich. Unabhängig davon, ob sie damit anderen, schnelleren Teilnehmenden im Weg stehen. Das Eigeninteresse steht über allem. Es gibt zwei mögliche Ursachen dafür. Entweder schätzen die Trailrunner ihr Leistungsvermögen komplett falsch ein. Oder sie kennen ihr Leistungsvermögen und reihen sich trotzdem schambefreit 20-200 Reihen zu weit vorne ein. Dem kantischen kategorischen Imperativ folgend, muss die Frage gestellt werden: Gehe ich mit gutem Beispiel voran? Was wäre, wenn alle so handeln wie ich?

An der Startlinie gilt das Prinzip "first come, first served". Christian gefällt das nicht. Foto: UTMB (Aufmacherfotos: UTMB)

Das kann Neulingen im Sport natürlich mal passieren. Wir alle haben den Fehler schon gemacht. Kein Problem. Aber lasst uns doch aus Fehlern lernen. Würde der Start nicht am reibungslosesten und fairsten ablaufen, wenn jede und jeder genau dort startet, wo er oder sie vom Tempo her hingehört? Mein eindeutiges Plädoyer lautet: Einer realistischen Selbsteinschätzung folgt eine realistische Einreihung im Startblock. Das bedeutet für mich persönlich: Irgendwo im Mittelfeld. Da gehöre ich hin. Kommt zu mir, all ihr lieben mittelschnellen Läuferinnen und Läufer, neben mir ist noch Platz. Dann laufen wir alle mittelschnell los und kommen mit einer mittelschnellen Zeit ins Ziel. Es könnte so einfach sein.

Lars, was meinst du?

Pro

Es ist Samstag 16:25 Uhr in einem historischen Innenhof in Hall in Tirol. Der Startblock für den K25 des IATF ist bereits brechend voll. Der Veranstalter hat den Startblock in verschiedene Blöcke unterteilt. Der vorderste Block ist noch fast leer. Er trägt den Namen „Elitestartblock“. Nur wenige Läufer und Läuferinnen tummeln sich in diesem und machen sich nervös warm. Voller Selbstverständlichkeit reihe auch ich mich in diesen Block ein. Das sagt mir mein eigener Anspruch an meine Leistungsfähigkeit und auch meine Erfahrung. 16.30 Uhr ist es so weit. Startschuss. Wir rasen mit einer Pace unterhalb der 4 Minuten durch Hall. Links und rechts werde ich überholt und denke wieder einmal: „Was hast du da vorne zu suchen gehabt?“.  Nach den ersten 2-3 Kilometer geht es dann aber kontinuierlich bergauf, nach und nach sammle ich die Überholenden aus den hinteren Blöcken wieder ein. Am Ende reicht es für mich für einen zufriedenen 9. Platz Gesamt. Wieder mal genau richtig eingereiht.

Lars startet gewohnheitsmäßig gerne weit vorne, wie hier beim Mountainman Nesselwang (gelbe Hose, rote Cap). Foto: privat

Anderer Schauplatz ein paar Jahre zuvor. Straße des 17. Juni in Berlin. Es ist der Berlin Marathon. Hier darf man sich nicht einreihen, wo man will. Man wird zugeteilt. Erste Teilnahme? Dann bitte nach hinten. Keine Chance für mich sich in den Block zum 3 Stunden-Pacemaker zu stellen. Ich muss während der folgenden 2:58 Stunden an hunderten oder tausenden Läufern vorbeilaufen. Erst im Jahr darauf darf ich dann im richtigen Block starten, hart erkämpft.

" Bei fast allen Trailläufen ist die Startaufstellung frei zu wählen und das sollte meiner Meinung nach auch so sein. Seid ihr richtig gut drauf? Dann reiht euch auch gerne mal etwas weiter vorne ein. "

Lars Schweizer

Bei fast allen Trailläufen ist die Startaufstellung frei zu wählen und das sollte meiner Meinung nach auch so sein. Seid ihr richtig gut drauf? Dann reiht euch auch gerne mal etwas weiter vorne ein. Solltet ihr nicht am richtigen Platz stehen, stellt sich entweder sowieso jemand noch Ambitionierteres vor euch, oder das Feld sortiert sich auf den ersten 500 Metern von selbst.

Klar, die richtige Selbsteinschätzung ist bei einem Wettkampf sehr wichtig, spätestens wenn es ans eigene Pacing im Rennen geht. Aber mir fehlt in diesem Sport oftmals auch die Mentalität sich auch mal zu verschätzen. In 99 von 100 Fällen geht das wahrscheinlich schief, aber es gibt eben auch diese Tage, an denen es mal gut geht. Nach dem Motto: Mit breiter Brust am Start und dann vorne weg bzw. im vorderen Feld ins Ziel.

In den meisten Fällen ist es vorne im Startblock sowieso ganz anders. Alle stehen gute 2-3 Meter vor der Startlinie, aber so richtig nach vorne gehen in die erste Startreihe will dann auch keiner. Die Veranstalter müssen die Startenden oftmals auffordern, einen Schritt nach vorne an die Linie zu wagen. Und dann traut sich erst recht keiner mehr und plötzlich stehe ich wieder in Reihe 1.

Lars Schweizer ist Geschäftsführer und Trainer bei Two Peaks Endurance.

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