„Es gibt in der Breite keine Vorbehalte gegen das Trailrunning“

Große deutsche Sportverbände und Trailrunning, das scheint noch nicht zusammenzupassen. Auch beim Deutschen Alpenverein (DAV) spielt Trailrunning eine Nebenrolle. Oder sogar gar keine Rolle? Wir haben Stefan Winter, Ressortleiter Sportentwicklung beim DAV, gefragt, warum das so ist.

Alles Laufbar: Herr Winter, ich habe auf der Website vom DAV eine Selbstbeschreibung entdeckt. Dort heißt es: „Wir sind Bergsport und Naturschutzverband, ob Wandern, Bergsteigen, Klettern, Skitouren oder Mountainbiken. Wir fördern Bergsport mit Verantwortung und setzen uns dafür ein, die einzigartige Natur zu erhalten.“ Sie ahnen, worauf ich hinaus will. Von Trailrunning ist dort nicht die Rede. Warum nicht?

Stefan Winter: Der von Ihnen zitierte Text benennt unsere sogenannten Kernsportarten. Und Trailrunning gehört nicht zu den Kernsportarten des DAV. Es zählt für uns zu den erweiterten Sportarten, die im Gebirge gemacht werden können.

Was zeichnet eine Kernsportart aus?

Kernsportarten sind bei uns die Sportarten, die mit Gehen, Laufen und Steigen im Gebirge zu tun haben, bis hin zum Klettern. Und die so eine weite Verbreitung haben oder Tradition, Historie, dass sie die aus den Tätigkeiten unserer Sektionen, also unserer Vereine, nicht mehr wegzudenken sind.

Jetzt ist Mountainbiking ja auch keine besonders traditionsreiche Fortbewegungsmethode in den Bergen. Wie ist Mountainbiking dann da reingerutscht?

Das ist unsere jüngste Kernsportart. Das hat sich dadurch ergeben, dass einfach immer mehr Mitglieder mountainbiken, in all seinen Facetten. Da gibt es verschiedene Disziplinen. Wir wissen von Mitgliederbefragungen, dass das rund 30% unserer Mitglieder sind. Das ist der hauptausschlaggebende Grund. Klar, Fahrradfahren hat wenig mit Gehen, Steigen, Laufen, Klettern zu tun, findet aber auch im Gebirge statt und wird von den Mitgliedern so stark ausgeübt, dass die Sportart schließlich als Kernsportart aufgenommen wurde.

Stefan Winter, Ressortleiter Sportentwicklung beim DAV. Foto: DAV, Aufmacherfotos: Creative Commons

Führen Sie die Mitgliederbefragungen regelmäßig durch?

Ja, alle drei bis vier Jahre.

Wird auch das Interesse an Trailrunning abgefragt?

Ja, wir fragen auch Trailrunning ab. Unsere repräsentative Mitgliederbefragung 2022 ergab, dass 10 % der Mitglieder Trailrunning/Berglauf als Aktivität angegeben haben.

Keine geringe Zahl bei rund 1,5 Millionen Mitgliedern.

Richtig. Wir bekommen aber so gut wie keine Anfragen von Mitgliedern zu Fragen des Trailrunnings. Wir kriegen auch keine Anfragen von Sektionen, die bei uns jetzt als Bundesverband fragen: „Habt ihr da ein Konzept oder irgendwas?“ Wir spüren keinen Bedarf, dass wir dort ausbilden müssten. Obwohl Der DAV ja sehr viel ausbildet.

Dass keine Nachfragen von Mitgliedern kommen, liegt wahrscheinlich auch daran, dass der DAV bisher gar nicht mit Trailrunning in Verbindung gebracht und als möglicher Ansprechpartner wahrgenommen wird.

Das ist gut möglich.

Nehmen Sie das das wachsende Interesse am Trailrunning wahr?

Wir beobachten das und haben daran wirklich nichts auszusetzen. Es werden dadurch keine neuen Räume erschlossen im Gebirge. Es wird nichts kaputt gemacht. Ob jetzt ein Trailrunner hin und wieder eine Serpentine abkürzt, das ist, finde ich, vom Impact vernachlässigbar, weil das machen Wanderer genauso. Beide Gruppen sollten das natürlich nicht machen.

 Mitte Juni findet in Garmisch-Partenkirchen der Zugspitz Ultra-Trail statt. Dort nehmen 4.500 Trailrunner auf den verschiedenen Distanzen teil. Ich würde mal tippen, dass ein großer Teil dieser Menschen auch DAV-Mitglied sind. Zum einen aus ideellen Gründen vielleicht, denn die meisten Trailrunner sind der Bergwelt sehr verbunden, zum anderen aber auch aus versicherungstechnischen Gründen. Ist sich der DAV dieser Tatsache bewusst, dass viele Trailrunner auch Mitglied im Verband sind?

Ja, natürlich. Also das wissen wir schon seit vielen, vielen Jahren und finden das natürlich gut und schön.

Glauben Sie, dass der DAV kurzfristig, mittelfristig, langfristig – eins von diesen drei Dingen – Trailrunning auch als Kernsportart Art aufführen wird?

Das glaube ich nicht. Die Bezeichnung Kernsportart, die ist bei uns tatsächlich offiziell. Und da gibt es bei uns ein Papier, das von Experten erarbeitet wurde. Mit solchen Entscheidungen sind viele Debatten, Gremienbeschlüsse und dergleichen verbunden. Das erwarte ich jetzt nicht für das Thema Trailrunning.

Was müsste passieren, damit Trailrunning Kernsportart werden kann? Wie könnten Trailrunning und DAV zueinander finden? Haben Sie da eine Idee?

Die müssen jetzt nicht explizit zueinander finden. Die haben sich ja schon gefunden. Viele unserer Mitglieder machen nicht nur ausschließlich einen Bergsport, sondern haben auch andere Interessen. Es gibt im DAV Sektionen, die bieten Kanu an, Triathlon und andere Sportarten. Auch der Berglauf war schon immer auch eine Beschäftigung von Mitgliedern. Es gibt Sektionen, die haben Laufgruppen, die machen dann in der Ebene Laufangebote. Also das gibt es schon sehr lange. Und ich sage jetzt mal, die Entwicklung zum Trailrunning haben viele Mitglieder selber mitgemacht. Heutzutage natürlich nochmal befeuert durch die Industrie, Medien und Events. Ich habe das schon vor 20 Jahren gemacht. Da gab es das Wort Trailrunning noch nicht. Das war damals eine Aktivität von wenigen. Jetzt sind es sicherlich deutlich mehr.

Das ist ja auch gut und schön., weil wir grundsätzlich für Bewegung stehen und das per se gut heißen. Also da muss man nicht neu zueinander finden. Es ist nur so, dass es jetzt nicht zu erwarten ist – das ist jetzt meine persönliche Einschätzung –, dass Trailrunning zur Kernsportart deklariert wird.

Der DAV in Zahlen. Grafik: DAV

In DAV-Mitgliedermagazin „Panorama“ ist Trailrunning noch nicht einmal eine Randnotiz. Es findet einfach nicht statt. Gibt es da Vorbehalte gegenüber einem Sport, in dem Leute mit kurzen Hosen und T-Shirts teilweise durch die Nacht über hohe Berge laufen? Passt das vielleicht nicht zu einer traditionellen Ansicht von Bergsport?

Nein, das glaube ich nicht. Ich meine, bei so einer Größe von einem Verband, wie es der DAV ist, wird man immer Leute finden, die Dinge gut und schlecht finden. Es ist auch so, dass es nach wie vor im DAV auch genügend Kritiker des Mountainbikings gibt. Das ist schlichtweg der Größe geschuldet, aber da gibt es jetzt in der Breite keine Vorbehalte gegen das Trailrunning.

Das einzige, was wir natürlich postulieren, aber das gilt jetzt nicht fürs Trailrunning explizit, ist, dass wer in die Berge geht oder dort irgendwas macht, gut ausgerüstet, kompetent, eigenverantwortlich unterwegs sein sollte. Natürlich kann ein Trailrunner schon mal in selbstverschuldete Schwierigkeiten kommen, wenn er wirklich hochalpin läuft.

Wer zum Beispiel das Steinerne Meer joggend durchqueren will und es zieht Nebel auf und man bricht sich einen Knöchel und man hat dann wirklich nur Shorts und maximal eine super dünne Überjacke dabei, dann gibt es natürlich ein Problem. Das Gleiche gilt aber auch für Skitourenrenner, die sich mitunter auch in einem speziellen Risiko aussetzen. Das ist eine allgemeine Sicht auf die Dinge, die Menschen da draußen treiben. Da zeigen wir jetzt bestimmt nicht mit dem Finger auf Trailrunner oder Skitourengeher.

Ein Titelbild des Mitgliedermagazins des DAV "Panorama".

Gibt es Statistiken von Rettungseinsätzen, die einen Hinweis darauf geben, dass Trailrunner besonders häufig in Notlagen geraten?

Darüber haben wir keine Erkenntnisse. Wir führen eine Unfall-Statistik, aber da treten primär Unfälle beim Wandern, Bergsteigen, Klettern oder Skifahren auf. Also praktisch die Kernsportarten. Dann haben wir noch eine Kategorie Sonstiges. Da wird es Fälle von Trailrunnern geben, die prozentral aber nicht so auffällig sind, dass sie explizit aufgeführt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

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