Halde statt Hochgebirge: Trailrunning aus der Perspektive eines Ruhrpottläufers

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Der Ruhrpott ist der größte Ballungsraum Deutschlands. Wer einsame Natur sucht, sucht hier vergebens. Die einzigen Berge, die es weit und breit gibt, sind Halden. Das machen sich lokale Trailrunner zunutze. Wie lebt und läuft es sich als Trailrunner im Pott?

Wenn ich morgens aus der Tür gehe, stehe ich direkt an einer Hauptstraße. Der Asphalt ist schon leicht bröckelig von den LKWs, die hier morgens ab 5 Uhr durchdonnern. Wenn man mal Vögel hört, sind es vermutlich Tauben. Sie sitzen bedrohlich in den Baumkronen über den parkenden Autos. Der nächste Grünzug liegt etwa 15 Minuten Fußweg entfernt. Für manche ist er das Ziel der Hunderunde, für andere der perfekte Ort, um Müll abzuladen. In der Ferne kann ich in sämtlichen Himmelsrichtungen Fördertürme entdecken, ich lebe schließlich im Herzen des Ruhrgebiets.

Damit möchte ich nicht sagen, dass es hier hässlich ist, bei weitem nicht. Es ist halt anders. Der Autor Frank Goosen hat mal gesagt: „Woanders ist auch Sch***e!“ –  und es passt. Ich mag es wirklich hier zu leben: Die Menschen sind direkt, es gibt eine sehr lebendige Geschichte und diese Region muss sich immer wieder neu erfinden. Aber als Trailrunner, na ja, da gibt es mit Sicherheit schönere Ecken für seinen Trainingsalltag.

Die Treppe der Halde Hoheward. Foto: F. Vincentz (Wikimedia Commons)

Nochmal ein paar Jahre zurückgedreht. Warum entscheidet man sich eigentlich zum Trailrunning, wenn man hier lebt? Eine Frage, die sich bestimmt auch viele stellen, die in der norddeutschen Tiefebene, in Berlin oder am Niederrhein leben und trainieren. Was bringt uns zum Laufen in der Natur? Was treibt uns jeden Tag raus? Was bewegt uns anscheinend so sehr, dass wir uns im Winter dick einpacken und uns auf halbgeräumten Gehwegen schlitternd von Autofahrern den Schneematsch auf die Kleidung platschen lassen? Was lässt uns im Sommer auf dem Longrun in den aufgeheizten Häuserschluchten durchhalten?

Die Macht der Bilder

Es sind die Bilder. Die Bilder, die wir alle im Kopf haben, die wir diesen Sport betreiben. Bilder vom Ausblick auf einen majestätischen Berggipfel, Bilder von Freunden, die einen mit Kuhglocken am Streckenrand anpeitschen, Bilder vom lange ersehnten Zieleinlauf in einem malerischen Bergdorf – oder, wie vor meinem ersten Wettkampf: Bilder von Youtube. Zu Anfang müssen noch jene fremden Erlebnisse herhalten, die man in Videos gesehen hat. Man versetzt sich in eine andere Welt, tauscht die alte Bahntrasse gegen einen Ziehweg mit Blick auf das Matterhorn, ersetzt sich den in die Jahre gekommenen Brunnen mit der Aufschrift „kein Trinkwasser“ im Stadtpark mit einem VP an der historischen Berghütte am Schwarzsee. Und dann trainiert man – meist ohne Plan, aber immer mit großem Ziel: irgendwie Durchkommen. Ein paar Monate später steht man dann stolz mit einem Kaltgetränk, einem dicken Grinsen und einer Medaille im Zielbereich und denkt sich: „Nie wieder!“

Fabian (rechts) zusammen mit seinem Lauffreund Dennis Barcik während eines selbstorganisierten "Backyard Halde"-Laufs, innerhalb dessen er die Treppe 62 Mal bewältigte und am Ende auf knapp 50 km und 6000 hm kam. Foto: Privat

Es dauert ein paar Tage, aber dann lässt der Schmerz im Körper langsam nach und die Bilder, die man selbst erlebt hat, gewinnen die Oberhand. Aus dem „nie wieder“ wird ein „war doch ganz schön“. Und ab diesem Zeitpunkt kommt man nicht mehr los. Diese Bilder laden einen Speicher auf, den man bis zum nächsten Sommer langsam aufbraucht. Einen Speicher, der nie ganz leer geht, aber an einem Tag wieder voll aufgeladen werden kann. Und mit Freunden, die einen begleiten, lädt er gleich mit doppelter Geschwindigkeit!

Kommen wir also wieder an den Anfang dieser Geschichte. Ich stehe also nicht in einer wundervollen Almlandschaft und höre Kuhglocken, sondern an der vielbefahrenen Hauptstraße und höre von irgendwo die eindringliche Melodie vom „Klüngelskerl“ – vom Altmetallsammler. Und ich laufe los. In meinem Kopf kommen langsam die Bilder von den letzten Wettkämpfen in Verbier, am Matterhorn oder in den spanischen Pyrenäen. Ich laufe zu meiner Halde. Davon haben wir im Ruhrgebiet einige – hier liegen Millionen Tonnen Abraum aus den Jahren, als es dem Ruhrgebiet noch gut ging; als die Zechen der Gegend noch Wohlstand brachten.

Halde rauf malochen, Halde runter malochen. Foto: Privat

Die Halde Hoheward ist die höchste hier. Ich treffe ein paar Freunde. Gemeinsam laufen wir die Treppe der Halde hoch. 90-100 Höhenmeter, je nach Uhr. Rauf. Runter. Rauf. Runter. Heute sind es zehnmal. Am Sonntag könnten es mehr werden. Vielleicht zwanzig, vielleicht auch dreißig. Es waren auch mal siebzig. Verrückt! Ich glaube, die größte Stärke von uns Flachlandlaufenden ist der Kopf. Eine Stärke, die in unserer wundervollen Sportart so wertvoll ist wie in kaum einer anderen.

Meister des Mentalen

Wir aus dem flachen Land, wir sind die Meister des Mentalen: Wer so trainiert wie wir, nur um einmal im Sommer am Berg nicht komplett einzugehen, der spielt mental in einer komplett anderen Liga. Für viele von uns ist der Wettkampf in den Bergen immer das Jahreshighlight, der Familienurlaub oder der Ausbruch vom Alltag in einer lauten Großstadt. Und wer in seiner Vorbereitung so viele Stunden einfach nur eine stupide Treppe mit 529 Stufen hoch und runter gelaufen ist, der geht nicht aus so einem Rennen. Er oder sie weiß: In einer Stunde sehe ich das Zugspitzmassiv oder den Gletscher am Gornergrat, und das wird überwältigend schön – egal wie schlecht es mir in diesem Moment auch immer gehen mag. Unsere Probleme? Vergessen!

" Wir aus dem flachen Land, wir sind die Meister des Mentalen: Wer so trainiert wie wir, nur um einmal im Sommer am Berg nicht komplett einzugehen, der spielt mental in einer komplett anderen Liga. "

(Fabian Jendrusch)

Fabian Jendrusch beim Trail Verbier St Bernard by UTMB im Jahr 2022. Foto: photossports.net

Wir sammeln dann nach und nach LäuferInnen aus allen Ecken der Alpen ein und denken uns: Verrückt, dieser Mensch vor uns hat so viel bessere Bedingungen zum Trainieren als wir, sieht viel professioneller aus, aber wir sind gerade stärker, uns geht es gut, wir haben ein breites Grinsen im Gesicht. Dann laufen wir um die nächste Kurve und erhaschen einen weiteren irrsinnigen Blick auf die Bergkette gegenüber – und wir spüren sofort den nächsten Energieschub durch unsere Körper wandern. Vamos, weiter gehts!

Für mich persönlich sind es diese Momente, die mich meine körperlichen Defizite vergessen lassen. Und dafür bin ich dankbar. Ich bin dankbar, dass ein Wettkampf für mich das Jahreshighlight ist und die Berge für mich etwas ganz, ganz Besonderes bleiben dürfen.

Ein hoch auf das Flachland, ein hoch auf das Ruhrgebiet, ein Hoch auf meine Halde Hoheward!

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