Mein Leben als einsamer Mittelgebirgsläufer

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Die Unverfügbarkeit von alpinen Bergwelten als Trainingsrevier ist für die Mehrheit der hiesigen Trailcommunity ein Faktum, mit dem es umzugehen gilt. Aber ist dieser Mangel auch gleich ein Manko? Daniel Arnold über die Identitätskrise als Mittelgebirgsläufer.

Ich liebe Gespräche über das Laufen. Und noch ein bisschen mehr liebe ich Gespräche über das Laufen auf wurzeligen Pfaden. Trailrunning. Ein großer Begriff. Ein schöner Begriff. Und ein Stück weit ein Teil meiner Identität. Dachte ich.

Mit großer Freude lausche ich meinen Freundinnen und Freunden, wenn sie über ihre Bergabenteuer berichten. Ein wildes Wochenende am Mont-Blanc-Massiv. Ein Ultramarathon um die Zugspitze. Ein kleines Trainingslager in den Alpen des Allgäus. Die Hard Facts werden routiniert präsentiert.

Anstiege? Steil!
Höhenmeter? Viele!
Aussichten? Großartig!

So sehr ich es genieße, in diese Gespräche einzutauchen, die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Die Gewissheit, dass ich in meinem kleinen Kosmos des Trailrunnings keinen Zugang, ja, vielleicht sogar gar keinen Platz für die großen Bergzüge Deutschlands habe, kratzt ein bisschen an meiner Identität als Trailrunner. Vielleicht sogar ein Stück weit an meinem Ego, denn ich bin ein einsamer Mittelgebirgsläufer.

Bin ich ein echter Trailrunner?

So nachvollziehbar es auch ist, dass wir bei dem Begriff Trailrunning an die besonders steilen und besonders schönen Pfade der Bergwelt denken, mein Leben als Läufer, gefangen zwischen Mittelgebirge und Stadtwald, bietet mir hier gar keinen Zugang. Und vielleicht ist das auch ganz gut so.

Versteht mich nicht falsch. Auch mich ziehen die Berge an. Die Bergmagie wirkt und ich kann mich ihrer nicht entziehen. Doch geht es ums Laufen, bringen mich schier endlose Anstiege und geröllige Downhills nicht nur um das restliche bisschen Verstand, sondern vor allem um den Spaß. Etwas resttraumatisiert blicke ich auf meinen ersten Versuch beim eigentlich wunderschönen Mozart100 zurück. Während Läufer und Läuferinnen aller Art an mir vorbeiziehen und freudestrahlend dem kleinen Gipfelkreuz entgegenfiebern, krieche ich in der Mittagssonne den langen, steinigen Aufstieg hinauf und frage mich: „Wann zum Teufel ist dieser gemeine Anstieg endlich vorbei?“

Im Geiste rechne ich schon aus, wie viele flowige Trails ich in dieser Zeit schon hinter mir gelassen hätte. Doch zum Rechnen fehlt mir die Kraft. 10km plus 12% Steigung ergeben für mich Überlebenskampf. Doch hier, am Fuße des Taunus, fühle ich mich wohl. Ein ausgeprägtes Mittelgebirge mit wunderbaren Trails. Und dennoch sehe ich mich in der Frage gefangen: Bin ich überhaupt ein richtiger Trailläufer?

" Selbst die derzeit omnipräsente künstliche Intelligenz stellt mich infrage. Wenn ich eine generative KI bitte, ein Bild eines Trailrunners zu gestalten, habe ich nahezu immer ein Bergpanorama im Hintergrund. "

Daniel Arnold

Aus dem Stegreif würde vermutlich nahezu jede und jeder diese Frage bejahen. Und das stimmt mein fragiles Ego erst einmal ein wenig froh. Ich laufe über Wurzeln und Steine. Manchmal sogar bergan und bergab. Und doch erlebe ich diese Diskrepanz aus meinem persönlichen Sein und der einhelligen Vorstellung des Trailsports. Selbst die derzeit omnipräsente künstliche Intelligenz stellt mich infrage. Wenn ich eine generative KI bitte, ein Bild eines Trailrunners zu gestalten, habe ich nahezu immer ein Bergpanorama im Hintergrund.

Je weiter ich diesen inneren Diskurs führe, desto mehr verrenne ich mich in eine Sackgasse. Auf einem Pfad, der im Nichts endet. Ich muss umdrehen, zurück zum Ursprung. Meine Ausgangslage neu betrachten und eine andere Abzweigung nehmen. Man sagt oft, man solle seinem Herzen folgen, und vielleicht ist genau das hier der Schlüssel. Mich schüchtern die Superlative der Berge ein und ich glaube, ich wäre wirklich gerne einer dieser unerschrockenen Bergsportlerinnen oder Bergsportler, die vor dem Frühstück mehr Höhenmeter bewältigen als ich in einer gesamten Trainingswoche. Aber ich fühle mich wohl hier, als einsamer Läufer auf meinen kleinen Pfaden.

Der Taunus ist mein Revier. Die breiten Forstwege sind von kleinen Wandergruppen übersäht, doch ich kenne andere Wege. Meine Wege. Fernab des öffentlichen Tumults tauche – nein – stürze ich regelrecht hinein in den Wald. Die einsamsten Waldwege sind mein Schwimmbecken und ich bin sicherer Schwimmer. Ich tauche gerne und ich tauche lange. Der Wald verändert sein Gesicht mit dem Wechsel von Jahreszeiten und Klima. Mein Gesicht ändert sich nicht. Wenn die wurzeligsten Wege im feinen Nebel im Schein meiner Lampe glitzern, bleibt meine Mimik beständig. Erschöpft, aber glücklich. Meine einsame Freude teile ich meist mit dem Altkönig. Ich glaube nicht an Monarchien, aber hier knie ich gern nieder und genieße die Unerschrockenheit des Waldes während das Energygel mich auf das wellige Profil vorbereitet. Hier ist wirklich alles laufbar.

Daniel mit Gleichgesinnten auf dem Trail. Foto: Christian Siedler

Ich liebe es, auf flowigen Trails durch die Wälder zu rennen. Der Adrenalinausstoß auf einem kurzen, intensiven Downhill zieht meine Mundwinkel auch dann nach oben, wenn ich mich nicht auf 1500 Metern Höhe befinde. Ich fühle Trailrunning. Ich lebe Trailrunning.

Heart Facts statt Hard Facts

Also sitze ich wieder im vertrauten Kreis meiner Freundinnen und Freunde. Als die Zeit des Lauschens vorbei ist, warten alle gespannt auf meine Geschichten. Wahnwitzige Anstiege und irrwitzige Summen an gesammelten Höhenmetern kann ich ihnen nicht bieten. Doch ich offenbare Heart Facts statt Hard Facts. Ich nehme sie an die Hand und mit in meine Gefühlswelt und zeige ihnen meinen Zugang zum Trailrunning. Die schnellen Wurzelpassagen. Die Nähe zur Natur. Das Erforschen der eigenen Grenzen. Und ein schier grenzenloser Spieltrieb. Und ich spüre, wir sind verbunden.

Identitätskrise abgewendet.

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